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Archiv-Artikel

Das Schweigen der Bauern

Requiem für eine Landschaft: Der Regisseur Raymond Depardon kehrt zurück in die verlassenen Dörfer seiner Kindheit. In seinem Film „Profils paysans: le quotidien“ (Forum) bricht er das Misstrauen der Übriggebliebenen

Der Bauernhof, auf dem Raymond Depardon in den Vierzigerjahren seine Kindheit verbrachte, ist ein schmuckloses Anwesen. Mittlerweile steht der Betrieb still, sein ebenfalls in die Jahre gekommener Bruder Jean ist mit der beschwerlichen Arbeit, mit Obstanbau und Viehzucht überfordert. Teile des Hofs sind bereits an Makler verkauft, die dort Ferienwohnungen einrichten werden. So geht es vielen Bauern in der Region Villefranche-sur-Saône, im Zentrum von Frankreich.

Mit dem Aussterben der Agrikultur hat sich der Filmemacher und Magnum-Fotograf Raymond Depardon schon vor zehn Jahren in einem Bildband befasst. Damals vermutete er, dass eine Epoche zu Ende gehen würde: „Gestern war es noch Land, heute ist es die Peripherie der Stadt. Und morgen?“ Für die Dokumentation „Profils paysans: le quotidien“ ist er nun in die Gegend seiner Jugend zurückgekehrt. Tatsächlich hat sich an dem Debakel wenig geändert: Wenn sich nicht neue Pächter finden, ist es mit der französischen Landwirtschaft vorbei.

Entsprechend beginnt der Film wie ein Requiem. Zur Beerdigung eines alten Bauern versammelt sich ein Häufchen aus Übriggebliebenen. Der Pfarrer sagt ein paar lobende Worte über den Verstorbenen, die anderen Alten hören starr und in sich gekehrt zu. In den folgenden achtzig Minuten wird Depardon versuchen, sie zum Sprechen zu bewegen, aber das Misstrauen ist groß. Wie sollte ein Regisseur aus Paris ihre Lage ändern können?

Manchmal bricht die Verstocktheit auf. Dann erzählt ein Hirte, wie viel ihm das Land bedeutet und wie schwer es fällt, an die Zukunft zu denken, in der kein Nachwuchs sich um seine Ziegen kümmern wird. Die Situation ist für alle Beteiligten ähnlich: Die 87-jährige Marcelle Bresse muss nach einem Sturz gepflegt werden; das auch schon 60-jährige Ehepaar Paulette und Robert Maneval hat mehr Glück und kann den eigenen Hof zu einem guten Preis verkaufen. Was sie jetzt mit ihrem Leben anfangen sollen, wissen sie allerdings nicht – vielleicht ein, zwei Stunden länger schlafen?

Depardon achtet bewusst auf solche Momente, in denen private Wünsche in den Biografien der scheuen Landbevölkerung durchschimmern. „Warum filmen Sie mich?“, fragt eine argwöhnische Nachbarin, die zufällig ins Bild gerät; und eine andere Frau antwortet ihr: „Weil Sie da sind.“

Das sind die unhintergehbaren Tatsachen, der Istzustand, auf den es Depardon abgesehen hat. Unentwegt geschieht Wirklichkeit, an der der Filmemacher aktiv teilnehmen muss, damit sie nicht zur Fiktion gerinnt. Deshalb benutzt er die Kamera wie einen Fotoapparat, während die Dialoge dem eingefangenen Augenblick als eine Art akustische Bildbeschriftung dienen.

Das ist die Stärke von „Profils paysans“: Nie hat man den Eindruck, der Regisseur wollte den Niedergang mit jammernden Zeitzeugen belegen. Immer gibt es auch Gegenbeispiele, so wie Amandine, die mit 22 Jahren das Abenteuer wagt und einen Hof übernimmt. Oder Alain, der sich mit seinen 49 Jahren nach einer Frau sehnt und schließlich per Heiratsannonce doch noch fündig wird. Er hat Glück, so ist das Leben. Den anhaltenden Verfall der französischen Landwirtschaft aber könnte die Politik stoppen, indem sie von ihren bürokratischen Auflagen bei der Weitergabe von Höfen abrücken würde. Auch das vermittelt Depardons Film fast nebenher, aber sehr genau. HARALD FRICKE

„Profil Paysans“: 12. 2., 16 Uhr, Delphi; 13. 2., 19 Uhr, CineStar 8; 19. 2., 17.30 Uhr, Arsenal