: Der Alleskönner
Man sollte Sebastian Turner nicht danach fragen, ob er in einem Schloss wohnt. Dann wird er richtig fuchsig („Ich habe nur ein Fahrradschloss“). Aber das ist auch nicht wichtig. Erhellender ist, in welche Reihe bedeutender Oberbürgermeister er sich stellt und wie er ein solcher werden will. Als parteiloser Kandidat der Stuttgarter CDU, die sich in Teilen mit dem Politikwissenschaftler und Werbeprofi echte Siegchancen ausrechnet, wenn am 7. Oktober gewählt wird. Im Interview mit der Kontext:Wochenzeitung zurrt Turner schon mal zwei Positionen fest: für Stuttgart 21 und gegen die Grünen
Sebastian Turner im Gespräch mit Hans Peter Schütz
Herr Turner, warum, um Himmels willen, wollen Sie Oberbürgermeister von Stuttgart werden?
Weil die Heimatstadt ruft und eine einzigartige Aufgabe lockt. Der Bahnhofsstreit ist entschieden und die Gestaltungsfrage für das Areal vollkommen offen. Das ist ein idealer Zeitpunkt, um in Stuttgart anzufangen.
Sie sind ein Befürworter von Stuttgart 21.
Beim Bahnhof ist mein Standpunkt klar: Die Parlamente haben entschieden, die Verträge sind unterschrieben, und das Volk hat gesprochen. Jetzt geht es darum, dass man mit möglichst wenig Kosten und möglichst wenig Verzögerung den neuen Bahnhof baut. Die Behörden dürfen das nicht mit Tricks behindern, das erhöht nur die Kosten und verlängert die Baubelastungen. Die zweite Frage gilt dem Areal hinter dem Bahnhof. Diese Chance darf nicht verplempert werden, indem man sagt, man muss jetzt verwerten auf Fläche komm raus. An erster Stelle steht, dass mit der Bebauung die Attraktivität von Stuttgart als Ganzes gesteigert wird. Da kann etwas entstehen, was es so noch nicht gibt und eine Attraktion für die Stuttgarter und den Rest der Welt wird.
Sie wollen doch tatsächlich aus Stuttgart eine „menschlichere Stadt“ machen.
Stuttgart hat als Weltautohauptstadt eine der ganz großen Erfolgsgeschichten des Ölzeitalters geschrieben. Der enorme Wohlstand, den wir haben, beruht ganz erheblich darauf, dass der natürliche Energiespeicher Öl nutzbar gemacht worden ist. Der Rohstoff geht jetzt aber zu Ende und damit die Ölära – in wenigen Jahrzehnten. So wie Stuttgart einst mit dem Automobil und dem Verbrennungsmotor bahnbrechende Ideen hervorgebracht hat, so ist es jetzt für Stuttgart geboten, das Nach-Öl-Zeitalter zu entdecken und zu gestalten. In Stuttgart ist alles da, was man dafür braucht: die Köpfe in Wissenschaft und Industrie, Entscheider, nicht zu wenig Kapital und dank der Freiflächen auch noch die Chance auf Stadtentwicklung.
Na ja, auf viele wirkt die Stuttgarter Innenstadt wie tote Hose.
Innovationen kommen nicht aus den Hosen, sondern aus den Köpfen. Die Stadt hat beim Streit um den Bahnhof gezeigt, welche Energie in ihr steckt. Der Streit ist entschieden, aber die Energie ist noch da. Sie sollte sich auf die Zukunft richten.
Sie bringen keinerlei kommunalpolitische Erfahrung mit.
Es gibt eine deutsche Stadt, die wurde 50 Jahre am Stück regiert von Oberbürgermeistern, die bei Amtsantritt keine kommunalpolitische Erfahrung hatten. Raten Sie mal, wie die Stadt heißt? Stuttgart! Arnulf Klett und Manfred Rommel hatten sie nicht, als sie anfingen. Auch Richard von Weizsäcker hatte sie nicht, bevor er ein sehr erfolgreicher Regierender Bürgermeister der Millionenstadt Berlin wurde, Gleiches gilt für Klaus von Dohnanyi, den früheren Stadtchef von Hamburg. Beide waren zuvor in der Wirtschaft tätig. Das berühmteste Beispiel kommt aus der schwierigsten Stadt des Westens: Der erfolgreiche Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, war vorher auch Unternehmer in der Kreativwirtschaft. Der bekannte Verwaltungswissenschaftler und Humboldt-Professor Ulrich Battis sagt: „Wer 1.000 Irre in einem Kreativ-Unternehmen führen kann, der kann auch eine Stadtverwaltung führen.“
Kann es sein, dass Sie sich berufen fühlen, weil Sie der Vater des Werbespruchs sind: „Wir können alles – außer Hochdeutsch“?
