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Archiv-Artikel

Westlich geprägt, aber stumm

Mit der Burka in der ehemaligen Heimat: „Die andere Welt“ des algerischstämmigen Regisseurs Merzak Allouache erzählt von einer jungen Frau auf der Spur ihres Freundes

Wie erlebt man gewalttätige Auseinandersetzungen, Bürgerkriege einer Heimat, die man schon als Kind verlassen hat? Welche Haltung nimmt man ein? Und was bewegt einen jungen Menschen zurückzukehren, um einzugreifen? Diese Fragen dürfte sich der in Paris lebende, aus Algerien stammende Regisseur Merzak Allouache selbst gestellt haben. In seinem Film „Die andere Welt“ ordnet er ihnen Geschichten zu. Er schickt eine junge Frau in das von Kriegen und Krisen zerrissene Algerien.

Yasmine ist auf der Suche nach Rachid. Beide haben ihre Kindheit größtenteils in Frankreich verbracht. Ohne ein Wort zu sagen, hat Rachid die Geliebte eines Tages verlassen, weil er sich seiner Heimat verpflichtet fühlte. Bei einem terroristischen Massaker soll er ums Leben gekommen sein, doch Yasmine ist überzeugt, dass er lebt, und setzt sich ins Flugzeug nach Algerien.

„Die andere Welt“ – ein wenig marktschreierisch nimmt der Titel die Erkenntnis der Reise vorweg. Plakativ fällt zunächst auch die formale Umsetzung aus. In Paris glitzern die Schaufenster, werden Yasmines Gänge mit Opernarien unterlegt. Nach der Landung erklingt im gleißenden Licht Musik aus dem Maghreb.

Um ihr modernes Aussehen und den Kurzhaarschnitt zu verbergen, hat sich Yasmine bereits in Paris eine Burka gekauft. Die notwendige Tarnung führt zu einer Entsubjektivierung, die sich leider auf inhaltlicher Ebene fortsetzt. Für den Regisseur Allouache ist die junge Frau letztlich nur Medium, Projektionsfläche der unterschiedlichen Positionen und Lebensweisen im gegenwärtigen Algerien. So hört sie sich fast stumm, ohne weiter zu kommentieren oder ihren westlich geprägten Blick in die Diskussion zu werfen, die verschiedenen religiösen und politischen Standpunkte an.

Beim Versuch, Stimmungsbilder eines Landes zu erstellen, neigt der Blick zur Stereotypie. Im Norden triff Yasmine auf eine aufgeklärte Familie. Ohne Kopftuch bewegt sich die Tochter durch die Straßen, erzählt, wie sie während des Krieges als Frauenaktivistin gegen fundamentalistisches Gedankengut kämpfte. Eine weitere Station ist der Offizier, in dessen Einheit Rachid gekämpft hat. Für diesen sanften Patriarchen hört die Toleranz jenseits der eigenen vier Wände auf. Rauchen dürfen die Frauen nur zu Hause.

Selbst das Grauen, das seiner Heimat widerfahren ist, hakt Allouache wie einen bloßen Programmpunkt ab: Kaltblütig metzeln religiöse Fanatiker eine arme Bauernfamilie nieder und markieren die Tat mit dem rituellen Kehlenschnitt. Auch Yasmine gerät in die Hände der Terroristen, doch einer der Männer, der junge Karim, verliebt sich in sie. Gemeinsam fliehen sie. Zum ersten Mal lässt sich der Film tatsächlich auf die andere Welt ein, versucht nachzuvollziehen, wie ein junger Mensch zum Fanatiker werden konnte.

Karim weiß mittlerweile um die Grausamkeiten, die im Namen des Dschihad begangen wurden. Für den jungen Mann wird Yasmine zur Erlösungs- und Heilsfigur, wie ein Schatten heftet er sich an ihre Fersen. Heimlich folgt er ihr in die kleine Wüstenoase, bewohnt von Outlaws, Prostituierten und Kriegstraumatisierten, wo sie Rachid endlich wiederfinden wird. Und hier wird der Film mehr Blutvergießen, als für seine Botschaft nötig ist. ANKE LEWEKE

„L’autre monde – Die andere Welt“. Regie: M. Allouache. Algerien/Frankreich 2001, 95 Min., OmU, Eiszeit, ab 28. 4.