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Archiv-Artikel

Zurück nach Deutschland? Nie!

Vom Leben unter Palmen. Vier deutsche Auswanderer auf den Philippinen. Chaos, Vetternwirtschaft, Korruption?Für die Deutschen auf den Philippinen sind dies offenbar nur Randthemen. Sie schwärmen von Wärme und Toleranz

von HILJA MÜLLER

Auswandern. Deutschland den Rücken kehren. Für immer. Immerhin offiziell 120.000 Deutsche haben diesen Schritt letztes Jahr gewagt. Heißen die Ziele Australien, Kalifornien oder Kanada, wird so mancher Zeitgenosse neidisch. Steht auf dem One-Way-Ticket hingegen Manila/Philippinen, sieht die Sache anders aus. Spätestens seit der Entführung der deutschen Familie Wallert im Jahr 2001 hat der südostasiatische Inselstaat einen miserablen Ruf. Und doch gibt es Auswanderer, die ihr Leben auf den Philippinen genießen.

Ursula Schloer ist eine von ihnen. Seit 23 Jahren lebt sie auf Cebu, einer der größten Inseln der Philippinen. „Der Alltag in Deutschland ist viel zu schwierig und kompliziert“, kritisiert die 61-Jährige. Mit Ende 30 hätte sie einfach fliehen müssen aus einem Leben, das sie als Alleinerziehende, Leiterin einer Kunstgalerie und Schmuckdesignerin überfordert hatte. Die Philippinen kannte sie von einem Urlaub. „Mit meinen beiden Kindern bin ich erst nach Manila geflogen und habe dann den Tipp mit Cebu bekommen. Seitdem lebe ich dort und finanziere mich durch den Verkauf von meinem Schmuck.“ Und sie schafft Arbeitsplätze. „Teilweise haben bis zu 300 Frauen nach meinen Entwürfen Schmuck gefertigt.“ Seit Jahren setzt sich Ursula Schloer für die Rechte philippinischer Stämme ein. Der Kontakt mit Wunderheilern – „die haben mich von Gelenkrheuma geheilt“ – hat sich vertieft, seitdem die Immigrantin das Shambala-Center gegründet hat, eine spirituelle Oase.

Keine Frage, Ursula Schloer ist längst verwurzelt in ihrer neuen Heimat. Sie spricht den Cebuano-Dialekt fließend wie Deutsch. Dass sie eine 20-jährige Tochter mit ihrem philippinischen Freund hat, passt ins Bild.

Zurück nach Deutschland? „Nein, nie. Dort vermisse ich so vieles: die Freundlichkeit, Offenheit und Toleranz.“ Schrecklich sei hingegen, „wie die Filipinos mit ihrer Natur umgehen. Müll wird einfach weggeworfen. Umweltschutz ist ein Fremdwort.“

Eine Kritik, der Thomas Zudrell nur zustimmen kann. Der Mann aus dem Allgäu, der sich Anfang der 90er-Jahre in die philippinische Unterwasserwelt verliebt hat, lebt heute als Tauchlehrer auf der Urlauberinsel Mindoro. „Ich habe mich viel für den Schutz der Korallenriffe und der Fischwelt eingesetzt, die durch Souvenirjagd und Dynamitfischerei gefährdet sind“, erzählt der 42-Jährige. Mit seinem Engagement hat er es zum Ehrenbürger des Ferienorts Puerto Galera gebracht.

Warum aber kehrt einer dem elterlichen Betrieb den Rücken und wandert mit 3.000 Mark in der Tasche aus? Zudrells Grund ist fast klassisch zu nennen: „Ich war in eine Filipina verliebt und wollte schauen, ob es für ein gemeinsames Leben reicht.“ Es hat gereicht: Drei Kinder hat das Paar, und als Leiter einer Tauchbasis musste sich Zudrell zunächst auch nicht ums Geld sorgen. Doch der Rückgang des Tourismus und eine Fehlinvestition gefährdeten die heile Welt.

Zudrell, der „nicht an Zufälle glaubt“, machte aus der Not eine Tugend. „Ich habe mir ein zweites Standbein geschaffen.“ Selbiges heißt Dorn-Methode, eine Technik, die „absolut schonend Gelenkfehlstellungen korrigiert“, erklärt der Deutsche. Er habe schon immer ein Faible für alternative Medizin gehabt.“

Inzwischen pendelt er von der Tauchschule zu seiner Praxis in der Hauptstadt Manila, die er gemeinsam mit einer Wunderheilerin betreibt. Selbst der allgegenwärtigen Korruption kann der Berufsoptimist etwas Positives abgewinnen: „Man muss nur die Spielregeln kennen, dann kommt man prima zurecht“, grinst der 42-Jährige.

Spielregeln, das ist ein Stichwort für Stefan Wilozynski. „Als ich hier ankam, habe ich echt gedacht, die spinnen alle. Keiner sagt, was er meint, und keiner meint, was er sagt“, erinnert sich der gebürtige Berliner. Zwei Jahre habe es gedauert, bis er die Spielregeln kapiert hatte. Und das, obwohl er mit einer Filipina verheiratet war.

