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Archiv-Artikel

Der Terror der Tugend

Die Grünen treffen sich am Wochenende zu einem kleinen Parteitag, ausgerechnet „auf Schalke“.Ein gutes Zeichen! Denn das ist das Ende der Romantik, mit der sie einst in die Parlamente einzogen

VON JAN FEDDERSEN

Ist es verwerflich, einen kleinen Parteitag „auf Schalke“ abzuhalten? Ebendort mit der Mobilisierung für die Landtagswahl am 22. Mai zu beginnen? Fußball – das klingt ohnehin populär; und Schalke, das ohne den Gelsenkirchener Bundesligaverein nur ein Stadtteil irgendwo im Ruhrgebiet wäre, das ist doch ein guter Ort. Die Parole lautet: Stadt der 1.000 Sonnen – eine Erinnerung an die 1.000 Zechenfeuer, die dort einst brannten.

Und doch gemahnt die Wahl des Ortes an einen Populismus, der vielleicht einer Partei wie der der Sozialdemokraten geziemt, aber doch nicht den Grünen. Die mögen sich in Garzweiler versammeln, wo ökologisches Apokalypsegefühl am trächtigsten zur Geltung kommt. Jetzt machen die Grünen einen auf Fußball! Ist das nicht wahrhaft das Ende der grünen Romantik, mit der alles seit Ende der Siebziger spirituell und politisch befeuert wurde?

Weltgewissen am Ruder

Ist schon ’ne schwere Zeit für die Grünen. Nein, natürlich nicht Joschka Fischers wegen, dem vor Jahren die Sensibilität für den Blick auf fragwürdige Visavergaben in osteuropäischen Ländern fehlte. Nein, es sind irgendwie alle, die da „die Grünen“ sind. Die da auf grämliche Weise eine Selbstzufriedenheit verströmen: Das Weltgewissen am Regierungsruder, smart geworden, apparateerfahren und managementbewusst. Aber das zu beklagen ist erstens müßig, zweitens gemein: Denn war es nicht ebendies, was man sich als antiromantisches Gemüt wünschte – eine gewisse Coolness im Umgang mit beklagenswerten Umständen?

Man nennt dies Politik – die Fähigkeit, Mehrheiten jenseits von Moralen zu organisieren und die Apparate, die zu bedienen sind, doch auch handhaben zu können. Doch Politik war bei den Grünen zunächst ein Projekt des Aufruhrs, des Ressentiments und der Annahme, man sei umstellt von lauter Böswilligen. Nun sehen sie selbst so aus wie alle – wenn auch modisch auf dem neuesten Stand –, die man einst ablehnte. Und ihre Dementis in Krisensituationen klingen wie alle Dementis: vage und machttaktisch orientiert.

Aber das ist doch gut so!, möchte man sagen. Sie sind Menschen, keine Heiligen – und die Grünen keine Heimat für messianische Anliegen. Sie sind grundgesetzgetreu und, mehr noch, verfassungsglühend. Doch dies ist freilich zugleich die Differenz zu dem, was ihre ersten Parlamentarier als Bild verkörperten – auch eines der moralischen Überlegenheit, das zu zeichnen jede politische Bewegung nötig hat, um überhaupt wahrgenommen zu werden: Äußerlich weisen sie keine Unterschiede auf zu jenen, die in Union, SPD oder der FDP arbeiten. Nur die NPD in Dresden hat eine andere Aura: feister, rüder, satter, renitenter.

Die liberalkonservative Presse weiß dies sehr genau zu notieren – diese Grünen und ihre Ankunft in der Politikwirklichkeit der Bundesrepublik. „Tränenloser Abgesang“, hieß es neulich in der Sonntagsausgabe der FAZ über die Grünen und ihre publizistischen Monde, die taz beispielsweise. Nein, tränenlos wird nicht geweint, zu begreifen ist nur, dass auch die Grünen nicht anders können, als den Mainstream auszuloten, günstigenfalls zu bedienen. So ist das in der Politik: Mehrheiten sichert man sich da, wo sie zu sichern sein könnten.

Wahr ist, dass die Grünen jahrelang, bundesweit bis 1998, als Erregungsverstärker von Themen arbeiteten, von Inhalten, die dringend der Modernisierung, besser: der Anpassung an sie bedürfen. Einwanderungsrecht, Gleichstellung Homosexueller, Ökologisierung von mittelständischen Ökonomien, Verbraucherschutz. Jetzt sind sie im Politikbetrieb integral und integriert zugleich – und das rächt sich womöglich, weil sie nicht mehr kenntlich sind.

Gutes Ende der Romantik

Man kann das als Ende der Romantik nehmen, man könnte darüber aber auch froh sein: Nach jedem romantischen Schub, einem populistischen zumal, folgte immer der Terror der Tugend oder, wenn der nicht realisiert werden konnte, bittere Enttäuschung. Die Wirkungsmächtigkeit der Grünen wird freilich nicht zu bemessen sein an dem, was aktuell gerade passiert, was gegen die Union und FDP durchgesetzt werden, was Sozialdemokraten abgerungen sein möchte: Die Folgen könnten erst spürbar sein, wenn die Union regiert. In dem beispielsweise, was sie nicht zurücknehmen könnte, selbst wenn sie wollte: Weil dies gegen die Mehrheit nicht durchsetzbar ist.

Was nichts daran ändert, dass Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Regierung sinnvollerweise weiter bräuchte. Guckt man sich Schleswig-Holsten an, die dortigen schwarz-roten Koalitionsverhandlungen, der kann, aus grüner Sicht gesehen, nicht ernsthaft wollen, dass diese antigrüne Politik realisiert wird – in der weiterhin ständischen Schulpolitik beispielsweise. „Auf Schalke“ zu tagen: Das ist der Versuch, populärer zu sein, als man selbst sich zutraut.