: Klärchen Bohnhorsts stiller Ruhm
Lale Andersen, die Lili Marleen-Sängerin, wäre morgen 100 Jahre alt geworden. Aber wer buk den Apfelkuchen für den Schlager-Star der 1940er-Jahre? Klara Bohnhorst ist auf der Nordsee-Insel Langeoog berühmt
von Langeoog Daniel Wiese
Tatsächlich gibt es auf der Nordseeinsel Langeoog noch Menschen, die nicht wissen, wer Klärchen Bohnhorst ist. „Hallo, wir suchen das Haus von Klärchen Bohnhorst.“ Der Einheimische stoppt sein Langeoog-typisches Lastenfahrrad und kratzt sich am Kopf. „Klärchen Bohnhorst?“ „Die Haushälterin von Lale Andersen!“ „Ach so, die! Nee, tut mir leid.“
Es ist schon viele Jahre her, dass Klärchen Bohnhorst Haushälterin bei Lale Andersen war. Bei DER Lale Andersen, dem Schlagerstar der 40er Jahre, der mit dem Lied „Lili Marleen“ unsterblichen Ruhm erlangte: „Vor der Kaseeerne / vor dem großn Tor, steht eine Lateerne und steht sie noch davor“, sang sie mit ihrer einzigartigen schleppenden Stimme. 1945 kam Lale Andersen aus dem zerbombten Berlin nach Langeoog. Auf der Insel bezog sie ihren Sommersitz, auf der Insel liegt sie auch begraben.
„Wenn Sie Klärchen Bohnhorst suchen, müssen Sie zum Friedhof gehen“, sagt eine Frau mit Hund. Der Friedhof liegt bei den Dünen, es weht ein Wind von der Nordsee her wie in den Matrosenliedern, die Lale Andersen sang. Die sie singen musste, vor „Lili Marleen“ und auch wieder danach, obwohl sie doch eigentlich Brecht liebte und Tucholsky und Kästner.
Klärchen Bohnhorst ist nicht mehr bei Lale Andersens Grab, sie steht am Friedhofseingang. „Kommen Sie doch nachher bei mir vorbei“, ruft sie fröhlich, ihre Augen blitzen. Klärchen Bohnhorst wird bald 78, sie hat zwei neue Hüften, Klärchen Bohnhorst ist topfit.
„Sehen Sie mal“, sagt Klärchen, den Namen gab ihr Lale Andersen. Sie legt ein dickes Album auf den Wohnzimmertisch, die gehäkelte Tischdecke hat einen weißen Rand aus Spitze. Auf jeder Seite des Albums sind Schwarzweiß-Fotos, sie zeigen deutsche Showgrößen der 50er Jahre: Heinz Erhardt, Bruce Low, Zarah Leander. Die männlichen Showgrößen tanzen manchmal mit Klärchen Bohnhorst, die auf den Fotos noch Krüger heißt, doch der angriffslustige Zug um den Mund ist schon da.
„Los, sehen Sie“, ruft Klärchen Bohnhorst und erhebt sich ungeduldig aus ihrem schweren lindgrünen Ohrensessel. In dem Album sind auch Fotos von der jungen Cornelia Froboess, „dem lieben Fräulein Krüger zu steten Erinnerung“, steht in sauberer Mädchenschrift daneben, „21.8.1956“. Trude Herr ist in dem Album, Vivi Bach und Bill Ramsey. Und der Schauspieler Siegfried Wischnewski, „ein ganz feiner Mann, der drückte mich immer zu Apfelmus beim Abschied“.
Klärchen Bohnhorst ist an den Wohnzimmertisch getreten, sie beugt sich über das Album, sie atmet schwer. Vielleicht ist sie jetzt wieder die junge Haushälterin des deutschen Schlagerstars, und in der Strandhalle auf Langeoog treten all die Showgrößen auf. „Und bestimmt hat Lale Andersen die ihnen vorgestellt?“ „Nein nein!“, brüllt Klärchen Bohnhorst, „die habe ich selber kennen gelernt!“
Möglich, dass Klärchen Bohnhorst nicht darauf reduziert werden will, die Haushälterin von Lale Andersen gewesen zu sein – so wie Lale Andersen nicht darauf reduziert werden wollte, „Lili Marleen“ gesungen zu haben.
Als sich Klärchen, die damals Klara Krüger hieß, 1955 auf die Stellenanzeige („Haushälterin für Privatpension gesucht“) in der Welt am Sonntag bewarb, wusste sie nicht, wer dahinter steckte. Sie hatte sich schick gemacht, sie trug „so Klackschuhe mit hohen Absätzen, Pumps, ein schwarzes Kostüm und ‘ne Pillerkappe auf“. Das Vorstellungsgespräch im noblen Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten“ führte Lale Andersens Manager, eine Dame saß dabei. „Von der Aufmachung her muss das eine Künstlerin sein“, dachte Klara Krüger noch. Als sie erfuhr, dass die Dame die Sängerin von „Lili Marleen“ war, fragte sie: „Was, die lebt noch?“
Mit Lale Andersen traten die Künstler in Klara Krügers Leben. Wenn sie in Lale Andersens Wohnung in München war, ging sie Abends ins Theater, ganz allein: „Lale Andersen war ja viel unterwegs“, und sprach die Schauspieler an. „Vorher überhaupt nicht, da waren wir Landeier“. „Landeier“, den Ausdruck hat Lale Andersen immer benutzt.
Leider, sagt Klärchen Bohnhorst, kämen die Stars nicht mehr in die Strandhalle nach Langeoog. „Es gibt da auch keine Musikkapellemehr.“ Nach dem Auftritt wurden die deutschen Showgrößen der 50er Jahre manchmal auf Lale Andersens Sonnenhof eingeladen, Klärchen machte dann Kuchen, „gedeckten Apfelkuchen, den mochte Lale“.
Wie jede gute Haushälterin ist Klärchen Bohnhorst verschwiegen. Fragen nach Lale Andersen beantwortet sie, indem sie sich in ihrem lindgrünen Ohrensessel zurücklegt und die Augen schließt. Der Sonnenhof, wissen Sie, war ja eine Privatpension.
Ja, ich habe für die Gäste gekocht, und für Lale, wenn sie da war, das war sie meistens im Sommer. Und ja, manchmal hab ich sie auch begleitet. Geduldig zieht sie ein Fotoalbum hervor, es sind lauter Fotos von Lale und ihr drin. „Die Leute“, sagt sie „hielten uns immer für Schwestern“, und da schwingt doch ein bisschen Stolz in der Stimme, und in diesem Moment klingelt das Telefon, und dran ist Michael, Lale Andersens jüngster Sohn. „Es ist gerade ungeschickt, da sitzen gerade Journalisten und quetschen mich aus. Ja, bis später.“
Etwas aber gibt es noch, das muss unbedingt klargestellt werden. Lale Andersen war ja immer so braun, „braun wie ein Neger“, sagt Klärchen. „Viele sagen, das war angemalt, aber das war nicht angemalt.“ Klärchens Stimme wird lauter. „Genauso wie viele sagen, dass sie rauchte.“ Ihre Stimme dringt jetzt durch alle Wände. „Ich habe sie nie ein Glas Alkohol trinken gesehen, nicht mal ein Glas Sekt! Geschweige denn rauchen!!“
Bis 1968 war Klärchen Bohnhorst bei Lale Andersen. 1971 hat sie geheiratet. Das ist ihr zweites Leben. Nur manchmal, da kommt das erste Leben wieder hoch.