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Archiv-Artikel

Für ein bisschen weißen Rauch

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Morto un papa se ne fa un altro, wenn der Papst tot ist, wird der nächste gekürt, behauptet ein trockenes italienisches Diktum. So respektlos im Ton es ist, so sehr trifft es doch die Sache: Die Kardinäle, die jetzt in Rom zusammenkommen, haben nämlich einen doppelten Auftrag. Erst werden sie in neuntägigen Trauerfeierlichkeiten Abschied von Johannes Paul II. nehmen, und sich gleich darauf an die Wahl seines Nachfolgers machen.

Damit beginnt ein Film, dessen Drehbuch zwar bis ins letzte Detail bekannt, dessen Ausgang aber völlig offen ist – und von dem das Publikum herzlich wenig mitbekommt. So spannend und mysteriös wie eine Papstwahl war früher nur die Kür des Generalsekretärs der KPdSU: Während hinter verschlossenen Türen die Entscheidung fällt, rätselt draußen die Welt: Wer ist im Rennen, welche Allianzen werden geschmiedet, welche Richtungsentscheidungen getroffen? Kreml-Astrologie hieß das heitere Rätselraten in Moskau, wenn ein Breschnew oder Tschernenko zu ersetzen war. Die Vatikan-Astrologie steht dem in nichts nach.

Bekannt ist bloß das Procedere im Vatikan; penibel bis zur Pedanterie regelt die zuletzt 1996 überarbeitete Wahlordnung jeden Akt der Papstkür. Wählen dürfen alle Kardinäle, die beim Tod des alten Papstes noch keine 80 Jahre alt waren. Die 117 Wahlberechtigten müssen frühestens am 15., spätestens am 20. Tag nach dem Tod des Papstes im Konklavezusammentreten.

Konklave (cum clavis: „mit dem Schlüssel“) – der Name der Wahlversammlung macht schon klar, dass das eine geschlossene Veranstaltung ist. Zwar hausen die Purpurträger nicht mehr in unbequemen Zellen neben der Sixtinischen Kapelle, dem eigentlichen Wahlort, sondern im komfortablen Gästehaus Santa Marta gleich hinterm Petersdom. Doch jeder Kontakt zur Außenwelt ist ihnen streng untersagt: kein Telefon, keine Briefe, keine Zeitungslektüre oder TV-Konsum. Und damit die Außenwelt auch auf anderen Wegen nichts erfährt, rücken vor der Wahl Techniker an, um die Sixtinische Kapelle abzuchecken, auf Wanzen oder Kameras.

Nur auf einem Wege kommunizieren die Kardinäle legal mit draußen: über den Schornstein. Der wird deshalb in den nächsten Tagen zum einzig wirklich spannenden Motiv für die Fernsehanstalten aus aller Welt, die schon sämtliche Terrassen rund um den Vatikan angemietet haben, um ein bisschen Rauch zu filmen. Nach jedem Wahlgang nämlich kommen die Wahlzettel ins Öfchen der Sixtinischen Kapelle. Hat sich kein Kandidat durchgesetzt, gibt's nasses Stroh dazu – aus dem Kamin qualmt es schwarz.

Das geht so lange, bis der Heilige Geist sein Werk getan und die Kardinäle mit ausreichender Mehrheit erleuchtet hat: Zwei Drittel der Stimmen plus eine braucht der neue Stellvertreter Christi. Papst Johannes Paul II. senkte die Schwelle ein wenig: nach dem 30. Wahlgang reicht die absolute Mehrheit.

