: Keine Sippenhaftung
HARTZ IV Nur wer selbst verantwortlich ist, darf auch sanktioniert werden, sagt das Landessozialgericht. Die Bagis hatte einer Alleinerziehenden zu Unrecht Miete gekürzt
In jüngerer Vergangenheit hat die Bagis bereits mehrere Niederlagen vor Gericht kassiert:
■ Bei drohender Sperrung der Energie- oder Wasserzufuhr muss die Bagis Stromschulden auch bei Haushalten ohne Kindern als Darlehen übernehmen.
■ Entgegen der früheren Praxis hat das Sozialgericht die öffentliche Hand verpflichtet, auch dann die Mietkaution für ALG II-EmpfängerInnen zu übernehmen, wenn sie bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften einziehen.
■ Bereits Anfang des Jahres urteilten Gerichte, Bremen habe in der Vergangenheit Hartz IV-EmpfängerInnen mitunter zu wenig Wohngeld gezahlt. (mnz)
von Jan Zier
Eine erneute Niederlage vor dem Landessozialgericht erlitten hat jetzt die Bremer Agentur für Integration und Soziales (Bagis). In einem Grundsatzurteil entschieden die RichterInnen, dass es im Sozialrecht keine Sippenhaftung geben darf.
Im konkreten Fall ging es um eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder aus Bremen-Nord, die drei Monate lang nur zwei Drittel ihrer Miete von der Bagis bekam. Nach einer wiederholten Sanktion wurden die ALG II-Leistungen für den älteren, 21-jährigen Sohn für drei Monate ganz gestrichen. Die Bagis zahlte also nur für die Mutter und das zweite, noch minderjährige Kind. Daraufhin kam es zu Mietrückständen und der Vermieter drohte mit Kündigung.
Das Sozialgericht Bremen hielt das Verfahren noch für rechtmäßig (Aktenzeichen S 9 AS 40 / 09 ER). Nicht so das Landessozialgericht Bremen-Niedersachsen: Da die Mutter keine Möglichkeit mehr gehabt habe, auf das Verhalten ihres älteren Sohnes maßgeblich Einfluss zu nehmen, dürfe die restliche Familie nicht durch die Sanktion dieses Sohnes mitbestraft werden, so die Celler RichterInnen (L 6 AS 335 / 09 B ER). Sie folgten damit der Argumentation des Auricher Sozialgerichts in einem ähnlichen Fall.
Sie finde „keinen Zugang“ mehr zu ihrem Sohn, hatte die Mutter vor Gericht argumentiert. Und die Richter sahen dies auch als „ohne Weiteres glaubhaft“ an. Er belüge sie über angebliche Ausbildungsplätze, Praktika und Termine, gab die Mutter zu Protokoll. Sie habe alles versucht, um noch Einfluss auf ihren Sohn zu nehmen. Selbst organisierte Therapiemaßnahmen hätten sich bisher als erfolglos erwiesen. Bereits in der Grundschule sei der Sohn Schulverweigerer gewesen, ein Psychologe stufte dies als phobische Reaktion gegen jede Ansammlung von Personen ein.
Leben hilfsbedürftige Personen zusammen, werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung zwar prinzipiell pro Kopf gewährt. Dennoch habe die Familie Anspruch auf die gesamte Miete – alles andere „liefe auf eine Sippenhaftung hinaus, die dem Sozialrecht fremd ist“, so die RichterInnen in ihrer Urteilsbegründung. Der Rest der Familie – insbesondere der noch minderjährige Sohn und Bruder – dürfe nicht in Mitverantwortung gezogen und auf diese Weise „gleichsam mitsanktioniert“ werden. Eine Sanktion darf grundsätzlich nur jenen „erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen“ treffen, dem das „sanktionswürdige Verhalten“ vorgeworfen werden kann.
Der Bremer Erwerbslosenverband (BEV) sprach von einem „wegweisenden Beschluss“. Jetzt könne zumindest den „ärgsten Auswüchsen“ der behördlichen „Verfolgungsbetreuung“ ein Riegel vorgeschoben werden. Zugleich warf der BEV der zuständigen Bagis in Bremen-Nord vor, sich „wiederholt als rigoros und gnadenlos“ gegenüber Hartz IV-EmpfängerInnen gezeigt zu haben.