: Der tiefe Sinn des Einfachen
Gelingen dort, Bemühen hier: Dieses Premierenwochenende brachte eine reiche „Italienerin in Algier“ von Gioachino Rossini an der Staatsoper und einen ermüdend folkloristischen „Jewgeni Onegin“ von Pjotr Tschaikowsky an der Komischen Oper
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Rechts die Küche, links das Bett. So einfach ist das Leben einfacher Leute – und dann doch wieder so absurd, dass einem elend werden kann und ganz wirr im Kopf wie dem Mustapha, dem Bey von Algier. Was genau ist ein Bey? Nigel Lowery und Amir Hosseinpur beantworten die Frage mit einem stummen Theater, während das Orchester noch Rossinis Ouvertüre spielt. Federnd kommen diese ewigen Melodien daher, die sich nun schon seit bald 200 Jahren in die Ohren gebohrt haben. Mit Massimo Zanetti am Pult klingt es frischer als im Radio, wo man es sonst immer hört, aber der Bey liest die Zeitung, wie jeden Tag, wenn sie dieses Zeug da spielen und die Frau irgendwas aus der Dose kocht. Als sie dann auch noch im Negligé daherkommt, reicht es ihm nun wirklich. Schluss, aus, Tür zu – und genau damit beginnt die große Oper im sprichwörtlichen Sinn. Sie ist ein Tagtraum, gewebt aus einfachen Melodien für einfache Leute, und Rhythmen, die ihnen in die Beine gehen. Für zwei Stunden ist Mustpha der große Bey, Sklaven hat er und einen ganzen Harem, den er jetzt auch zum Teufel schickt, weil er endlich eine richtige Italienerin haben will …
Viel ist geschrieben worden über den Tiefsinn der Oberfläche bei Rossini, hier ist er mit unendlicher Sorgfalt inszenierte Bühnenwirklichkeit geworden. Der Tagtraum ist ein Comic, und wie dort ist alles möglich. Souverän und ohne Rücksicht auf die ohnehin unterentwickelte Logik der Handlung spielen Lowery und Hosseinpour mit Elementen des Surealismus und der Pop-Art. Dennoch belieben sie immer ganz nah an der psychologischen Wirklichkeit dieser einfachen Leute, die sie ebenso lieben, wie Rossini sie geliebt haben muss. Natürlich muss eine Italienerin in Algier ein Blondine sein, zufälligerweise ist Silvia Tro Santaf wirklich blond, sie bekommt trotzdem eine Perücke, denn nur das Unwirkliche zählt in diesem Traum. Verzückt streicht Michele Petrusi über das Goldhaar, lässt sich fröhlich übertölpeln und sitzt dann am Ende wieder am Küchentisch mit seiner Elvira: So ist es immer. Nicht tragisch, nur alltäglich, einfach im Grunde und doch so unendlich reich, dass nur die allergrößte Kunst gut genug ist, es zu zeigen: Die Kunst eines Rossini und die Gesangskunst dieses Ensembles, die so vollendet ist, dass es ungerecht wäre, die Einzelleistungen hervorzuheben. Reich ist bekanntlich auch Berlins Opernlandschaft, wenn auch nicht einfach.
Nach diesem kaum zu überbietenden Meisterwerk an Opernregie an der Staatsoper hatte es die Komische Oper besonders schwer. Der Hausherr Andreas Homoki hat mit dem Hausdirigenten Kirill Petrenko und dem Bühnenbildner Hartmut Meyer Tschaikowskys „Jewgeni Onegin“ neu inszeniert. Eigentlich verbietet sich der direkte Vergleich, durch die zeitliche Nähe ist er jedoch unvermeidlich, und selten war der Abstand so schmerzlich spürbar. Gelingen dort, Bemühen hier. Homoki und Meyer wollen Tschaikowsky vom Plüsch befreien und lassen die unglückliche Liebe des Mädchens Tatjana zum Schnösel Onegin in einem Wartesaal voller festgeschraubter Plastikstühle spielen. In kyrillischen Lettern steht zuerst das Wort „Sommer“ an der Bühnenrückwand, nach der Pause heißt es „Winter“.
War das gemeint? Wohl kaum, allein gelassen schafft es Sinad Mulhern in dieser Wüste dennoch, die Figur einer jungen, gerade der Pubertät entwachsenen, in ihren verstörenden Gefühlen ausgelieferten Frau zu zeichenen, eher mit ihrem Schaupiel freilich als mit ihrer schmalen, gelegentlich etwas hart klingenden Stimme. Wunderschön singt auch der junge Tenor Matthias Klink die Nebenfigur des Lenski, aber auch er hat hart zu kämpfen gegen die Regie, die sich nun mal in den Kopf gesetzt hatte, den größtmöglichen Kontrapunkt zu Tschaikowskys Partitur zu setzen. Doch der Zuckerguss ist ihr nicht abzugewöhnen, und Petrenko versucht gar nicht erst, etwas anderes als Schmalz und und schmissige Folklore erklingen zu lassen. Beides, Meyers Wartesaal und Tschaikowskys Banalität, ermüden auf ihre je eigene Weise. Schablonenhafter denn je klingen die großen Gefühle, von denen Tschaikowsky reden will, aber nicht kann.
„L’italiana in Algeri“, Staatsoper Unter den Linden, wieder heute und am 28. Mai; „Jewgeni Onegin“, Komische Oper, wieder am 27. und 31. Mai