: Formalisierung von Notlösungen
Nach dem BGH-Urteil über heimliche Vaterschaftstests: Die Rechtsprechung kann zerstörte soziale Verhältnisse so oder so nicht reparieren
In der offiziösen Neuen Juristischen Wochenschrift wurden heimliche Vaterschaftsgutachten auf Basis von DNA-Tests in einem grundlegenden Text noch 2002 als Handlungen in einer „rechtlichen Grauzone“ behandelt. Schon damals überwogen allerdings in der Rechtswissenschaft die Stimmen, die sich gegen die Zulässigkeit heimlicher DNA-Tests aussprachen. Auch die Rechtsprechung der Familiengerichte ging in diese Richtung, die der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom Mittwoch verbindlich gemacht hat. Die Ergebnisse von Vaterschaftstests, die ohne Einwilligung der Mutter und des Kindes heimlich vorgenommen werden, dürfen im zivilgerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Die Daten von Proben auszuwerten, die heimlich genommen wurden, stellt nach Auffassung der RichterInnen des BGH aber auch einen Verstoß gegen das Recht des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung dar, das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet wird. Mit dieser Festlegung ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auch gegen den Willen von Kind und Mutter ein Vaterschaftstest durchgeführt werden kann.
In der Zivilprozessordnung regelt eine Vorschrift, dass im Fall einer gerichtlich angeordneten Vaterschaftsfeststellung vom Kind, aber auch von einem potenziellen Vater sogar die Entnahme von Blutproben zu dulden ist. Nur wenn eine solche Gewebe- oder Blutentnahme gesundheitlich unzumutbar ist, besteht ein Recht, sich zu weigern. Dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden damit hier im Zivilrecht klare Grenzen gesetzt, was die Frage aufwirft, warum der heimliche Vaterschaftstest verboten sein soll, wenn sogar der zwangsweise Vaterschaftstest zulässig sein kann.
Angesichts der erheblich höheren Belastung, die ein unfreiwilliger Vaterschaftstest gegenüber einem nur heimlich durchgeführten Test für das Kind bedeuten wird, ist das Argument, dass der eine wenigstens formal korrekt und offen durchgeführt wird, schwach. Die Antwort liegt wohl im materiellen Recht: Die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft gegen den Willen von Mutter und Kind ist nur nach Überwindung von erheblichen Hürden möglich, so dass es selten zu einem solchen unfreiwilligen Verfahren kommen wird. Dann allerdings sind die Beeinträchtigungen enorm – und zeigen, dass die Debatte an sich als Debatte über rechtliche Probleme und Verfahrensweisen falsch angesiedelt ist: In dem Moment, wo eine Vaterschaft so drängend angezweifelt wird, dass ein Test überhaupt in Erwägung gezogen wird bzw. nur noch als heimlich durchgeführter Test oder sogar als gerichtlich erzwungener Test vorstellbar ist, kann selbst eine nur akzeptable Lösung kaum mehr gefunden werden.
Das Recht kann ein zerstörtes soziales Verhältnis, das Voraussetzung einer so in Zweifel gezogenen Vaterschaft ist, nicht reparieren. Es kann allenfalls eine Notlösung formalisieren und, wenn selbst diese, wie in den Konstellationen, um die es dabei geht, nicht vorstellbar erscheint, nur noch bestimmen, wessen Interessen bis zu welchem Punkt vorzugehen haben. Die Folgen einer solchen Setzung werden ohnedies sozial schwer nachvollziehbar sein – was die Setzung nicht falsch macht, aber ihre Grenzen deutlich zutage treten lässt.
Heimlich vorgenommene Tests sind zwar nicht verwertbar, ihr Ergebnis, dass die in diesen Verfahren klagenden nichtehelichen Väter nicht die leiblichen Väter der Kinder sind, ist damit aber nicht aus der Welt.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Bundesgerichtshof seine Entscheidungen, die mit guten Gründen zugunsten des Rechts des Kindes ausgefallen ist, treffen konnte, auch ohne dass er mit dem noch in der Beratung stehende Gendiagnostikgesetz, das auch die Legalität von Vaterschaftstests regelt, eine moderne gesetzliche Grundlage dafür gehabt hat.
Das hat sicher damit zu tun, dass zwar die Verfahren der Vaterschaftsfeststellung durch die Möglichkeit von DNA-Tests leichter angewendet werden können, der grundlegende Konflikt aber, anders als bei anderen Problemen, die das Gendiagnostikgesetz regeln soll, nicht neu ist. Das Bemühen von Männern, ihre Vaterschaft zu hinterfragen oder zweifelsfrei festzustellen, ist so alt wie die Familie. Solange der DNA-Test nur zur Feststellung der Vaterschaft verwendet wird, bestehen also, trotz mancher Gemeinsamkeiten, wichtige Unterschiede etwa zu pränatalen Tests, die eben auch nicht an Kindern, sondern an Feten durchgeführt werden.
Immerhin ist vorstellbar, dass Eltern in Zukunft auf die Idee kommen könnten, andere Tests an Gewebeproben ihrer Kinder durchzuführen – beispielsweise Tests auf Veranlagungen oder Begabungen. Hier wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kindes eine größere Rolle spielen können – nur ist die entscheidende Frage, wie sich dieses Recht gegen die Eltern, die ja ein Sorgerecht haben, durchsetzen lassen wird.
In diesen Konflikten wird es darauf ankommen, wie stark und konsequent das Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung ausgestaltet ist. Auch hier gilt: Das Recht kann die anstehenden Konflikte nicht wirklich lösen, aber es kann Leitlinien geben und Ausdruck der normativen Vorstellung sein, dass Kinder ein Recht auf ein Leben nach ihren Vorstellungen haben. HANS-GÜNTER SCHMIDT
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