: Punktierte Bäuche
Vom Pilger-Rucksack bis zum Kunstwerk: Das Völkerkundemuseum erschafft die Welt des tibetischen Buddhismus aus Magazinbeständen
von Gernot Knödler
Die Welt des tibetischen Buddhismus steckt in einer kleinen Skulptur kurz vor dem Ausgang der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Völkerkunde. Die Gestalt der Augenbrauen weist sie in den Augen der Ethnologen als Produkt des 16. Jahrhunderts aus. Der Hinterkopf der weiblichen Figur ist platt geschlagen – ein Akt des Vandalismus aus der Zeit der chinesischen Kulturrevolution 1966 bis 1968, so deutet es die Kuratorin Susanne Knödel. Denn das Stück wurde 1968 angekauft. Ein Flüchtling werde es wohl mitgenommen und an einen westlichen Reisenden verkauft haben.
Kunst, Glaube, Völkerschicksal und der Sammler, der das Stück nach Hamburg gelangen ließ – viele Themenausstellung sind in dem Figürchen angesprochen. Es fehlt nur das Alltagsleben, das auf den 1.000 Quadratmetern der Schau ebenfalls breiten Raum einnimmt. Die Politik dagegen ist Teil des Begleitprogramms, in dessen Rahmen sich am 17. April die Hamburger Tibet-Gruppen vorstellen.
Indem es die ganze „Welt“ des Tibetischen Buddhismus zeigen will, macht das Museum aus der Not eine Tugend. Denn die Schau läuft in der Reihe „Der innere Reichtum des Museums“. Gezeigt wird, was seit langem im Magazin verstaubt. Daher sind neben Stücken von hohem künstlerischem Wert viele Alltagsgegenstände zu sehen. Ein grob geschnitzter Buddha wird zum Beispiel neben den mit über 1.000 Jahren ältesten Exponaten präsentiert: zwei winzigen Kinderfiguren, die Nadeln gegen ihre Bäuche halten – ein bis heute rätselhafter prähistorischer Fund.
1.600 Objekte, die mit der tibetischen Kultur verbunden sind, haben die Völkerkundler ausgestellt – nicht nur aus Tibet selbst, sondern auch aus angrenzenden Gebieten. Der Rundgang beginnt mit einem Mittelstandshaushalt mit Wohnraum und Hausaltar. Zentrale Idee der Kuratorinnen Susanne Knödel und Uta Wehrlich war es, die Besucher von hier aus auf eine Pilgerreise nach Lhasa zu schicken. Dort sieht man den Inhalt eines Pilger-Rucksacks, den ein Sammler 1914 in Tibet erwarb, sowie Gewänder vergessener Völker aus dem Grenzgebiet zwischen China und Tibet. Dann betritt man ein Jurte und schließlich die Halle eines Klosters: Vor einem Altar sind auf Bänken Leselampen angebracht, damit man buddhistische Schriften studieren kann.
Die Flure dagegen sind spezielleren Themen vorbehalten: dem tantrischen Buddhismus und der volkstümlichen Bon-Religion etwa; auch Kunst aus Nepal, der Mongolei und China wird hier gezeigt. Meterweise Rollbilder und Plastiken von Heiligen und Göttern fordern dem Besucher dabei einige Disziplin ab.
Das Ende des Rundgangs ist Sammlern und Fälschungen gewidmet: Eine Vitrine präsentiert monströse Gebrauchsgegenstände, die sämtlich dem Reich der Phantasie entsprungen sind. In den Jahrzehnten der Abschottung Tibets vor dem chinesischen Einmarsch 1949 befriedigten Handwerker außerhalb Tibets damit das Interesse an dem geheimnisvollen Land, solange der Kauf von Gegenständen in Tibet selbst nicht möglich war.
Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Museum für Völkerkunde; bis 27.11.