: Kleingärten in Großstädten
Helmut Höge beispielsweise ist bereit fürs Landleben, auch wenn es in US-Metropolen stattfindet
Die taz-Serie „Die Agronauten“ fragt: Sind Sie bereit fürs Land?
Ein alter Araber, der seit mehr als 40 Jahren in Chicago lebt, würde gerne in seinem Garten Kartoffeln pflanzen, aber er ist allein und alt und schwach. Sein Sohn studiert in Paris. Er schreibt ihm eine E-Mail: „Lieber Achmed, ich bin sehr traurig, weil ich in meinem Garten keine Kartoffeln pflanzen kann. Ich bin sicher, wenn du hier wärest, könntest du mir helfen und für mich den Garten umgraben. Ich liebe dich. Dein Vater.“
Am folgenden Tag erhält der alte Mann eine E-Mail: „Lieber Vater, bitte berühre nicht den Garten. Dort habe ich ‚die Sache‘ versteckt. Ich liebe dich auch. Achmed“. Um vier Uhr morgens kommen die U.S. Army, die Marines, das FBI und die CIA zum Haus des alten Mannes. Sie suchen überall, nehmen den ganzen Garten auseinander, aber finden nichts. Enttäuscht gehen sie weg. Am folgenden Tag erhält der alte Mann wieder eine E-Mail von seinem Sohn: „Lieber Vater, sicherlich ist jetzt dein Garten komplett umgegraben und du kannst die Kartoffeln pflanzen. Mehr konnte ich für dich nicht tun. Ich liebe dich. Achmed.“
Anderswo, in New York beispielsweise, wurden in den letzten Jahren die meisten Gärten auf städtischem Grund und Boden angelegt – auf Brachflächen, die Immobilienspekulanten links liegen ließen. Elisabeth Meyer-Renschhausen, eine Dozentin an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Uni, hat sich in den dortigen „Gemeinschaftsgärten“ umgetan – und darüber gerade ein Buch veröffentlicht: „Es handelt sich dabei um eine neue soziale Bewegung“, dominiert von Frauen. Ihre Vereinigung zählt heute über 6.000 „Nachbarschaftsgärten“ – in 38 US-Städten. Die in den Armenbezirken wie in Harlem und in der Bronx, werden meist für Gemüseanbau genutzt, bei anderen „steht das gemeinsame Handeln im Vordergrund“. Zwischen den Gärtnern und dem Staat vermitteln Organisationen wie „Green Thump“, „More Gardens“ und „Green Guerillas“: Sie kümmern sich auf der einen Seite um Pachtverträge und Zäune und liefern frische Erde für die Kastenbeete, auf der anderen um die Vermarktung – zum Beispiel von Ökogemüse auf Bauernmärkten. Diese illegalen „Basare“ werden geduldet, weil sie eine Art Sozialhilfezusatz bilden.
Für den „Community Garden“ in Midtown-Manhattan haben „weit über 4.000 Menschen“ einen Schlüssel, es gibt dort „108 Gemüsebeet-Inhaber“ und „56 Vogelarten“. Das Land wurde, als es bebaut werden sollte, mit Spendengeldern Quadratdezimeterweise der Stadt abgekauft. „Alle sind sehr stolz auf ihren Garten.“ Und jeder ist anders: In East New Yorks Garten „Euclid 500“ zum Beispiel hält man nichts von individuellen Beeten und macht alles gemeinsam, die Ernte wird einer Suppenküche für Arme gespendet. „Erst durch unser Gärtnern hat sich die Gegend wieder in einen menschenwürdigen Wohnort verwandelt“, meint einer der Aktivisten. Doch diese Wohnumfeldverbesserung hat erneut die Spekulanten angezogen – denen gerade eine Reihe „gut geführter Gärten“ zum Opfer fielen. Im Brooklyner Garden of Union gibt es eine Gruppe „Master Composter“, die gerade eine neue Kompostiermethode erfunden hat, um die Gemüsereste aus der nahen Food Coop noch besser verwerten zu können. Eine der Aktivistinnen aus dem „Herbal Garden“, der mit 1.000 Quadratmetern relativ groß ist, verkauft jeden Samstag auf dem Farmers Market Kräuter und Gemüse. Die Hauptkundengruppe besteht aus 4.000 Frauen, die Lebensmittelmarken beziehen.
In Central Harlem wird ein Garten nur von älteren Männern bewirtschaftet, die dort in langen Reihen Bohnen, Mais, Okras und sogar Baumwolle anbauen. Gerade hat ihnen die Stadt den Hydranten abgestellt, von dem sie bisher – wie überall kostenlos – ihr Wasser bezogen. Den Überschuss der Ernte schenken die Männer alten Leuten in der Nachbarschaft, die sich keine frischen Lebensmittel leisten können. Die Autorin fragte sich: „Befinde ich mich wirklich im reichsten Land der Erde … oder irgendwo in einem Teil der Dritten Welt?“ HELMUT HÖGE