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Archiv-Artikel

Vom Haudrauf-Skin zum Pop-Nazi

Die Kameradschaften denken um: Die erfolgreiche NPD wird nicht mehr als parlamentarisch verachtet

Sie heißen „Märkischer Heimatschutz“ oder „Pommersche Aktionsfront“ – und sie gewinnen immer mehr Einfluss. Der Verfassungsschutz vermutet, dass die Zahl der gewaltbereiten Neonazis im vergangenen Jahr um 800 auf nun insgesamt 3.800 Personen gestiegen ist. Der Erfolg von Kameradschaften beruht auf ihrer zunehmenden Attraktivität vor allem in Ostdeutschland – und zwar weit über die rechte Szene hinaus.

Diese Entwicklung versucht sich die NPD zunutze zu machen. Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Partei gegen Neonazis wurden aufgehoben, Parteichef Udo Voigt erklärte, man müsse auch Rechten, die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen, eine Heimat in der NPD geben.

Nach dem Wahlerfolg in Sachsen ist die NPD auch für die Kameradschaften interessanter geworden. Noch vor einem Jahr galt die NPD den Kameraden als eine der schwerfälligen und zu wenig radikalen Parteien, von denen man sich Anfang der 90er nach einer Verbotswelle gegen neonazistische Organisationen eigentlich lösen wollte. Ihr Weg: „nationaler Widerstand“ in losen und juristisch kaum angreifbaren Zellen. Mehr als die Zusammenarbeit bei Protestaufmärschen hatten die parlamentarisch orientierte NPD und die sich gerne als revolutionär empfindenden Kameraden lange nicht gemein. Heute hingegen sitzen prominente Kameraden in der Partei.

Zu Masseneintritten aus dem Kameradschaftsspektrum ist es auch jetzt nicht gekommen. Die NPD hofft aber auf auf die Loyalität eines losen Netzwerks militanter Neonazis. Die deutschlandweit 160 Kameradschaften könnten die Funktion übernehmen, an der die NPD-Jugendorganisation Junge Nationale bislang gescheitert ist: bei der politisch noch unbedarften Jugend für den rechtsextremen Nachwuchs zu sorgen. „Die Spaßgesellschaft ist auch bei uns am Ende“, behauptet Sachsens NPD-Fraktionschef Holger Apfel. „Diese Jugend will wieder politisch arbeiten.“ Apfel und seine Genossen stellen sich einen Deal vor: Die Kameraden geben ihnen Nachwuchs, sie den Kameraden politische Bedeutung.

Doch so einfach, wie sich die NPD das Geschäft wünscht, ist es nicht. Gerade das, was Apfel als die „Spaßgesellschaft“ brandmarkt, hat den jungen Rechtsextremen Erfolg gebracht: weg vom Haudrauf-Skin zum Pop-Nazi, der Standpunkte vertreten kann, ohne sich damit als militanten Rechtsextremisten stigmatisieren lassen zu müssen. Sie docken an bestehende Jugendkulturen an, bieten mit spektakulären Aufmärschen eine ideologisch unterfütterte Erlebniswelt und schaffen mit eigener Musik einen rechten Lifestyle, der an vielen ostdeutschen Schulen zum Mainstream geworden ist. Vom aktuellen Zuwachs besonders betroffen ist Berlin, wo das neue Kameradschaftsdenken vor etwa zwei Jahren seinen Anfang nahm. Die Zahl der Neonazis ist hier innerhalb von einem Jahr von 750 im Vorjahr auf 950 gestiegen. Die meisten von ihnen sind gerade einmal zwischen 14 und 24 Jahre alt. „Die Szene braucht ihre Erlebniswelten und identitätsstiftende Ereignisse“, sagt Henning Flad, der zu rechter Jugendkultur forscht, „nicht umsonst sind die Hess-Aufmärsche gut besucht und die zu Hartz IV nicht.“ Auch sonst stößt die NPD auf Widerstand, denn viele wie der bekannte rechte Aktivist Christian Worch bezweifeln die Wandlung der NPD zu einer „revolutionären Partei“.

Er und seine Anhänger fühlten sich erst kürzlich wieder bestätigt. NPD-Chef Holger Apfel erstattete Anzeige, als der sächsische CDU-Fraktionschef Fritz Hähle Apfel als Nationalsozialisten bezeichnete. Öffentlich ließ die NPD verbreiten, dass diese Bezeichnung eine Diffamierung sei. Solches kam bei den Kameraden gar nicht gut an. „Damit schlägt man jeden Nationalsozialisten vor den Kopf“, heißt es in einem entsprechenden Forum. Die NPD ließ verbreiten: „Das lässt uns kalt.“ Kenner der Szene wundert diese Reaktion nicht. „Eigentlich sehen sich beide Seiten immer nur als Werkzeug“, sagt David Begrich, Experte für die Militanten. „Und jede der beiden Seiten stellt sich immer die Frage, wie hoch der Preis für einen selbst ist, wenn man das Werkzeug benutzt.“ FELIX LEE, DANIEL SCHULZ