: Spielsystem Hühnerhaufen
Nach dem 1:5 des deutschen Eishockey-Teams gegen die Schweiz und dem Absturz in die Abstiegsrunde wird Trainer Greg Poss schon bei seiner ersten WM nachdrücklich in Frage gestellt
AUS WIEN CHRISTIANE MITATSELIS
Der Trainer schreit die Spieler an, sie brüllen zurück. Der Trainer wirbelt die Sturmreihen sinnlos durcheinander, steigert dadurch die ohnehin enorme Konfusion im Team. Immer hilfloser spielt die Mannschaft, am Ende entlädt sich der Frust in vielen sinnlosen Fouls. Es geht nichts mehr, alles bricht zusammen. Fünf Jahre nach Wiederaufstieg muss die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft den Fall in die zweite Klasse befürchten, bei der Weltmeisterschaft in Österreich kämpft sie in der Abstiegsrunde um ihre Zukunft.
Mit 1:5 ging die von Greg Poss gecoachte Auswahl im letzten WM-Vorrundenspiel gegen die Schweiz unter. Die Bilanz ist erschütternd: null Punkte, zwei Tore geschossen, neun kassiert. Seit 1965 hat das deutsche Team bei einer WM nicht mehr so hoch gegen die Eidgenossen verloren. „Zum falschen Zeitpunkt sind wir im Formtief“, sagte Kapitän Jochen Hecht, und: „So wie wir heute gespielt haben, hat uns der Trainer sicher nicht erreicht.“ Im Herbst, bei seinem Amtsantritt, hatte Poss in smarter Ami-Manier noch vom WM-Halbfinale gefaselt und schönstes Angriffs-Hockey versprochen. Stattdessen hat er das Spielsystem Hühnerhaufen etabliert. Von 19 Spielen als Bundestrainer hat er nur drei gewonnen.
Erster Gegner in der Abstiegsrunde war schon gestern Gastgeber Österreich (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet), am Montag geht es in Innsbruck gegen Slowenien und am Dienstag gegen Dänemark. Zwei dieser Spiele muss die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) gewinnen, um sich zu retten. So oder so: Schon jetzt ist klar, dass es mit Poss wohl nicht weitergehen wird. Sogar die Schweizer, mit denen sich Deutschlands Kufenflitzer unter der Regie von Hans Zach stets enge, hart umkämpfte Duelle geliefert hatte, waren voller Mitleid: „Spielerisch und taktisch verwahrlost“ sei die deutsche Mannschaft, „von taktischer Diktatur in eine Plauderdemokratie gewechselt“, befand die Zeitung Blick. Auch DEB-Sportdirektor Franz Reindl ließ durchblicken, dass er den Zustand für untragbar hält. „Wir dürfen nicht absteigen“, sagte er, „später müssen wir alles analysieren und Konsequenzen ziehen.“
In Wien kamen bereits Gerüchte auf, ein Notfallplan werde zum Einsatz kommen, Reindl selbst werde das Coaching an der Bande übernehmen – wie beim World Cup of Hockey im Herbst. Unter Reindls Anleitung lieferte Deutschland ein paar ordentliche Spiele. Außerdem ist zu befürchten, dass sich Poss irgendwann bald mit seinen frustrierten Spielern prügelt.
Alle schwungvollen Reden von den künftigen glorreichen Zeiten wirken angesichts des Debakels von Wien wie Scharlatanerie. So hatte Poss verkündet, das deutsche Team sei nicht viel weniger talentiert als die Nationalmannschaft der USA, die ausschließlich aus NHL-Spielern besteht. Zach dagegen coachte die Auswahl mit realistischer Einstellung, er war sich der technischen und läuferischen Unterlegenheit seiner Spieler auf internationalem Niveau immer bewusst. Die Mängel glich das Team durch Kampf und Kompaktheit aus. Im vergangenen Jahr bei der Weltmeisterschaft in Prag war es etwas schlechter gelaufen. Durch ein 0:1 gegen die Schweiz verpasste Zachs Auswahl damals das Viertelfinale – schloss das Turnier aber immerhin auf Rang neun ab. Es wurde viel gemäkelt, das defensive System hinterfragt. Durch die vielen Erfolge – Viertelfinale bei der Heim-WM 2001, den Olympischen Spiele 2002 – war das Publikum verwöhnt worden.
Nach Zachs beleidigtem Rücktritt im vergangenen Frühjahr wurde Poss von Hans-Ulrich Esken, dem Präsidenten des Deutschen Eishockey-Bundes, ins Amt gehievt. Er setzte sich gegen Reindl durch, der Poss skeptisch gegenüberstand. Zach selbst, gerade aus dem Urlaub in Südafrika zurückgekehrt, hält sich bedeckt: „Poss hat sich da reinmanövrieren lassen, da muss er jetzt durch“, teilte er mit.