: „In Berlin hatte ich immer Nachteile“
Albert Speer
Er hat sich längst einen Namen gemacht. Als Stadtplaner war und ist der 1934 in Berlin Geborene federführend beteiligt am Entwicklungskonzept für das Museumsufer in Frankfurt, bei der Standortfindung für das neue Stadion in München oder zuletzt beim Umbau von Schanghai und Peking. In Berlin saß er in der Jury für den Umbau des Alexanderplatzes. Dennoch denken die meisten bei dem Namen Albert Speer noch immer nur an seinen Vater: den Hitler-Architekten und NS-Rüstungsminister. Heute Abend startet die ARD ihre dreiteilige Dokumentation „Speer und Er“, in der auch Albert Speer junior zu Wort kommt
INTERVIEW FALKO HENNIG
taz: Herr Speer, wir sitzen hier im neuen Radisson-Hotel. Gefällt Ihnen das?
Albert Speer: Ich bin etwas enttäuscht. Ich habe so viel über dieses Aquarium mit den Fischen gelesen, doch wenn man hier unten in die Halle reinkommt, ist es gar nicht da, sondern erst in der ersten Etage. Sie haben es inzwischen in eine cash cow umfunktioniert. Es wird mit Touristen voll gestopft, und das Haus oder der Investor verdient richtig Geld.
Ein Etikettenschwindel?
Etikettenschwindel wäre etwas übertrieben, denn es ist ja vorhanden und auch sehr schön. Ich wohne im 3. Stock und sehe da hinein, das ist schon beeindruckend. Aber der ganze Eingang hier unten ist mir zu unübersichtlich, nicht großzügig genug. Es ist irgendwie von allem ein bisschen was.
Sie hätten es als Architekt anders angegangen?
Das sagt jeder Architekt von den Gebäuden der anderen.
Ab Montag zeigt die ARD die dreiteilige Serie „Speer und Er“ – über Ihren Vater, den NS-Architekten Albert Speer, und Adolf Hitler. Haben Sie die vorab gesehen?
Ja, und ich bin sehr beeindruckt von dieser Arbeit. Es ist aber viel eher ein Spielfilm als eine Dokumentation.
Ich werde auf Ihren Vater noch zurückkommen. Hier soll es ja in der Hauptsache um Sie selbst gehen.
Das hoffe ich aber auch.
Was würden Sie machen, wenn Sie nur zu Ihrem Vater befragt würden?
Das würde ich eindeutig nicht machen, da weigere ich mich.
Können Sie sich an Ihre Kindheit auf dem Obersalzberg erinnern, etwa als Hitler mit Kindern posierte?
Ja, klar, das kann ich schon.
Ihr Vater schrieb seinerzeit dazu, dass Hitlers Zauber bei Kindern nicht wirkte. Können Sie das bestätigen?
Er ist mir nicht in besonderer Erinnerung, sondern nur als netter Onkel. Aber schön war, wenn wir ohne Protokoll auf den Berg hochdurften. Also anders als bei offiziellen Anlässen wie einem Geburtstag. Hitler hatte ein Kino, und da gab es zum Beispiel Micky-Maus-Filme. Das hat Kinder natürlich fasziniert.
Also haben Sie zusammen mit Hitler Micky-Maus-Filme gesehen?
Ob Hitler dabei war, da würde ich jetzt lügen, wenn ich das behaupten würde. Aber es waren seine Filme.
Ihr Vater war so gut wie nie da, also sind Sie ausschließlich bei der Mutter aufgewachsen, oder gab es da noch irgendwelche Vaterfiguren?
Nein, es gab einen sehr lieben Großvater, den Vater meiner Mutter, der öfter zu Besuch war. Auch den Vater meines Vaters habe ich noch gekannt, auch Albert Speer und auch Architekt. Aber die Bezugsperson war eher der Großvater mütterlicherseits. Der hat mir erste Techniken mit dem Pinsel, Aquarellieren und Malen beigebracht. Aber es war da keine Vaterfigur.
War der Berufsweg von der Familie her, Großvater Architekt, Vater Architekt, vorgegeben?