Nein. Wahrscheinlich ist es andersherum: Weil ich mich meiner Heimatregion verbunden fühle, habe ich sie treffend beschreiben können. Und weil ich mich ihr verbunden fühle, wurde ich gefragt, und deswegen habe ich die Einladung angenommen, mich als Kandidat zu bewerben.
In der zerstrittenen Stuttgarter CDU müssen Sie mit harter Konkurrenz rechnen, wenn am 17. März die Wahl des CDU-Kandidaten stattfindet.
Ich finde, es ist ein Zeichen dafür, dass die CDU ihre Lage verstanden hat und richtig darauf reagiert. Sie hat in Baden-Württemberg nach einer langen Erfolgsperiode eine Zäsur hinter sich und zeigt jetzt: Sie hat verstanden. Die Art, wie die OB-Wahl in Stuttgart vorbereitet wird, finde ich klug, weil der Kandidatenfindungsprozess parteidemokratisch abläuft und weil in einer Findungskommission ein Profil festgelegt wurde, das auch auf einen Externen zutrifft. Das schafft für die CDU optimale Siegchancen bei der Wahl im Herbst.
Ein Konkurrent hat sich schon gemeldet: Andreas Renner, der frühere Oberbürgermeister von Singen und frühere Sozialminister.
Ich habe Andreas Renner noch nicht gründlich kennenlernen können, aber aufgrund seiner früheren Ämter bringt er sicher interessante Erfahrungen mit.
Interessant war auch, dass sich der CDU-Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann vorzeitig auf Sie festgelegt hat. Manche in der CDU sollen darob gar entsetzt gewesen sein.
Es ist kein Nachteil, sondern ein logisches Ergebnis des Verfahrens, das die Partei aus guten Gründen gewählt hat. Kaufmann hatte ausdrücklich den Auftrag, jemanden von außerhalb der CDU Stuttgart zu holen. Den kann er aber nur vorschlagen, wenn er selbst hinter ihm steht. Drehen Sie es einmal um. Was für eine Posse wäre es gewesen, wenn er gesagt hätte: Hier ist ein Vorschlag, aber ich stehe nicht hinter ihm. Nebenbei: Jeder, der sich so hätte vorschlagen lassen, hätte gezeigt, dass man an seinem politischen Verstand zweifeln sollte.
Gerhard Mayer-Vorfelder nennt Ihre Kandidatur schlicht „Unfug“.
Ich bin neugierig auf sein Urteil, wenn wir uns kennengelernt haben. Wenn er allerdings herausbekommt, dass ich als Jugendlicher bei den Stuttgarter Kickers gespielt habe und nicht beim VfB, dann kann sich die Lage noch einmal verschärfen.
Wenn wir nett wären, könnten wir jetzt fragen: Wollen Sie dem inzestuösen Parteienbetrieb frisches Blut zuführen?
Wenn Sie die Frage nicht so suggestiv gestellt hätten, wäre ein Ja einfacher. Aber die führenden Köpfe der CDU haben gesagt: Wir brauchen jemanden, der über dem gewöhnlichen Parteienstreit steht. Und damit sendet sie eine klare Botschaft der Offenheit und Veränderungsbereitschaft in einer Phase, in der die Wähler in Baden-Württemberg sich die Frage stellen, ob die CDU aus dem Wahlverlust gelernt hat.
In Rheinland-Pfalz hat die CDU mit solchen Signalen lange gegeizt und darf Kurt Beck dafür alle vier Jahre zur Wiederwahl gratulieren. Wenn die CDU in Stuttgart einen Kandidaten präsentiert, der über den Parteien steht, verkürzt sie die Periode, die eine Partei normalerweise vom Wähler verordnet bekommt, um sich zu erneuern.
Es bleibt dabei: Sie sind ein Kandidat ohne Parteikarriere, ohne Erfahrung in der Verwaltung.
An der Stelle darf ich Ihnen widersprechen. Ich habe sehr viel Verwaltungserfahrung, in der Wirtschaft und auch im öffentlichen Sektor. Das ist aber eher von untergeordneter Bedeutung – es geht ja gerade nicht um das Verwalten, sondern um das Gestalten. Die eigentliche Frage ist doch: Was haben Sie als Führungskraft bisher erreicht? Da geht es nicht um Dienstjahre, sondern um Ergebnisse. Und dann ist es wieder egal, ob man Ergebnisse aus einer Behörde oder einem Unternehmen vorweisen kann.
Unter diesem Gesichtspunkt dürfte Fritz Kuhn ein interessanter Gegner für Sie sein.
Ich würde Fritz Kuhn jedenfalls nicht fragen, was er schon so alles verwaltet hat, sondern, was er gestaltet und bewirkt hat. Ich kenne ihn nicht gut genug. Aber nach den Medienberichten ist er ein erfahrener Mann, und es ist für Stuttgart gut, wenn sich bei allen Parteien interessante Kandidaten finden.
