: Johannes Paul II. atmet weiter
Der Papst muss nach Luftröhrenschnitt nur „ein paar Tage auf seine Stimme verzichten“, heißt es offiziell. Doch schon denkt der Vatikan an erste Regelungen für die Vertretung des kaum noch einsatzfähigen 84-Jährigen. Die aber ist nicht vorgesehen
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Nach seiner Einlieferung ins Gemelli-Krankenhaus in Rom musste sich Papst Johannes Paul II. noch am Abend des Donnerstag einem Luftröhrenschnitt unterziehen. Der Eingriff war notwendig geworden, um der akuten Atmungsprobleme Herr zu werden, die sich mit einem Rückfall nur 14 Tage nach der Rückkehr des Papstes von seinem letzten Krankenhausaufenthalt eingestellt hatten.
Unmittelbar nach dem Eingriff hieß es, die Operation sei gut verlaufen, und gestern Morgen folgte die Nachricht, Johannes Paul II. habe die Nacht nicht auf der Intensivstation, sondern in seinem Krankenzimmer verbracht; er könne frei und ohne Sauerstoffzufuhr atmen. Auch die Bulletins des Vatikans sind ganz offensichtlich darauf gerichtet, die Dramatik der Situation herunterzuspielen. So hieß es in einem Kommuniqué vom Donnerstagabend, „Grippesymptome“ hätten „zu erneuten zusätzlichen Episoden akuter Atemnot“ geführt; Verlauf und Ergebnis des Eingriffes seien jedoch „regulär“. Noch weiter ging Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der gleich mit den Worten „Es besteht keine Gefahr“ Entwarnung gab.
Gestern Mittag dann teilte Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls mit, der Luftröhrenschnitt sei „ganz gewiss kein Notfalleingriff“ gewesen, sondern bloß erfolgt, um die Abheilung der Kehlkopfentzündung zu fördern; der Papst habe „mit gutem Appetit gefrühstückt“ und müsse nur „einige Tage auf den Gebrauch seiner Stimme verzichten“.
Doch das ist natürlich höchstens die halbe Wahrheit über einen 84-jährigen Patienten, der seit Jahren durch die Parkinson’sche Krankheit gezeichnet ist und bei dem deshalb ansonsten normale Atemwegserkrankungen schnell zu schweren Komplikationen bis hin zur Lungenentzündung und zum Lungenödem führen können. Wie in den italienischen Medien verlautet, übte sich der Vatikan schon während der ersten schweren Krise des Papstes zu Monatsanfang im Herunterspielen der tatsächlichen Gefahren. So habe man damals während der ersten zwei Tage des Krankenhausaufenthaltes akut um das Leben des Patienten gefürchtet, und so sei Johannes Paul II. entgegen allen offiziellen Verlautbarungen künstlich beatmet worden. Nicht umsonst wurden die entwarnenden Töne am Donnerstag aus den Reihen der Kurie selbst konterkariert; Camillo Ruini, Vikar für die Diözese Rom und Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz, rief die Gläubigen „inständigst“ zu Gebeten auf, „den Heiligen Vater zum Wohle Roms, der Kirche und der Menschheit in seiner Mission zu erhalten“.
Zugleich stellt sich die Frage, in welcher Form der Papst seine Mission in Zukunft überhaupt wird erfüllen können. In den letzten 14 Tagen hatten er und die Kurie sich um schnelle Rückkehr zu scheinbarer Normalität bemüht. So hatte Johannes Paul II. den Präsidenten Kroatiens genauso wie die spanischen Bischöfe in Audienz empfangen, und so hatte er selbst am letzten Sonntag das Angelus von seinem Fenster über dem Petersplatz verlesen. Doch seine Kräfte reichen für solche Anstrengungen nicht mehr aus.
Deshalb ist gut denkbar, dass die katholische Kirche in Zukunft einen „unsichtbaren“ Papst haben wird, einen Papst, zu dem auch engste Kurienmitarbeiter Zugang nur noch über seinen Privatsekretär haben, Erzbischof Stanislaw Dziwisz.
Solange aber der Papst bei vollem Bewusstsein und in der Lage ist, die in der Kurienbürokratie vorbereiteten Entscheidungen abzunicken, halten sich die Konsequenzen für die Regierungsgeschäfte der Kurie in Grenzen. Schon am Donnerstag betraute Johannes Paul zum Beispiel den Kardinal-Staatssekretär Angelo Sodano mit der eigentlich allein dem Papst zustehenden Leitung des Kardinals-Konsistoriums, auf dem fünf anstehende Heiligsprechungen bekannt gegeben wurden. Nicht beantwortet ist damit jedoch die Frage, was geschähe, wenn Johannes Paul II. nicht mehr in der Lage wäre, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, oder wenn er gar ins Koma fiele. Stellvertretungsregelungen sieht das kanonische Recht für diesen Fall nicht vor; dort heißt es nur: „Während der Heilige Stuhl vakant oder total verhindert ist, ist nichts in der Regierung der Weltkirche zu verändern.“ Sprich: Die Alltagsgeschäfte könnten ihren Lauf nehmen – doch jede Entscheidung, die dem Papst vorbehalten ist, bliebe liegen. Nur einen Ausweg gibt es aus dieser Situation: den freiwilligen Rücktritt. Schon fragen viele, ob Johannes Paul II., ähnlich wie seine Vorgänger Pius XII. und Paul VI., vorsorglich ein Rücktrittsschreiben vorbereitet hat. Die Antwort kennt wahrscheinlich nur Papst-Sekretär Dwiwisz.