ADMIRALSBRÜCKE : „Sorgenpause“ ade
Er saß auf einem der Betonklötze, mit denen die Stadt die Admiralsbrücke verschönert hatte und die seither von jugendlichen Rucksacktouristenschwärmen belagert werden, als ob sie der Nabel der Welt wären. Seine grauen Haare, der Schnauzer und seine akkurate, von Rentnern bevorzugte, in Beigetönen gehaltene C&A-Kleidung machte ihn auf dieser Brücke der schnatternden U 21-Jährigen suspekt. Ich dachte: Wenn sich solche Leute unter das Jungvolk mischen, ist das der Anfang vom Ende für das neue KOZ, wie die Kommunikationszentren in den Kleinstädten in einer Mischung aus Frustration und Überdruss genannt werden, hier aber als spontaner Treffpunkt schon Fernsehen und Zeitungen beschäftigt hatte und die Anwohner ebenso nervt wie den türkischen Billigbierverkäufer an der Ecke frohlocken lässt.
Er saß einfach nur da und rauchte. Und wenn er eine Zigarette ausgetreten hatte, steckte er sich eine neue an. Das hatte etwas Systematisches und Verlässliches an sich. Unter seinen Füßen hatte sich eine beachtliche Sammlung von Stummeln angehäuft. „Überall nur Latte macchiato“, hustet er kurzatmig. Wie sich herausstellt, ist er ein Opfer der Gentrifizierung des Kiezes. Als er vor dreißig Jahren nach der Arbeit mit gesteiftem Hemdkragen und einem Blazer aus dem Haus trat, konnte er einfach eine Kneipe ansteuern, um am Tresen kurz einen zu zwitschern. Und dann noch einen und noch einen, bevor er leicht derangiert nach Hause wankte. Und heute? „Nur noch dieser Schaumscheiß. Und Kuchen. Und sieben verschiedene Kaffees. Wer braucht das eigentlich? Reingehen und ein Bierchen zischen ist nicht mehr.“
Ein Verlierer in der neuen schönen Welt auf der Admiralsbrücke, ein Relikt, das der guten alten „Sorgenpause“ nachtrauert. „Aber da ist ja jetzt ein Italiener drin“, sagt er verächtlich und zieht an einem weiteren kleinen Sargnagel. KLAUS BITTERMANN