Ob aber immer wirklich nur der Heilige Geist den Wahlmännern als Berater zur Verfügung steht – daran kommen nach Lektüre der Wahlordnung doch Zweifel auf. Da ist von so unschönen Dingen wie Simonie, sprich Ämterkauf (natürlich verboten!) die Rede, da wird den Kardinälen „jede Form von Verhandlungen, Verträgen, Versprechen oder sonstigen Verpflichtungen, die sie binden können“, untersagt, da sind Wahldeals – du machst mich zum Papst, ich ernenne dich zum Kardinal-Staatssekretär – unter schwere Kirchenstrafen gestellt. Nur eines geht: der gottgefällige „Gedankenaustausch“ unter den Kardinälen, wer’s denn nun werden soll, und der auch nur jetzt, wo der alte Papst verschieden ist.

Die lange Liste von präzisen Verboten lässt ahnen, wie heftig das Gezerre und die Kungelei hinter den Kulissen sind. Viel mehr als diese Ahnung haben allerdings auch Vatikan-Experten nicht zu bieten. Der Kurien-Insider Marco Politi von der römischen Tageszeitung La Repubblica jedenfalls stellte einmal nüchtern fest, „bloß ein Prozent von dem, was im Vatikan wirklich geschieht“, bekämen die Beobachter mit.

Wer unter den Aspiranten das Rennen macht, darf deshalb als offen gelten – nicht etwa, weil formal jeder männliche Katholik, der rechtschaffen und bei geistigen Kräften ist, Papst werden kann. Faktisch machen die Kardinäle die Papstnachfolge seit mehr als 600 Jahren immer unter sich aus, und das nicht nur, weil es gar keine Adresse gibt, bei der brave Katholiken ihre Bereitschaft anmelden könnten, sich als Nachfolger von Petrus zur Verfügung zu stellen. Auch Kardinäle können keine Kandidatur anmelden („Ich will da rein!“). Aber sie haben immerhin die Möglichkeit, sich in jahrzehntelanger Kärrnerarbeit als papabile, als papsttauglich zu beweisen.

Ihr Kreuz bei der Geschichte ist aber, dass es auch dafür keine präzise Checkliste gibt. Klar, schon im Vorfeld scheidet aus, wer – wie zum Beispiel die US-Kardinäle – durch größere und lang anhaltende Pädophilieskandale in der Heimatkirche aufgefallen ist. Aber wer ist drin im Rennen? Die klarste Antwort liefern Wettbüros, bei denen man auch per Internet auf den nächsten Stellvertreter Christi setzen kann. Der irische Wettanbieter PaddyPower jedenfalls hatte bis vor kurzem noch einen eindeutigen Favoriten: Für den Mailänder Kardinal Dionigi Tettamanzi zahlt sie bloß 2,5 zu 1, wenn er gewinnt.

Vatikan-Experten versuchen es dagegen, indem sie sich mögliche Kriterien zusammenbasteln und das „Umfeld“ gebührend berücksichtigen. Sicher ist: Das nächste Konklave trägt eindeutig die konservative Handschrift Johannes Pauls II. Bis auf drei noch unter Paul VI. Berufene hat der letzte Papst alle wahlberechtigten Kardinäle bestellt.

Aber nicht nur die kirchenpolitische Richtung, auch Alter und Herkunft zählen. Es gilt die Faustregel: Auf einen Papst, der 26 Jahre im Amt war, lässt das Konklave kaum erneut einen folgen, der einer langen Amtszeit entgegensehen kann. Und bei der Herkunft darf erwartet werden, dass es wohl nicht wieder ein Slawe wird. Ob aber – wie sonst immer in den letzten 480 Jahren – nach Wojtyła wieder ein Italiener zum Pontifex maximus aufsteigt, ist keineswegs ausgemacht. Die Italiener stellen zwar mit 20 Kardinälen die stärkste nationale Gruppe, sind aber von Mehrheiten weit entfernt. Sicher ist nur eines: Ohne die Europäer mit ihren 58 Stimmen geht nichts. Doch selbst ein homogener europäischer Block bräuchte Verbündete.

