: Triste Tage im Hotel
Vollendete Hoffnungslosigkeit: Das Theaterprojekt Textmarker zeigt Ödön von Horváths „Zur schönen Aussicht“
Wer jemals außerhalb der Saison in einem verstaubten Hotel in der Provinz genächtigt hat, der ahnt, wovon Horváth spricht. Der Bühnenbildnerin Claudia Philipp genügen in der Spielstätte des Theaterprojekts Textmarker Andeutungen, um die beklommene Stimmung im Hotel „Zur schönen Aussicht“ körperlich spürbar werden zu lassen. Die grünlich gelbe, verblasste Stoffbespannung an der Rezeption. Das beigefarbene Tastentelefon. Der Drehstuhl und dahinter das Bord an der Wand, wo viel zu viele Schlüssel hängen, weil viel zu wenig Gäste im Haus sind.
Wie schon in allen früheren Textmarker-Produktionen setzt die Regisseurin Tina Küster auch in der Inszenierung von Ödön von Horváths „Zur schönen Aussicht“ auf die unmittelbare Nähe des Zuschauers zum Geschehen. Die räumlichen Grenzen zwischen dem Betrachter und der Szene sind aufgelöst, man sitzt mitten im Hotel und meint den Staub und die Trostlosigkeit dort förmlich zu riechen. Nur manchmal, selten, hebt die Inszenierung ihre eigene Unmittelbarkeit wieder auf und lässt die Schauspieler die Regieanweisungen in ein Mikrofon sprechen. Dann wird die Illusion in der entstehenden Distanz kurz gebrochen, der Verfremdungseffekt raunt: Dies ist eine Vorführung. Aber im nächsten Moment schon setzt sich einer der Schauspieler neben den Zuschauer und holt ihn zurück ins Hotel.
Tina Küster hat Horváths Personal auf fünf Gestrandete reduziert, deren Kampf um schönere Aussichten so hoffnungslos zu sein scheint wie das Interieur, in dem er stattfindet. Seinen Text hat sie mit Passagen aus „Furcht und Hoffnung der BRD“ von Franz Xaver Kroetz angereichert, die die Handlung weniger unterbrechen als unterstreichen. Der Monolog der Kellnerin über den letzten Euroscheck, der von einer Italienreise geblieben ist, lässt Horváths schöne Aussichten noch aussichtsloser erscheinen, weil er zeigt, wie zeitlos sie sind.
Der Hoteldirektor kümmert sich um seinen letzten zahlenden Gast, die verzweifelt-versoffene Freifrau von Stetten, vom Personal ist allein die Kellnerin geblieben. Der Vierte im Bunde, ein Vertreter, ist eigentlich gekommen, um Schulden einzutreiben und blieb – hoffnungsloses Unterfangen – selbst im Hotel hängen. Dieses Quartett umkreist sich nun, bis Christine als letzte die Szene betritt – mit einer Nachricht. Nach einem sommerlichen Aufenthalt im Hotel „Zur schönen Aussicht“ hat sie ein Kind vom Hoteldirektor bekommen. Die vier anderen rücken zusammen, um vermeintliche Unterhaltsforderungen abzuwehren, doch schnell wendet sich ihr infamer Plan gegen sie selbst: Die junge Frau nämlich war gekommen, um ihr Erbe ins Hotel zu investieren. Sie geht und wird – so sagt sie am Schluss – in ihrem Leben nichts mehr versäumen. Und das ist bei all der großartig vollendeten Hoffnungslosigkeit doch wirklich eine schöne Aussicht.
ANNE KRAUME