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Archiv-Artikel

Schwarz auf Schwärzer

Die 80er Jahre sind nicht tot. Überhaupt nicht. Denn wenn Deutschlands älteste Thrash-Metal-Band Kreator eine Autogrammstunde im Hamburger Saturn gibt, lernen wir: „Papa hört auch Metal“

Tapfer trommelt der Titelsong des neuen Kreator-Albums „Enemy of God“ gegen das hirnknetende Geilgeiz-Geseier des Hamburger Saturns an. Mit dem Doppeltretschlagzeug tritt der Song nach Handyklingeltönen, mit rauchigem Frickelsolo quietscht er die MTV-Marshmellows aus den CD-Auslagen. Eine Autogrammstunde lang. Danach suppt wieder Richard Marx‘s Zuckerbrühe aus den Boxen und siebzehnjährige Krawattenträger versuchen Telefonverträge zu verticken. Aber bis dahin! Bis dahin trägt man die Haare im Saturn offen.

„Bitte hierhin, da auf den Bauch.“ Ein junger Mann mit rotem Stern auf der Mütze hebt seine Gitarre auf den Signiertisch und deutet nach ganz unten. Kreator-Sänger Miland „Mille“ Petrozza sitzt da und guckt ein wenig hilflos. Das Instrument ist sehr schwarz und sein Stift ebenso. Gitarrist Sami Yli-Sirniö hilft mit einem goldenen aus.

Hinter dem Jungen mit der Sternmütze stehen die Fans, in einer Reihe, einmal quer durch die vierte Etage des Pieptonkosmos am Hamburger Hauptbahnhof: Schwarzmäntel, Dunkelelfen, Kinnbartträger, IT-Systemadministratoren mit Holzfällerhemden-Chic, Harleybräute nebst Jeanskuttenträgern. Die meisten haben ein Ding, ein Shirt, einen Rucksack, eine CD, einen Vergaserkolben oder ein Poster mit, welches sie zur Unterschrift vorlegen. Die Coolsten lassen sich die Haut bemalen.

Es ist einfach, über Kreators Blut- und Terror-Rock zu lästern. Pop-Avantgarde war diese Musik nie. Als Elternschreck taugt sie heute auch nicht mehr, eher stirbt sie als eine Art hermetisches System vor sich hin. Heavy, oder, in diesem Fall, Thrash-Metal ist etwas für Freizeit-Berserker und Rockmusik-Nerds. Oder für Sinnsuchende.

„Wir fühlen uns schon sehr verlassen. In Henstedt-Ulzburg hört außer uns fast niemand Metal“, sagt Melana und dreht ihr Army-Täschchen mit dem frischen Autogramm ins Licht. „Keine Ahnung, was das heißen soll. Michi? Mike? Milan?“ Ihre Freundin Svenja zieht den Stoff glatt, damit sie das Edding-Gekrakel besser lesen kann. Sie blinzelt, um ihre Augen hat sie Kajal-Ringe gemalt.

Ob‘s der Sänger oder Basser ist, der Drummer oder der Gitarrist? Svenja zuckt mit den Schultern. Jedenfalls haben Kreator komplett auf Melanas Tasche unterschrieben. Kreators Musik würde sie als „Melodic-Metal“ mit dem Zusatz „Thrash“ bezeichnen. Svenja kennt Kreator schon ziemlich lange, denn „Papa hört auch Metal“.

Kreator sind nach ihren zehn Alben einige Jahre älter als ihre jungen Fans: Das Debüt „Endless Pain“ erschien 1985 – die beiden Mädchen aus der Randbebauung Hamburgs sind zusammengerechnet so um die 30. Die Fachpresse meint, dass die Band mit „Enemy Of God“ wieder an den Stil älterer Alben anknüpft und dem Zeitgeist trotzt. Außerdem sei die Platte ein Fanal gegen die Religionskriege unserer Zeit. Für einige Fans ab heute mit Unterschrift. Es ist tatsächlich sehr einfach, über Heavy Metal zu lästern. Markus Flohr