: Schön von vorne und von hinten
Eine Art Homestory aus Anlass des neuen und wie üblich allerbesten Albums von Stereo Total, „Do The Bambi“
Popstar-Allüren kennen Stereo Total nicht. Schafft man es nicht zu dem von der Plattenfirma üblicherweise im Halbstunden-Takt angebotenen Interview-Termin, ist das für Brezel Göring und Françoise Cactus kein Problem, „dann kommst du eben zu uns nach Hause und machst eine Homestory“. Zu Hause, soweit man davon bei den ständig in der Welt herumtourenden Stereo Total sprechen kann, das ist inzwischen nicht mehr Berlin-Kreuzberg, wo beide jahrelang zwischen Maybachufer und Oranienstraße gewohnt haben, sondern Mitte, die Gegend um Arkona- und Zionskirchplatz. Hier wohnen Göring und Cactus in einem versteckt stehenden und baufällig wirkenden Hinterhaus, das mit dem Mitte der 103s und Hackeschen Höfe nichts zu tun hat und genauso gut in Wedding, Neukölln oder eben Kreuzberg stehen könnte.
Das hat deshalb seine Bedeutung, da es wie so vieles darauf hinweist, dass Stereo Total die Berliner Befindlichkeiten an Schlagzeug und Synthesizer vorbeigehen und sie selbst ganz bei sich und unten auf dem Boden sind – trotz eines Status, den als „Kult“ zu bezeichnen inzwischen eine Beleidigung ist, der weit darüber hinausweist, trotz des mit über 20.000 Einheiten sehr gut verkauften letzten Albums „Musique Automatique“, trotz einer Tour mit den Strokes 2001, trotz Wochen im Voraus ausverkauften Berliner Konzerten. Und daran würde sich auch nichts ändern, sollte sich das neue Stereo-Total-Album „Do The Bambi“ sechsstellig verkaufen.
So sitzt man an diesem Freitagabend bei Stereo Totals auf dem Sofa, trinkt Bier und Sekt und versucht ihnen Aufschlussreiches zu „Do The Bambi“ zu entlocken. Was nicht leicht ist, weil die Musik von Ming, die gerade im CD-Player läuft, so manche Konzentration erfordert, Anrufe von russischen Filmemachern oder Chicks-On-Speed-Mitgliedern dazwischenfunken und Françoise Cactus überhaupt an diesem Tag grippegeschwächt die Wohnung gehütet hat.
Daher zieht sie es auch vor, Geschichten zu erzählen, deren Fäden an x-beliebigen Stellen wieder aufgenommen werden können, statt sich mitten in schlaue Pop-Diskurse zu begeben. Cactus erzählt also, wie Anke Engelke und der Kinski-Sohn Nikolai auf „Do The Bambi“ gelandet sind und warum sie über den Kinski-Sohn per anwaltlicher Verfügung nicht ein klitzekleines Wort verlieren dürfen; sie erzählt, dass mancher Song autobiografisch eingefärbt, mancher aber auch nur schöner, kruder Quatsch ist; und sie erzählt, was für ein Erlebnis die Zusammenarbeit mit der französischen New-Wave-Legende Jacno für sie war, und kramt gleich mehrere Jacno-Platten hervor.
Dem gerade von Proben mit seinem Projekt Echokrank zurückkehrenden Brezel Göring bleibt es dann vorbehalten, den entscheidenden Satz zu „Do The Bambi“ und Stereo Total im Jahr 2005 abzugeben: „Ich glaube, dass sich das neue Album in nichts von unseren ersten Arbeiten wie ‚Ah Oh Ah‘ oder ‚Monokini‘ unterscheidet“.
Man darf also beruhigt Zeitlosigkeit sagen zu allem, was mit Stereo Total zusammenhängt, und kann konstatieren, dass Stereo Total räumlich gleichfalls in ihrem eigenen Orbit kreisen. In einem Orbit, in dem sich Chansons, Punkrock, Schlager und Disko gute Nacht sagen oder aufs Schönste und manchmal Kaputteste miteinander verschränkt sind, und an den über die letzten Jahre verschiedenste Berliner Szenen aus Wohnzimmern, Galerien, Easy-und Strange-Listening-Schuppen oder City-Farmen angedockt sind, ohne länger zu verweilen oder Stereo Total hypetechnisch zu schlucken.
Natürlich ist das alles nur die eine Wahrheit. Die andere lautet, dass „Do The Bambi“ so wie jedes neue Stereo-Total-Album das beste aller Stereo-Total-Alben geworden ist: noch mehr Hits als sonst, noch mehr Zauber als sonst, noch mehr bittersüße Symphonien als sonst. Und es wurde, wie schon „Musique Automatique“, von dem Elektronikproduzenten Cem Oral einmal mehr fein, klartönend und manchmal gar fett produziert.
Wer hier jetzt aber eine neue Düsternis heraushört, gar eine neue Ernsthaftigkeit, weil Stereo Total auf dem Cover ganz VU-und CBGBs-mäßig dreinblicken und dieses Foto im Innersleeve mit leuchtenden Bambis und bunten Schneeweißchen-und-Brezel-nackt-auf-dem-Schimmel-Zeichnungen konterkarieren und pornografieren, weil in den Songs überhaupt viel von gefolterten Party-Mädchen, psychotischen Lolitas und den dünnen Grenzen zur Prostitution die Rede ist, „von Tuberkulose im Herzen“ und „Kinderlähmung im Kopf“, der verkennt, dass Stereo Total im Leben noch keine Spaß-Combo waren. Nur hilft eben gegen so ein Missverständnis ein Schlag mit dem Holzhammer besser als jede feine Popdialektik. GERRIT BARTELS
Stereo Total: „Do The Bambi“ (Disko B/Indigo); Tourdaten: 24. 3. Leipzig, 25. 3. Jena, 26. 3. München, 27. 3. Erlangen, 4. 4. Stuttgart, 5. 4. Frankfurt, 6. 4. Köln, 7. 4., Düsseldorf, 8. 4. Hamburg, 9. 4. Hannover, 10. 4. Kiel