„Mir ist Berlin zu eng geworden, ich wollte einfach weg“, sagt der 39-Jährige. In der philippinischen Hauptstadt fühle er sich „sauwohl“. Luftverschmutzung, Armut, Kriminalität – das sind nicht die Themen des Mannes, der im feinen Salon des Kempinski-Hotels das Haareschneiden lernte. Inzwischen zelebriert Wilozynski diese Kunst in einem der nobelsten Friseurläden Manilas, zu seinen Kunden gehören die Reichen und Berühmten des Landes. Die Vorteile seiner neuen Heimat sieht er vor allem im allgegenwärtigen Chaos. „Hier brauche ich keine Versicherungen, hier hat es keine sture Bürokratie, und selbst Auto kannst du fahren, ohne auf Regeln zu achten.“ Dieser „Wilde Westen“ sei viel besser als die Existenz in Deutschland, „wo sie dir mit den Steuern alles abknöpfen, was du verdienst“. Darüber hinaus sei Deutschland das kinderfeindlichste Land der Welt, schimpft der Berliner, das habe er bei einer Reise mit seiner Tochter erlebt. Folgerichtig spricht die elfjährige Denise auch kein Deutsch. „Finde ich nicht wichtig, wir wollen ja nicht dort leben“, zuckt der Vater die Achseln.

In Deutschland leben möchte Dr. Christian Alexander auch nicht mehr. Dennoch zog er extra von seinem „Traumhaus“ im Norden Mindanaos nach Manila, damit seine Tochter in die deutsche Schule gehen kann. „Ich möchte ihr alle Chancen offen halten“, begründet der Sportarzt und Orthopäde diesen Schritt. Als Aussteiger lebte der 48-Jährige zuvor mit seiner philippinischen Frau „in einer wunderschönen Bucht, die in keinem Reiseführer vorkommt“. Dort genoss er in vollen Zügen, was er seit dem ersten Kontakt mit dem Land im Jahre 1992 so liebte: „Die tropische Wärme, auch die Wärme der Menschen.“

Auf den Spuren der Akkupunktur war Dr. Alexander damals nach Manila gekommen, „und fortan machte ich meine Praxis alle drei Monate dicht, um für zwei Wochen auf die Philippinen zu kommen“. Auf der von Touristen gemiedenen „Terroristeninsel“ Mindanao lernte er seine Frau kennen. Endgültig aus Deutschland vertrieben hätten ihn die Seehofer-Reformen, „die schränkten mich in meiner Arbeit zu sehr ein. Ich habe alles verkauft, die Praxis, das Haus.“

Heute arbeitet der Mediziner in einem gut gehenden Ärztehaus im Geschäftsviertel Makati. „Ich finde es klasse, dass ich von drei Tagen Arbeit in der Woche meine Familie ernähren kann, uns fehlt es an nichts“, sagt er mit Überzeugung. Nachteile wie die Luftverschmutzung oder die politische Lage – „die Demokratie hier ist eine Farce“ – nähme er dafür gern in Kauf.

Vier Deutsche, die es geschafft haben, auf den Philippinen Fuß zu fassen. Das gelingt längst nicht allen: Nach Angaben der deutschen Botschaft in Manila leben etwa tausend registrierte Deutsche permanent auf den Philippinen, die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Nicht wenige scheitern, die Ehen gehen kaputt, das Geschäft Pleite. Wenn gar nichts mehr geht, zahlt die Botschaft diesen Gestrandeten das Rückflugticket.

Nicht selten wenden sich auch Ratsuchende an die diplomatische Vertretung, die Ärger mit ihrer Aufenthaltserlaubnis haben. Die „Permanent Resident“-Visa sind nicht einfach zu bekommen, oft muss man den legalen Weg verlassen. Eine Summe von etwa 100 Dollar kann den ersehnten Stempel bedeuten. „Ich war irgendwann so genervt, dass ich bezahlt habe“, gibt Dr. Alexander zu.

Doch selbst wer seine Papiere hat, muss auf der Hut sein. In der lokalen Presse tauchen immer wieder Berichte über „Aliens“ auf, wie Ausländer auch genannt werden, die wegen dubioser Beschuldigungen Ärger mit der Immigrationsbehörde bekommen. Die Wurzel des Übels ist ein Erlass, den der wegen Korruption aus dem Amt gejagte Präsident Joseph Estrada abgesegnet hat. Executive Order 287 sieht vor, dass „Aliens“, über die Beschwerden bei der Polizei eingehen, überprüft oder in Haft genommen werden. Denunziationen sind so Tür und Tor geöffnet. Geld oder Beziehungen entscheiden über das Ausmaß des Desasters.

Chaos, Vetternwirtschaft, Korruption? Für Auswanderer auf den Philippinen sind dies offenbar nur Randthemen. Ob Friseur, Tauchlehrer oder Schmuckdesignerin, für sie alle mag gelten, was Dr. Alexander nach kurzem Überlegen so formuliert: „Ich fühl mich in Deutschland einfach nicht mehr wohl. Nicht, seitdem ich weiß, wie wohl ich mich auf den Philippinen fühle.“