Nein, überhaupt nicht, ich habe eine Schreinerlehre absolviert und dann im zweiten Bildungsweg das Abendschulabitur abgelegt. Ich kann Zwang nicht ausstehen und befürchtete, dass es auf einer Fachhochschule, an der man Bauingenieur oder Architekt studiert, wieder wie in der Schule zugeht, dass ich pünktlich da sein muss und bei Fehlen eine Entschuldigung vorweisen muss. Da habe ich gesagt: nein, mit mir nicht mehr, Schule und Schreinerlehre waren Zwang genug. Ich wollte an eine Technische Hochschule und brauchte dazu das Abitur.
Hat sich Ihre Familie gefreut, als Sie Tischler lernten?
Auf der einen Seite waren sie erfreut, weil der Großvater mütterlicherseits mal eine große Schreinerei und Zimmerei in Heidelberg hatte. Über diese Beziehungen habe ich überhaupt eine Lehrstelle bekommen. Das war damals mindestens so schwierig wie heute. Auf der anderen Seite sah es mein Vater nicht so positiv, weil der Sohn das Abitur machen und dann studieren sollte. Aber ich wollte noch aus einem ganz speziellen Grund aus der Schule raus. Ich hatte 1945 richtig heftig angefangen zu stottern, sodass ich in der Schule große Probleme hatte. Ich konnte mich nicht ausdrücken und nicht vorlesen.
Wie haben Sie dieses Problem überwinden können?
Allmählich über die Jahre mit großen Anstrengungen und Fallen, die ich mir immer wieder selber gestellt habe. So habe ich mich in München beim Studium in den AStA wählen lassen.
Als Sprecher?
Genau, als Fachbereichssprecher für den Architekturbereich und dann im Gesamt-AStA der Technischen Hochschule als zweiter Vorsitzender.
Um das Stottern zu überwinden?
Ja, um gezwungen zu sein, mich da rauszuwinden.
Und hat das so funktioniert?
Nein, so schnell nicht, aber ich habe das später immer wieder gemacht. Auf dem Podium zu stehen ist heute für mich etwas Schönes. Es macht mir Spaß, das Gegenteil von damals. Aber ich bin mir meiner Sprache heute noch nicht sicher. Das Gefühl, dass das Stottern zurückkehren könnte, ist immer da. Aber wie Sie hören: Es geht flüssig und problemlos.
Es ist überhaupt nichts zu bemerken. Wissen Sie, welche seelische Erschütterung dem zugrunde gelegen haben kann?
Keine einmalige, ich habe also nicht die Erschießung eines Kriegsgefangenen gesehen oder so etwas. Ich glaube, es war einfach der Schock dieser Veränderung von Familie, Berchtesgaden, Heimat. Erst einmal hat es uns in dem ganzen Chaos nach Schleswig-Holstein verschlagen und dann nach Heidelberg. Die Umstände waren plötzlich ganz andere. Für ein zehnjähriges Kind ist das schon eine Katastrophe. Andere reagieren vielleicht anders, ich habe so reagiert.
1964 haben Sie kurz nach dem Architekturstudium Ihren ersten Wettbewerb gewonnen.
In Deutschland gibt es die Möglichkeit, sich anonym an Wettbewerben zu beteiligen. Heute bin ich selber oft Preisrichter, hier in Berlin war ich beim Alexanderplatz dabei, und ich war auch Vorsitzender des Preisgerichtes für den Bereich Lehrter Bahnhof. Das Prinzip ist das gleiche geblieben. Ein Preisgericht beurteilt, welche Arbeit die beste ist. Erst dann wird nachgesehen, welcher Architekt sie entworfen hat. Diese Chancengleichheit ist auch heute noch eine große Möglichkeit für junge Architekten. 1964 saß mein Vater ja noch im Gefängnis, Professor Rudolf Hillebrecht hatte den Vorsitz, und der machte dann das Couvert auf und las vor: Albert Speer. Da sagte jemand aus dem Preisgericht: Das gibt’s doch nicht, der sitzt doch im Gefängnis! Ich kannte Hillebrecht, und er wusste, dass es sich nicht um den Vater, sondern um den Sohn handelte. Aufgrund dieses gewonnenen Wettbewerbs habe ich dann meinen ersten kleinen Auftrag bekommen.
Die Grundlage für größere Erfolge?
Ich sage immer: Man muss Chancen, wenn sie sich einem bieten, auch nutzen. Schon 1968 bekamen wir unseren ersten Auftrag im Ausland in Libyen. Eine Regionalstudie und Masterpläne, also Flächennutzungspläne für insgesamt 40 Städte. Das war für uns viel zu groß, das konnte ich nie schaffen, niemals. Wir haben es aber gemacht und haben es auch geschafft. Aus diesem ersten Auftrag in Libyen ergab sich über Bekannte eine Beziehung nach Algerien. Daraus ist dann das nächste entstanden.
