: Mit Veganismus was erreichen
... will der Bremer Hauke Hirsinger. Schon sein halbes Leben isst er fleisch-, ei- und milchlos. Auch auf Leder verzichtet er
taz: Hauke Hirsinger, nachdem im letzten Jahr zwei Veganer wegen fahrlässiger Tötung ihres eigenen Kindes auf Grund mangelnder Ernährung verurteilt wurden, wird der Veganismus vereinzelt mit dem Islamismus verglichen. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?Hauke Hirsinger: Dass die Leute die vegane Ernährung als extrem bezeichnen, ist mir schon häufiger passiert. Ich gehe damit relativ gelassen um. In dem Fall, den Sie erwähnen, geht es wohl mehr um falsche Ernährung an sich. Hätte ich ein Kind, würde ich mich genau darüber informieren, welche Auswirkungen vegane Ernährung auf Säuglinge hat. Im Zweifel würde ich meine Überzeugung aber hinter das Wohl des Kindes stellen.
Die meisten Veganer sind überzeugte Ideologen. Wollen Sie die ganze Welt vom Veganismus überzeugen?Für mich ist Veganismus eine persönliche Sache, mit der ich aber auch politisch etwas erreichen kann. Ich muss mich nicht an Tierausbeutung und -unterdrückung beteiligen, um in Deutschland zu überleben. Gerade in den modernen Industriestaaten ist Veganismus die einzige Lösung, um Tierleiden und Umweltschäden durch Massentierhaltung zu verhindern. Natürlich gibt es Menschen in anderen Teilen der Welt, die andere Probleme haben. Aber prinzipiell ist es doch so: Wenn wir einem Hund in die Augen gucken, sagen wir: „Unglaublich, dass Menschen Hunde essen, wie kann man sowas nur tun!“ – aber bei einer Kuh wird nicht danach gefragt. Nur weil diese Lebewesen uns nicht so nah sind, heißt das noch lange nicht, dass sie zu unserer freien Verfügung stehen.
Viele Menschen befürchten Mangelerscheinungen durch vegane Ernährung. Geht es Ihnen gut?Ich bin zwar kein Ernährungswissenschaftler, lasse aber jährliche Blutuntersuchungen durchführen und weiß daher, dass ich keine Vitaminpräperate zu mir nehmen muss. Ich esse eigentlich ganz normal, bloß ohne tierische Produkte. Es gibt eine ganze Menge vegane Ersatzstoffe, wie zum Beispiel milchähnliche Produkte aus Soja. Auch Tofu gehört dazu, wobei man Ahnung von der Zubereitung haben muss, damit er schmeckt. Für die Gesundheit ist es auf jeden Fall besser auf Fleisch zu verzichten. Ich bin kerngesund.
Was tun Sie bei Familienfeiern oder Geburtstagen ... kriegen Sie bei solchen Anlässen auch was zu Essen?In meiner Familie gibt es viele Bauern und Jäger. Früher war das mit einigen Konflikten beladen, aber seit klar ist, dass ich nicht nur mal vorübergehend einem Trend nachjage, werde ich ernst genommen und immer sehr nett bekocht. Bei anderen Einladungen bin ich völlig unkompliziert. Wenn nichts für mich dabei ist, lehne ich mit einer höflichen Erklärung ab und esse dann eben Kartoffeln oder Nudeln.
Ist Veganismus eine Modeerscheinung?Ich würde sagen, nein. Es gibt Veganer aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich zum Beispiel bin aus der Punk und Hardcore Bewegung zum Veganismus gekommen. Es gibt aber auch Leute, die es aus gesundheitlichen Gründen machen oder aus dem Bereich der Esoterik kommen. Spätestens seit den 90er Jahren gibt es auch eine starke Jugendbewegung in Deutschland. Veganismus spielt seitdem eine Rolle in der Öffentlichkeit. In anderen Ländern wie in England beispielsweise hat Veganismus aber schon eine sehr alte Tradition.
Sind die Ziele nicht utopisch? Viele Tierrechtler fordern sogar gleiche Rechte für Tiere. Dann würden aber auch Fliegenklatschen zu Mordwaffen. Wie weit muss der Mensch Rücksicht nehmen?Ja, das ist natürlich eine sehr interessante Frage. Klar ist es utopisch zu sagen, Tiere müssten die gleichen Rechte wie Menschen haben. Wenn mich eine Mücke sticht, ist mein erster Reflex auch draufzuhauen. Aber für mich ist die Frage nach einer qualitativen Unterscheidung zwischen den Säugetieren zentral. Wie kann man verantworten, dass Kühe und Schweine wie Abfall behandelt werden – ihr Leben lang eingesperrt und unsinnigen Qualen ausgesetzt?
Was halten Sie als Historiker vom Holocaust-Vergleich der Tierrechtsorganisation Peta?Sicherlich ist die Gegenüberstellung von KZ-Opfern und Schlachtvieh als Provokation gemeint. Allerdings verkürzt man so die Sachverhalte und beleidigt die Überlebenden und die Opfer. Selbst wenn man sich auf eine solche Logik einließe, ist sie nicht stimmig. Um es nüchtern zu sagen: Mit der Massentierhaltung wird viel Geld verdient. Die Ermordung und Vernichtung der europäischen Juden und auch anderer Regimegegner im Dritten Reich widersprach wirtschaftlichen Erwägungen sogar. Aber ich würde mich auf eine solche Debatte gar nicht erst einlassen. Ich finde sie nicht angemessen.
Interview: Jan Albrecht