: Sozialdemokraten versprechen, EU-Richtlinie zu entschärfen
Im EU-Parlament wollen die Sozialdemokraten der umstrittenen Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung von Dienstleistungen die Zähne ziehen, kündigt ihr Fraktionschef Martin Schulz im Bürgerhaus Stollwerk an. Die Globalisierungskritiker von Attac fürchten eine Mogelpackung
KÖLN taz ■ Frits Bolkestein? Auch im Kölner Bürgerhaus Stollwerk erhitzt der ehemalige EU-Kommissar mit der von ihm ins Leben gerufenen, geplanten EU-Richtlinie die Gemüter. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün sieht wegen Bolkestein sogar das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in Gefahr: „Bauarbeiter könnten auf Kölner Baustellen arbeiten ohne entsprechende Kölner Standards.“ Grund genug für sie, zur Podiumsdiskussion zu laden, und gleich auch noch das Dienstleistungsabkommen der Welthandelsorganisation, das GATS, mitzudiskutieren. Denn dadurch sei die „sozial und ökologisch sinnvolle“ Quersubventionierung Kölner Verkehrsbetriebe durch die Stadtwerke in Gefahr.
Offenbar traf Akgün mit der Veranstaltung einen Nerv. Der Raum im vierten Stock des Bürgerhauses war am Freitag Abend jedenfalls prall gefüllt. Neben ihr auf dem Podium: Martin Schulz, sozialdemokratischer Fraktionschef im Europaparlament, Christina Deckwirth von Attac, Jörg Gonsior von Ver.di Köln und Reiner Metz vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).
Auf Kritik stieß bei den Diskutanten vor allem das von Bolkestein vorgesehene „Herkunftslandprinzip“. Danach soll bei Dienstleistungen nicht mehr der Ort entscheidend sein, wo sie erbracht werden, sondern der Firmensitz des Dienstleisters. Mit der Richtlinie solle die Entscheidung des Verbrauchers zum alleinigen Maßstab werden, erläuterte Schulz den Gedanken dahinter. Wohin das führt? „Diejenigen werden am günstigsten sein, die ihren Sitz in Malta haben – mit Briefkastenfirma.“
Das führe letztlich zu „Inländerdiskriminierung“, kritisierte Reiner Metz. Der VDV sei zwar nicht gegen jede Marktöffnung im Verkehrssektor, aber das müsse „vor Ort“ geregelt werden. Dass nichts gegen ausländische Arbeitskräfte einzuwenden sei, betonte Christina Deckwirth von Attac. Aber: „Für ausländische Arbeitskräfte müssen hier deutsche Standards gelten.“ Würde das Herkunftslandprinzip eingeführt, seien Tarifverträge und Mitbestimmung in Gefahr, warnte Jörg Gonsior von Ver.di.
„Erste Auswirkungen haben wir bereits“, berichtete der Gewerkschafter, der auch Mitglied im Aufsichtsrat der Kölner Stadtwerke ist. „Ein stückweit Lähmung“ machte er bei der Kölner Entsorgungswirtschaft aus, weil nicht klar sei, wie künftig die rechtliche Lage sei: „Entscheidungen über künftige Strukturen bleiben aus“. Der Kommunalpolitik warf er vor, sich dem Problem nicht zu stellen und das Thema „auf die lange Bank“ zu schieben. Selbstkritisch räumte er aber auch ein, dass die Gewerkschaften mehr tun müssten. Zwar sei seine Gewerkschaft gegen Bolkestein und GATS, aber außer Ver.di würden nur noch der DGB und die IG Bau das Thema überhaupt bearbeiten.
Schulz, der Bolkestein als „ein bisschen rechts vom Otto Graf Lambsdorff“ charakterisierte, will im EU-Parlament über die Pläne des Niederländers verhandeln: „Es nicht zu tun, wäre in hohem Maße fahrlässig.“ Denn in dem Parlament seien die liberal-konservativen Befüworter von Bolkestein zwar in der Mehrzahl, aber ihnen fehle die nötige Mehrheit. Daher müssten sie Kompromisse eingehen, so seine Hoffnung.
Genau hier setzte bei Christina Deckwirth die Skepsis ein. Die Attac-Vertreterin erinnerte daran, dass die SPD nicht geschlossen gegen Bolkestein sei. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement zum Beispiel befürworte die Richtlinie. Deckwirth befürchtet daher, dass es letztlich höchstens kleine Veränderungen geben werde.
Sie mahnte außerdem an, in der Diskussion um die EU-Dienstleistungsrichtlinie das GATS nicht zu vergessen. „Bolkestein und GATS sind zwei Seiten einer Medaille und ergänzen sich.“ Kritisch ging sie auch mit der EU ins Gericht. Im Falle des Wassermarktes fordere diese von 72 Ländern, ihre Märkte für EU-Wasserkonzerne zu öffnen. Insofern sei Bolkestein nur der Versuch, diese Liberalisierungspolitik innerhalb der EU voranzutreiben und „europaweit Expansionsmöglichkeiten für Konzerne“ zu schaffen, indem „Standortwettbewerb innerhalb eines Landes“ ermöglicht werde.
DIRK ECKERT