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Archiv-Artikel

Schwule Alte unter Rationalisierungsdruck

Stefan Jüngst kämpft als NRW-Landeskoordinator für schwule Seniorenarbeit gegen Diskriminierung von Homosexuellen im Alter. Auch er leidet unter den knappen Landesfinanzen: Seine Stelle soll Ende 2005 wegfallen

KÖLN taz ■ „Bei uns gibt es keine Diskriminierung.“ Mit diesem Satz wird Stefan Jüngst häufiger in seiner Arbeit konfrontiert. Als Landeskoordinator für schwule Seniorenarbeit in NRW setzt er sich in Gesprächen mit Vertretern der klassischen Altenhilfe seit mehreren Jahren für die Gruppe der älteren Schwulen ein. Immer wieder stößt der 39-Jährige auf Unwissen, Unsicherheit und teils harte Ablehnung. Kein Wunder also, dass 50 Prozent der schwulen Alten die bestehenden Angebote für Senioren nicht wahrnehmen. Drei Viertel der Lesben und Schwulen fürchten sich laut einer aktuellen Befragung der Münchener Gleichstellungsstelle sogar vor Diskriminierung in Altenheimen oder Seniorentreffs.

In NRW leben über 300.000 Lesben und Schwule, die älter als 60 Jahre sind. Um so wichtiger ist der Einsatz von Jüngst, der nicht nur Verwaltung, Politik und Fachkräfte für das Thema sensibilisiert. Der Psychologe betreut darüber hinaus in Köln konkret fünf generationsübergreifende Projektgruppen für ältere Schwule. In NRW gibt es noch acht weitere Selbsthilfegruppen, die aber ausschließlich ehrenamtlich geleitet werden. „Hier besteht natürlich immer wieder die Gefahr, dass das Angebot wegfällt“, beschreibt Jüngst die sehr zerbrechliche Selbsthilfestruktur. Doch auch die Kölner Gruppen können sich nicht in Sicherheit wiegen. Die Stelle des Landeskoordinators für schwule Seniorenarbeit soll Ende des Jahres wegfallen.

„Das schwule Seniorenbüro muss unbedingt erhalten bleiben“, fordert Reinhard Klenke vom Vorstand des „Schwulen Netzwerk NRW“ e.V. Da die herkömmlichen Altenangebote nicht explizit für diese Zielgruppe vorbehaltlos offen sind und von ihnen daher nicht angenommen werden, brauche es eigene Strukturen. Noch vor der Landtagswahl im Mai werden die schwulen Lobbyisten mit allen Fraktionen Gespräche über die Förderung schwuler Selbsthilfe in NRW führen. Schwerpunkt ist dieses Jahr die Seniorenarbeit für Lesben und Schwule. So fordert das Netzwerk auch eine Koordinationsstelle für lesbische Seniorinnenarbeit und zusätzliche Stellen für die Beratung. „Bisher gibt es keine regionalen Strukturen für die Seniorenberatung von Lesben und Schwulen in NRW“, begründet Netzwerk-Geschäftsführer Alexander Popp die Forderungen.

Bereits im August 2004 legte das Kölner Beratungszentrum „Rubicon“ der Verwaltung und Politik dazu ein Konzept für zwei „Regionale ALTERnativer Netzwerke“ (RAN) für alte Lesben und Schwule vor. Durch die Unterstützung einer offenen Seniorenarbeit sollen die geschätzten 22.000 homosexuellen Alten in Köln ihr Selbstwertgefühl steigern können. Mit der Fachtagung „AufBruch“ informiert das „Rubicon“ im kommenden April über die aktuelle Lebenssituation älterer Lesben und Schwuler in NRW. Landesfamilienministerin Birgit Fischer (SPD) soll dann sprechen. Möglicherweise hat die Ministerin so kurz vor der Wahl ja gute Nachrichten für die lesbischen und schwulen Alten im Gepäck. Denn schließlich gehen auch sie im Mai wählen.

THOMAS SPOLERT