Gesang zur Lage der Nation

„Singen für Deutschland“: Die Uraufführung von Erik Gedeons „Hymnischen Abend“ im Bremer Schauspielhaus bietet beste Unterhaltung. Wer tiefer Gehendes zum Thema Vaterland erwartet, sollte sich besser an einen Historiker seiner Wahl wenden

Bremen taz ■ Bis vor ein paar Jahren haben die Patriotismus-Debatten anderswo stattgefunden: In Gesprächsrunden von Historikern und ab und zu im Feuilleton. Dann ist der Ruf nach mehr Patriotismus als Vehikel parteipolitischen Stimmenfangs aufgetaucht und nun hat er die vorläufig letzte Station erreicht: Die Pop-Musik. Die Sängerin der Elektropunk-Band „Mia“ hat in ein schwarz-rot-goldenes Gewand gehüllt ihr Lied „Was es ist“ gesungen: „wohin es geht das wolln wir wissen und betreten neues deutsches land“, heißt es da. Und nun wurde am Bremer Theater Erik Gedeons neues Stück „Singen für Deutschland“ uraufgeführt. Mit eben jenem Lied von „Mia“, gegen deren Auftritt vor kurzem in Bremen noch eine Kleingruppe Unerfreuter protestiert hatte.

Das Ganze beginnt eher medizinisch denn patriotisch: „Psychose, Hysterie, Depression, Danke“, sagt eine weißbekittelte Ärztin testweise ins Mikrofon. Sechs Patienten erscheinen auf der Bühne: Von Krämpfen geschüttelt, stotternd und hysterisch. Nur die Deutschlandfahne auf der Bühne und der Bundesadler im Hintergrund verweisen auf Nationales und der als Pianist tätige Arzt: „Doktor Goebbels“, sagt die Professorin, „muss ich Ihnen nicht vorstellen“.

Statt dessen wird Musik gemacht: „Wenn du mal Sorgen hat, vertreib‘ sie mit Musik“, singt die Professorin und nach der Vorstellung der Patienten soll gemeinsam die Nationalhymne gesungen werden. Doch das scheitert kläglich: Die Patienten verfallen spontan in alte Symptome.

Als Zuschauer entscheidet man sich möglichst jetzt für eine klare Haltung: Wer allzu lange darüber nachgrübelt, ob die Patienten deutsche Durchschnittsbürger repräsentieren sollen – und wenn ja, warum zeigen sie nicht mehr Eigenschaften als diverse Spielarten von Krämpfen und Zuckungen? – und woher der Wunsch der Professorin nach Nationalhymne und Flagge rührt, wird kaum Antworten finden. Auch sollte er keine Skrupel hinsichtlich der komischen Nutzbarkeit psychischer Krankheiten kennen.

Wem all dies gelingt, der wird sich mit dem, was die allesamt sehr gut aufgelegten Schauspieler in dem von Gedeon selbst inszenierten Stück zeigen, ausgezeichnet unterhalten. Denn es hat in der Tat Witz, wenn die steife Professorin Grönemeyers „Mensch“ singt und der Patientenchor einfällt: „Es ist okay, alles auf dem Weg“. Und genauso zieht die Auswahl der einschlägigen Lieder von „Wenn ein Mensch lebt“ der „Puhdys“ bis hin zu Udo Lindenbergs „Horizont“ .

So singend bringen die Patienten ihre Therapieübungen hinter sich, schenken Bier aus oder putzen Autos. Im letzten Drittel erreicht das Stück unvermittelt wieder politisches Fahrwasser. Doch das bleibt undurchsichtig: Auch der zweite Versuch, die Patienten zum Singen der Nationalhymne zu veranlassen, scheitert. Statt dessen setzen sie die Professorin außer Gefecht und erstechen den Mitpatienten Wolfgang, der sich als Österreicher entpuppt, die übrigen als Nazis beschimpft und am Bundesadler rupft. Nachdem die Professorin ihre Autorität wieder hergestellt hat, singt man allgemein das „Mia“-Lied. Was all dies bedeutet, bleibt unklar, aber gespielt ist es ganz hervorragend, so dass das Publikum die Schauspieler unermüdlich wieder auf die Bühne holt. Friederike Gräff

Nächste Vorstellung: 8.5., 20 Uhr. Schauspielhaus