Wollten die Kardinäle wirklich über die Alternative Reform oder Konservierung abstimmen, sie hätten mit Joseph Ratzinger und Carlo Maria Martini ein ideales Kandidatenpaar. Die beiden 1927 Geborenen trennen nur zwei Monate, sonst aber fast alles. Ratzinger hatte in der frühen Phase seiner Karriere, auf dem II. Vatikanischen Konzil, durch Reformeifer auf sich aufmerksam gemacht, ja galt fast als „linker“ Theologe. Damit war während seines folgenden rasanten Aufstiegs aber bald Schluss. Er, der 1977 Erzbischof von München und Freising und noch im selben Jahr zum Kardinal geweiht wurde, erhielt schließlich 1981 von Papst Johannes Paul II. – dessen Wahl Ratzinger maßgeblich befördert haben soll – die Ernennung zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Seitdem wacht er streng über die Einhaltung der Orthodoxie.

Ratzinger stünde für eine Kirche, die stramm an der bisherigen Linie festhält, egal ob es um Zölibat, Priestertum für Frauen oder Empfängnisverhütung geht. Er wäre der erste deutsche Papst seit fast 1.000 Jahren, als polarisierender Kandidat jedoch hat er geringe Chancen. Wohl deshalb zeigte er sich in einem langen Interview mit der Zeitung La Repubblica im Januar plötzlich offen für neue Ideen, für die leichtere Auflösung der Ehe ebenso wie für eine Debatte über die Dezentralisierung der Kirche.

Quote bei PaddyPower: 8 zu 1

Carlo Maria Martini dagegen muss solche Wendungen nicht vollziehen. Der brillante Jesuit, der bis zum Jahr 2002 die Erzdiözese Mailand unter sich hatte, gilt als eine der mutigsten Reformstimmen. Carlo Maria Martini stellt das Zölibat genauso wie das Verbot der Empfängnisverhütung zur Disposition, und er regte vor wenigen Jahren ein neues Konzil an, um die Kirche an Haupt und Gliedern zu reformieren. Eben dies macht ihn jetzt allerdings zum krassen Außenseiter.

Quote bei PaddyPower: 20 zu 1

Nicht nur bei den Wettbüros viel besser platziert ist Martinis Nachfolger in Mailand, Dionigi Tettamanzi. Der 71-Jährige gilt als leutselig und umgänglich. Moraltheologisch voll auf der Linie des letzten Papstes – Tettamanzi arbeitete an zwei seiner Enzykliken mit – steht er im Ruf, Opus-Dei-Sympathisant zu sein. Zugleich aber fiel Tettamanzi durch große Sympathie für die Bewegung der Globalisierungskritiker auf.

Quote bei PaddyPower: 2,5 zu 1

Ein Kandidat mit ähnlichem Profil ist Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga, Erzbischof von Tegucigalpa in Honduras. Rodriguez Maradiaga hätte nicht nur den Vorteil, dass er aus Lateinamerika stammt, dem Kontinent, auf dem heute die Hälfte der weltweit gut eine Milliarde Katholiken leben. Der Kardinal aus Honduras hat sich zu Hause auch schon an die Spitze von tausenden Demonstranten gestellt, die gegen eine Goldmine protestierten. Rodríguez Maradiaga stünde, wie Tettamanzi, für eine sozialpolitisch offene, moraltheologisch aber konservative Kirche. Sein Nachteil: Mit 62 Jahren ist er einer der jüngsten Kandidaten.

Quote bei PaddyPower: 8 zu 1

Und wenn es einer aus der Dritten Welt sein soll, konservativ noch dazu: Warum nicht Afrika? Der Nigerianer Francis Arinze, 72, würde als erster nichteuropäischer, als erster schwarzer Papst noch dazu eine echte Revolution darstellen. Unter Johannes Paul II. leitete Arinze jahrelang die Kongregation für den interreligiösen Dialog, und er fädelte unter anderem den ersten Besuch eines Papstes in einer Moschee ein.

Quote bei PaddyPower: 3 zu 1