: VW scheitert in Brasilien mit Leiharbeit
ARBEIT Gericht verurteilt den Autokonzern zu Geldstrafe. Gewerkschaft: Firmen machen, was sie wollen
PORTO ALEGRE taz | In Brasilien ist Volkswagen wegen der Beschäftigung von Leiharbeitern in der Endproduktion zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ein Arbeitsgericht im Bundesstaat São Paulo verhängte letzte Woche gegen VW do Brasil eine Strafe von umgerechnet 440.000 Euro. Der Autokonzern wollte zu dem erstinstanzlichen Urteil keine Stellung nehmen.
VW verstoße gegen mehrere Punkte der brasilianischen Arbeitsgesetzgebung, befand Richter Adenilson Brito Fernandes aus São Carlos, 230 Kilometer nordwestlich von São Paulo. Vor allem monierte er, dass in der VW-Motorenfabrik von São Carlos Leiharbeiter Tätigkeiten verrichten, die zur Endproduktion gehören. So tragen die gut 200 Angestellten der Drittfirma SG Logística Motorenteile an die Montagelinie heran. Damit seien sie Teil der Produktion, allerdings „ohne den nötigen arbeitsrechtlichen Schutz“, heißt es in dem Urteil.
Obwohl sie „Schulter an Schulter“ mit den VW-Arbeitern tätig seien, verdienten die Leiharbeiter nur halb so viel wie die Festangestellten und hätten auch weniger Zusatzvergünstigungen und Rechte, sagte Staatsanwalt Rafael de Araújo Gomes der taz. Innerhalb von zwei Monaten muss Volkswagen den Vertrag mit der Drittfirma SG Logística auflösen, ordnete das Gericht an. Außerdem wurde der Multi darauf verpflichtet, allen Arbeitern die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen zu gewähren.
Er habe das Leiharbeitsthema im vergangenen Jahr auf einem Treffen in Wolfsburg angesprochen – bislang ohne Erfolg, berichtet VW-Mitarbeiter Erick Silva, zugleich Chef der örtlichen Metallgewerkschaft. Der Fall sei typisch für Brasilien, sagte Silva: „Die Firmen machen, was sie wollen.“ VW do Brasil geht in die Revision. Silva: „Bis zu einer endgültigen Entscheidung können noch viele Jahre vergehen.“
Dennoch ist das jetzige Urteil über den Fall VW hinaus ein wichtiges Signal für die brasilianische Debatte über Leiharbeit. Die juristische Lage ist unübersichtlich. Das Gericht von São Carlos bezog sich auf die immer noch gültigen Arbeitergesetze aus den 1940er Jahren. Seit der neoliberalen Phase der Flexibilisierung in den Neunzigern orientieren sich die Richter an wenigen Grundsatzurteilen der obersten Arbeitsgerichte.
Im Kongress von Brasília drängt die Unternehmerlobby auf eine radikale Liberalisierung. „Demnach müssten Firmen wie VW überhaupt keine eigenen Leute mehr anstellen“, sagt Staatsanwalt Gomes, „sie könnten alle arbeitsrechtlichen Verpflichtungen abgeben.“
Die Chancen für einen Gegenentwurf des Gewerkschaftsdachverbands CUT stehen schlecht, bestenfalls bleibt es beim Patt. „Die Regierung hält sich heraus, und selbst die meisten Parlamentarier ihrer breiten Koalition sind für die Präkarisierung der Arbeiterrechte“, sagte Rafael Gomes, der eine „Offensive der Rechten im Kongress“ diagnostiziert. Dabei sei die Lage in den Betrieben schon jetzt besorgniserregend. Beim Ölmulti Petrobras seien in den letzten 16 Jahren mehr als 300 Leute bei Arbeitsunfällen umgekommen, 80 Prozent von ihnen seien Leiharbeiter gewesen. GERHARD DILGER