Auf den Tod ist das Heim nicht vorbereitet

Eine Fachtagung im Congress Centrum beschäftigt sich mit dem Sterben im Heim und will angemessene Begleitung populärer machen – doch Tod und Trauer sind in deutschen Pflegeeinrichtungen noch ein Tabu: Sie verstehen sich als „Ort des Lebens“

Bremen taz ■ 850.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland, die meisten davon in Pflegeeinrichtungen. Nur zwei von fünf BremerInnen sterben in ihren eigenen vier Wänden, so Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD). Die anderen drei sterben in einem Krankenhaus oder Altenheim. Grund genug für das Bremer Erwin-Stauss-Insitut (ESI), sich gestern und heute auf einer Tagung im Congress Centrum des Themas „Sterben im Heim“ anzunehmen, zusammen mit rund 100 Fachleuten und Praktikern.

„Das Sterben in Deutschland ist oft Würde verletzend“, sagt Uwe Reuter, Geschäftsführer des ESI: „Schwerkranke und Sterbende empfinden sich in vielen Fällen als wertlos und haben Angst.“ Zwar gehören Tod und Trauer in allen stationären Pflegeeinrichtungen eigentlich zum Alltag. „Aber gerade für eine würdevolle Sterbebegleitung sind Altenheime oder Kliniken oft nicht gerüstet“, sagt Reuter.

Wer den PatientInnen ein Sterben in Würde gewährleisten wolle, der stelle „hohe Anforderungen“ an das Management einer Pflegeeinrichtung. Was nach Reuters Worten fehlt, sind nicht nur mehr und besser ausgebildete Altenpflegekräfte oder eine klare Vorstellung darüber, wie die Pflege vor Ort überhaupt aussehen soll. „Auch die Kooperation mit Ärzten und Angehörigen ist oft unbefriedigend.“

Reuter will mit der Bremer Tagung die Sterbebegleitung auch außerhalb der Wissenschaft „populär“ machen. „In der Praxis der deutschen Pflegeheime spielt dieses Thema heute noch keine große Rolle. In Norwegen oder Österreich ist das schon ganz anders.“

Der Tod sei hierzulande noch immer ein Tabu, betonte auch Hartmut Dietrich, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates des ESI. Die Pflegeeinrichtungen wollten „Orte des Lebens“ sein – nicht Sterbeorte. Deshalb sei es „schon eine Leistung“, wenn das Sterben im Heim überhaupt von dort arbeitenden PflegerInnen akzeptiert werde.

Schließlich ist beim Thema Tod die Einstellung der BetreuerInnen ausschlaggebend für den Umgang gegenüber den PatientInnen. Das zumindest hat Clemens Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen herausgefunden. „Wer selbst große Angst vor dem Tod hat, ist auch selten bereit, mit PatientInnen über das Sterben zu reden“, sagt der Psychologie-Professor. Zunächst einmal müssten sich also PflegerInnen über ihre eigenen Ängste klar werden. Erst danach seien sie in der Lage, den Tod zu „enttabuisieren“ – beispielsweise mit konkreten Abschiedsritualen.

Auch die palliative Geriatrie könne helfen, eine „veränderte Abschiedskultur“ in deutschen Pflegeheimen zu etablieren, sagt Reuter. Ziel der palliativen Medizin ist es, Schmerzen zu lindern und den sterbenskranken Patienten das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Neben einer medizinischen Betreuung gehören dazu oft Hilfestellungen bei sozialen Problemen oder religiösen Fragen.

Doch nur zwei Prozent aller Sterbenden in Deutschen werden laut ESI palliativ versorgt, vier Prozent werden im Hospiz betreut oder erhalten persönlichen Beistand. Der Bedarf jedenfalls steigt: Die meisten Menschen können heute nicht nur ein langes Leben erwarten, so Tesch-Römer – sondern auch ein langes Leiden vor dem Tod.

Jan Zier