: Stimmliche Randlagen
ANATOMISCH KORREKT „Die deutsche Mutter“ – eine abwechslungsreiche, aber auch entwicklungsresistente Mythosforschung im Hau-Theater
Ein ziemlich gutes Arschgeweih ziert den Programmzettel zur Berliner Aufführung von Inga Helfrichs Stück „Die deutsche Mutter“. Es zeigt die inneren weiblichen Geschlechtsorgane, den Gebärapparat, in anatomisch korrekter Ausführung. Daneben, klassisch, offenbart sich ein Stück Speckrolle unter knappem schwarzem T-Shirt. Sieht sie heute so aus, die deutsche Mutter? Trägt sie ihre sexuelle Identität so selbstbewusst auf ihrem üppigen Körper spazieren?
Schrill treten sie jedenfalls auf, die sieben Damen, die Inga Helfrich auf die Bühne geschickt hat, um dem deutschen Mutterwesen ein bisschen Drama zu verleihen. In ihrer körperbetonten bunten Kostümierung,erinnern sie allesamt recht wenig an die deutsche Mutter, wie man sie kennt.
Abgesehen vielleicht von derjenigen unter ihnen, die an diesem warmen Abend ein Insektenkostüm aus Plüsch tragen muss, da sie eine Variante des Kleinkinderklassikers „Die kleine Raupe Nimmersatt“ zum Besten geben wird. Eine ihrer schrillen Bühnenschwestern wiederum entledigt sich bei nächster Gelegenheit der Glitzerklamotten und der sexy Strumpfhose, um sich im weißem Rock und Madonnen-T-Shirt als Modell der Opferbereitschaft und Unschuld zu kleiden.
Wortreiche Nanny
Dazu spricht sie einen herzerweichenden Monolog von unglücklicher Kindheit, früher Mutterschaft und Alleinerziehendendasein. Allzu dicht daneben steht der Chor der Zuhörerinnen, der mitleidlos wie ein Automat ein so stetes wie ungerührtes „Oh mein Gott!“ hervorstößt.
Die Inszenierung schafft immer wieder emblematische Szenen wie diese und wechselt unterhaltsam zwischen Ensembleauftritten und Soli, die den Schauspielerinnen textlich viel abverlangen. Eine Hausfrau kommt zu Wort, die mit Kind zu Hause ist und sich mit Powershopping Momente des Glücks erkauft; eine schlecht organisierte Mutter erlebt einen stressigen Nachmittag mit Kleinkind auf dem Spielplatz; wortreich artikuliert sich ein Model, das sich eine Nanny für die Kinder hält und doch ein schlechtes Gewissen hat.
Die Monologe werden atemlos und in stimmlichen Randlagen vorgetragen, die Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs markieren. Das ist nicht nur für die Schauspielerinnen ein gutes Stück Arbeit, denn auch das Publikum muss sich ob der hohen Redetempi beim Zuhören nicht wenig konzentrieren.
Fast schon Entspannung bedeutet es da, wenn die Frauen mit verteilten Rollen Titel von Fernsehsendungen aufsagen oder eine von ihnen eine endlose Litanei von Elternbüchern herunterbetet.
Ferner werden Kafka, die Nibelungensage und die Brüder Grimm textlich angerissen, der inhaltliche Bogen also weit gespannt. So weit allerdings, dass die Inszenierung sich gänzlich auf die Assoziationskraft der Rezipienten zu verlassen scheint. Dass die Mutterrolle hinterfragt und vielfach ironisch gebrochen werden soll, hatte man ja gleich verstanden.
Da ist es nur folgerichtig, dass man, während das so abwechslungsreiche wie entwicklungsresistente Assoziationsspiel fortschreitet, irgendwann denkt, was man will. Und da der Abend mit einem deutschen Märchen begonnen hatte, in dem eine Mutter ihre Kinder essen will, um nicht zu verhungern, und da er damit endet, dass die sieben Frauen so nachdrücklich wie falsch „I never promised you a rose garden“ intonieren, möchte man fast denken, dass dieser Liedtext weniger ein Ausdruck bitteren Trostes ist. Sondern eher eine handfeste, an das Kind gerichtete Drohung. Eine deutsche Mutter zu sein ist schließlich kein Spaß! KATHARINA GRANZIN
■ Weitere Aufführung: 20. 6., 19.30 Uhr