: Das gebeutelte und verwüstete Paradies
Thailands Naturschützer und Wissenschaftler möchten dem Tourismus eine Denkpause verordnen, doch nach dem Willen der Regierung soll die Andamanen-Küste nun möglichst schnell „wieder lächeln“. Der Tsunami und die Folgen für den Tourismus an den Küsten des Indischen Ozeans
VON VOLKER KLINKMUELLER
„Paradies sollte auch Paradies bleiben“, meint Urlauber Stephan Karawa. Er hat die verheerenden Tsunamiwellen auf der thailändischen Trauminsel Koh Phi Phi überlebt hatte. Der 27-jährige Schweizer interpretierte das Seebeben als Zeichen an die Menschheit, sich nicht mit der Natur anzulegen. Er kritisierte, dass das berühmte Eiland schon so sehr mit Bungalowanlagen verbaut gewesen sei, dass man kaum noch hätte am Strand spazieren gehen können. Eine eher seltene und für viele vielleicht auch seltsam anmutende Auffassung – zumal der Mensch die Bewegung der Erdplatten ja nicht beeinflussen kann und demzufolge auch in keiner Weise für diese Tragödie verantwortlich zu machen ist. Trotzdem mehren sich die Anzeichen, dass die hohe Opferzahl und Verwüstung der Küstenregionen eine Denkpause eingeläutet haben könnten, obwohl eine baldige Wiederauferstehung des Tourismus – und seiner Mechanismen – wahrscheinlicher ist.
Auf Sri Lanka zum Beispiel, wo sich die Hotelanlagen im Gegensatz zu thailändischen Küstengebieten bisher überwiegend in die üppigen Palmenwälder duckten, soll in Zukunft immerhin darauf verzichtet werden, direkt am Meer zu bauen. Die Regierung in Colombo diskutiert Pläne, die in den ersten 100 Metern nach der Wasserlinie keine Neubauten mehr erlauben werden. Das würde vor allem die einträglichen „Strandvillen“ treffen, die als Aushängeschild der besseren Hotelanlagen gelten.
Auch in Thailand gibt es warnende Stimmen, dass der Wiederaufbau nicht überstürzt und sorgfältig überlegt werden sollte. „Bitte lasst uns eine sechsmonatige bis einjährige Denkpause einlegen!“, fordert Anuchat Poungsomlee, der Dekan der Umweltfakultät an der renommierten Mahidol-Universität in Bangkok. „Diese Katastrophe hat uns signalisiert, dass die Natur Erholung braucht.“
Er interpretiert die vielen toten Touristen als deutliches Zeichen dafür, wie unkontrolliert sich die Besucherströme schon seit Jahren in den Süden des Königreichs gewälzt hatten. Küstennahe Zonen sollten nicht mit privat bewirtschafteten Bungalows, Bierbars und Geschäften für Touristen zugebaut werden, sondern als öffentliche Flächen der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Auch Thailands ehemaliger Umweltminister Praphat Panyachartrak beklagt die exzessive Ausbeutung der Küstenstreifen und führt als Beispiel Koh Phi Phi an, wo der Bauboom mit einer unzureichenden Abwasserentsorgung oder der Zerstörung der Korallenriffe durch die Anker von Touristenbooten einhergegangen sei. „Diese Insel ist nicht von gigantischen Wellen“, so sagt er, „sondern schon vor langer Zeit von Menschenhand zerstört worden.“
Das bisher größte Aufsehen hatten die Umweltprobleme des Archipels während der Verfilmung des Traveller-Romans „The Beach“ mit Superstar Leonardo DiCaprio erregt, für die vor rund vier Jahren die dort gelegene Maya-Bucht als Kulisse aufbereitet worden war. Die spektakulären Protestaktionen dagegen hatten allerdings nichts daran geändert, dass der Strand schon bald darauf – ganz nach der landestypischen Manier „Mai Pen Rai“ („Macht doch nichts“) – wieder seiner althergebrachten Vermüllung überlassen wurde.
Zu einer überraschend drastischen Maßnahme indes wurde nun auf Phuket gegriffen: Am drei Kilometer langen Strand von Patong wurden große Schilder mit mysteriösen Badeverboten aufgestellt, die allerdings ignoriert werden. Zudem dürfen bis zur Vollendung eines neuen Landschaftsplans keinerlei Liegestühle oder Sonnenschirme mehr aufgebaut werden, während alle Bauten, die durch die Flutwellen beschädigt worden sind, abgerissen werden müssen! Denn nach Aussage des stellvertretenden Bürgermeisters Poonsak Naksena soll der Hauptstrand Phukets „in seiner natürlichen Schönheit wiederhergestellt werden“.
Vor allem hier waren die touristischen Auswüchse der schon lange boomenden, jährlich von fast vier Millionen Besucher bestürmten Urlauberinsel abzulesen: Bis zum 26. Dezember war die Küstenlinie mit dichten Reihen von Strandmobiliar bedeckt, während sich im Trubel der parallel verlaufenden Strandstraße überlaufene Geschäfte, Basare, Bars, Restaurants und Fahrzeugvermieter aneinander reihten. Nun soll die Gelegenheit genutzt werden, die mafiosen Strukturen des Gewerbes zu zerschlagen.