Kuhn sucht eine neue Karriere, weil er in der grünen Partei in die Ecke gedrängt worden ist.
Jetzt nötigen Sie mich schon wieder, einen Gegenkandidaten in Schutz zu nehmen. Warum sollte die Gestaltungsaufgabe in Stuttgart für ihn nicht ebenso attraktiv sein wie für mich?
Halten Sie es für möglich, dass die Stuttgarter SPD sich hinter dem Grünen Kuhn positioniert?
Die SPD fragt sich natürlich, ob sie als älteste demokratische Partei wirklich auf Dauer Juniorpartner bei den Grünen bleiben darf. Sie wird sich kaum damit anfreunden, zwischen Linken und Grünen kein eigenes Gesicht mehr zeigen zu können. Dabei ist das Problem für einen Grünen erst in zweiter Linie die SPD, an erster Stelle kommen die zerrissenen Grünen selbst. Da gibt es eine Gruppe, die sagt, der Volksentscheid gilt, jetzt wird gebaut. Und es gibt eine zweite Gruppe, die sagt: Das Volk ist zu dumm für die Demokratie, wir müssen den Bahnhof jetzt eben mit Behördentricks hintertreiben. Kuhn muss Farbe bekennen. Er kann sich bekennen, wie er will, eine Gruppe macht nicht mit.
Aber er hat einen grünen Ministerpräsidenten an seiner Seite.
Ja, einen Ministerpräsidenten, der von den Wählern, die ihn ins Amt gebracht haben, schon mit Schuhen beworfen wird. Ich finde, dass Kretschmann sich richtig verhält, aber nicht sein zuständiger Fachminister. Wer bisher die Baubelastung für die Stadt und Kosten als Gegenargument gebraucht hat und jetzt versucht, den Bau zu verschleppen, der verliert seine Glaubwürdigkeit, weil er Kosten und Belastung vergrößert. Nach einer aktuelle Umfrage sagen 88 Prozent der Stuttgarter: Es ist entschieden, baut jetzt endlich. Die werden dann zu Kuhn sagen, wir brauchen hier doch keinen Verhinderungsbürgermeister, damit die Baustelle ewig bleibt. Aber die zwölf Prozent, die meinen, der Bau sollte trotz allem verhindert werden, sind Kernwähler der Grünen. Kuhn ist in einer schwierigen Situation.
Wir haben gelernt: Stuttgart 21 ist für Sie abgehakt. Was kommt dann?
Die zentrale politische Frage ist die Qualität des Bildungswesens. Es ist die Grundlage für Innovation und Integration und damit für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. Dabei ergeben sich – wie man in Hamburg sieht – ganz erhebliche Zielkonflikte, die nicht gelöst werden, indem man sie überspielt. Das Bildungssystem muss einerseits eine immer größer werdende Integrationsaufgabe bei den Bildungsfernen bewältigen, und andererseits darf sie nicht die Bildungsorientierten aus dem öffentlichen Schulsystem drängen. Ganz entscheidend sind die Lehrer. Ihre Bedeutung und Belastung wird seit vielen Jahren unterschätzt. In Stuttgart hat über die Hälfte aller Schüler einen Migrationshintergrund. Wenn nicht auch aus dieser Gruppe in großer Zahl auch Ärzte, Richter, Wissenschaftler und gelegentlich auch Oberbürgermeister hervorgehen, ist der alternden deutschen Bevölkerung nicht zu helfen. Bisher waren wir zufrieden, wenn Zuwanderer nach ein paar Generationen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. In meiner Familie hat es über 200 Jahre nach der Einwanderung nach Deutschland gedauert, bis es einen Akademiker in der Familie gab. Das ist zu langsam.
Ein letztes Wort zu den schwäbischen Migranten in Berlin. Hier hätten Sie auch eine Integrationsaufgabe.
Die Schwaben in Berlin werden von anderen Schwaben diskriminiert, weil die einen Schwaben den anderen Schwaben die Grundstücke vor der Nase wegschnappen. Alle anderen sind sehr nett zu uns und bedanken sich regelmäßig für die Transferleistungen und gute Autos.
Sebastian Turner ist der Sohn des früheren Präsidenten der Uni Hohenheim, George Turner. Der 45-Jährige hat sein Abitur am Stuttgarter Karlsgymnasium gemacht, in Bonn Politik und Journalismus studiert und danach eine steile Karriere als Werber hingelegt. Bekannt geworden ist er insbesondere durch die Kampagne „Wir können alles – außer Hochdeutsch“ und die klugen Köpfe, die hinter der FAZ stecken. Zu seinen Klienten zählte auch die taz. Turner war Vorstandsvorsitzender der internationalen Werbeagentur Scholz & Friends, ist heute Honorarprofessor an der Berliner Universität der Künste und als jüngstes Mitglied in die Hall of Fame der deutschen Werbung aufgenommen worden.