Wo stehen Sie eigentlich politisch?
Also ich bin kein Anhänger einer Partei. Ich bin …
… normaler Wähler?
Ja natürlich, aktiver Demokrat. Wenn wir in Deutschland planen und in einem großen Umfang die Politik beraten, dann ist das auch Politik. Ich bin ungeheuer engagiert und politisch aktiv, aber immer auf der fachlichen Basis. Auch wenn in Frankfurt zum Beispiel die Regierung von SPD zur CDU wechselt oder von der CDU wieder zur SPD, dann arbeiten wir für diejenigen, die an der Regierung sind.
In Frankfurt am Main wollten in den 70er-Jahren Hausbesetzer Spekulationen verhindern – auch das ist eine Form von Stadtplanung. Wie standen Sie damals dazu?
Es gibt da Bilder von mir als Mitanführer einer Bürgerinitiative.
Aber nicht so wie Joschka Fischer mit Helm und Polizisten prügelnd?
Nicht mit Helm, nein, es ging auch nicht um Hausbesetzungen. Die Stadt hatte vor, unter der Zeil einen Autotunnel zu planen. Das war so was von schwachsinnig. Ich habe dann mit anderen gemeinsam eine Bürgerinitiative gegründet, und wir haben diesen Tunnel auch verhindert.
Was sind die Hauptfehler früherer Stadtplanungen, die Sie vermeiden?
Der grundsätzliche Planungsfehler stammt aus den 20er-Jahren nach den Thesen von Athen, die besagten, dass man die einzelnen Funktionen in der Stadt trennen müsse. Früher war alles zusammen und dann war mitten in der Stadt der Lärm von Industriegebieten. Es ist klar, dass man am Anfang des Industriezeitalters gesagt hat: Man muss die Funktionen auseinander nehmen. Inzwischen haben wir aber kaum noch solche stinkenden Industrien. Die ganze Technologie und Arbeitswelt hat sich so stark verändert, dass man heute sehr schön nebeneinander wohnen, arbeiten, Dienstleistungen, Nachtklubs und Parks haben kann. Deshalb ist in den letzten Jahren, zumindest in Deutschland, der Slogan von der Stadt der kurzen Wege entstanden. Dass man auch nicht so viel Auto fahren muss oder die U-Bahn braucht, sondern zu Fuß gehen kann. Damit die Städte wieder interessant werden für ältere Menschen. Wir werden ja alt, ich bin jetzt schon 70, fühle mich aber nicht als Greis und in zehn Jahren wahrscheinlich auch noch nicht. Wir wollen in der Stadt wohnen und nicht irgendwo im Altersheim.
Um den Kreis etwas zu schließen, glauben Sie, das Ihnen Ihr Name eher geschadet oder genutzt hat?
Ich glaube, weder das eine noch das andere. Er nutzt mir natürlich auch: Sie und andere würden mich ohne den Namen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht interviewen. Das tun sie natürlich auch nur, weil ich mir durch die Tätigkeiten der letzten Jahre selber einen Namen gemacht habe. Nachteile hatte ich eindeutig immer in Berlin. Wir waren hier bei architektonischen Wettbewerben mit guten Lösungen ein paar Mal dabei. Da habe ich dann aus dem Hintergrund gehört, das sagt natürlich keiner laut: Muss das unbedingt der Speer bauen? Die andere Arbeit ist doch auch so schön, da nehmen wir lieber den anderen. Und das kann man vielleicht nicht akzeptieren, das wäre falsch, aber man kann es verstehen.
Als Abschluss, aus stadtplanerischer Sicht, zu Ihrem Spezialgebiet: Wie würden Sie die Planungen Ihres Vaters einschätzen?
Da habe ich auch eine gespaltene Meinung. Ich lehne diesen Gigantismus, der diesen großen Planungen von Berlin zugrunde liegt, als absolut unmenschlich ab. Das ist Schwachsinn gewesen. Mein Vater als Architekt, also nicht als Stadtplaner, war, glaube ich, in dem klassizistischer Stil der 30er-Jahre mindestens so gut wie viele andere.