Bei einer Tagesmiete von 100 Baht (rund zwei Euro) hatten die rund 3.000 Liegestühle bisher erhebliche Summen in die Taschen ihrer Vermieter gespült. Doch das ist nur ein Beispiel für die gut verdienende Geschäftswelt, die nun Sturm gegen großartige Veränderungen in der Fremdenverkehrsindustrie läuft. Immerhin hatte der Tourismus auf Phuket nach Angaben der thailändischen Touristenbehörde TAT im vergangenen Jahr mit mehr als 70 Milliarden Baht zwölf Prozent der landesweiten Tourismuseinnahmen erwirtschaftet! Überhaupt hatte sich das Jahr 2004 – trotz der unappetitlichen Berichte und Bilder von der Hühnergrippe oder den blutigen politischen Auseinandersetzungen in Thailands drei südlichsten Provinzen – angeschickt, mit rund zwölf Millionen ausländischen Besuchern bisherige Rekorde zu brechen. Für 2005 frohlockte die TAT mit einer weiteren Steigerung und dem griffigen Werbeslogan „Happiness on Earth“, wobei versprochen wurde, dass „jeder Urlauber in Thailand jede Stunde als glückliche Stunde empfinden soll“ – was nun angesichts der Opferzahlen und Verwüstungen besonders fatal anmutet.
Stattdessen befürchtet Tourismusminister Sonthaya Khunpluem, dass im neuen Jahr als „Worst Case Scenario“ rund 3,2 Millionen (etwa ein Viertel) weniger ausländische Besucher nach Thailand kommen und bis zu 200.000 der insgesamt rund drei Millionen Arbeitsplätze in der Tourismusindustrie gefährdet sein könnten. Die erste Prognose scheint bereits eingetreten, denn an den ersten drei Tagen des Jahres haben sich die Ankünfte schon um 27,4 Prozent verringert! Zudem wurde gerade eine erste Zahl von 20.000 Arbeitslosen vermeldet. Umso eifriger werden von der TAT die ersten Erfolge der Wiederauferstehung vermeldet: Während in Khao Lak viele der insgesamt 50 Hotelanlagen zerstört worden sind, seien es in den übrigen betroffenen Küstenstreifen nur bis zu einem Viertel gewesen. Auf Phuket läuft der Hotelbetrieb sogar in rund 83 Prozent aller Anlagen normal, da 423 der insgesamt 560 Resorts mit 25.762 Zimmern weiterhin geöffnet hätten. Während der Patong- und Kamala-Strand am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurden, waren zum Beispiel der beliebte Kata-Strand und die Südspitze der Insel unversehrt geblieben. In der Region Krabi operieren nach TAT-Angaben immerhin noch rund 77 Prozent aller Hotels, was 285 Anlagen mit 8.056 Zimmern entspräche. Tatsächlich liegen zum Beispiel am Muang-Beach als zweitgrößtem Strand die Unterkünfte noch so idyllisch zwischen den Palmen, als ob gar nichts passiert wäre. Nun sollen bis zu 1,76 Milliarden Baht in eine weltweite Werbekampagne unter dem Motto „Andaman smiles again“ fließen. Insgesamt darf Thailand guter Hoffnung sein: Der Wert als qualifiziertes, preiswertes Urlaubsziel ist extrem hoch, wie sich schon allein immer an der sehr hohen Rückkehrerquote ablesen ließ.
Deshalb wächst auch der Druck von Tauchschulen und den Anbietern von Bootstouren, die Meeresnationalparks der Andamanen-See möglichst schnell wieder für Besucher zu öffnen. Nach den Tsunami-Flutwellen hatte die Naturschutzbehörde acht der insgesamt zwölf Schutzgebiete in den betroffenen Provinzen geschlossen. Derzeit sind neun Teams unterwegs, um die Schäden der Korallenriffe zu untersuchen. Es wird befürchtet, dass die bis zu zehn Meter hohen Flutwellen unter Wasser mancherorts wie Dynamit gewirkt und ganze Unterwasserlandschaften zertrümmert haben könnten. Schon jetzt steht fest, dass einige Riffbereiche mit Schlamm und Schwemmgut überzogen wurden, sodass sie kein Sonnenlicht mehr empfangen – und vielleicht absterben. Das hätte nicht nur nachhaltige Auswirkungen auf Thailands Image als Taucherparadies, sondern auch auf die Ökologie – und somit die Fischerei. Denn hier leben 70 Prozent der in der Andamanen-See vorkommenden Meeresbewohner.
Besondere Sorge herrscht um die Korallenriffe der Surin-Inseln, die sich über eine Fläche von rund acht Quadratkilometern erstrecken und mit den Similan-Inseln zu den wichtigsten Meeresnationalparks Thailands sowie den besten Tauchrevieren der Welt zählen. Dort sind die Schäden offenbar nicht so groß wie befürchtet. Trotzdem fordern Wissenschaftler aus Anlass der Naturkatastrophe, die Meeres- und Umweltpolitik nun grundsätzlich zu überdenken. „Einige Korallenriffe würde ich gern für Jahre unzugänglich machen, sodass sie sich richtig erholen können!“, meint Meeresbiologe Thon Thamrongnawasawat von der Kasetsart-Universität als Leiter der Expeditionsteams. Doch leider sei da nicht nur der ökologische Aspekt, der berücksichtigt werden müsse. Im Bereich der Phi-Phi-Inseln jedenfalls ist bereits intensiv begonnen worden, die Korallenriffe von Bungalowdächern, zertrümmertem Mobiliar und anderem Unrat zu befreien.