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„Man ließ sie allein“

RADIO Das Hörkino erzählt die Geschichte der oft berüchtigten libanesischen Kurden in Deutschland

Detlef Michelers

■ 69, lebt als freier Autor in Bremen und Berlin und verfasst Radio-Features, Erzählungen und dokumentarische Literatur

taz: Herr Michelers, in ihrem Feature geht es um die libanesischen Kurden in Deutschland. Also um die Familie Miri?

Detlef Michelers: Überhaupt nicht. Es kommt zwar auch ein Mitglied der Familie Miri vor. Aber ich bin durch die halbe Bundesrepublik gefahren, um mit Menschen dieser Volksgruppe zu sprechen.

Was trennt diese Bürgerkriegsflüchtlinge der achtziger Jahre von anderen?

Nichts – bis auf den Unterschied, dass sie einen anderen historischen und kulturellen Hintergrund haben. Sie kommen aus Ost-Anatolien, sind dort eine arabisch sprechende Minderheit gewesen und als Hungerwanderer über Syrien in den Libanon gezogen. Sehr häufig mussten sie sich als Tagewerker verdingen, waren häufig staaten- und rechtlos.

Wie viele dieser Menschen leben heute in Deutschland?

Man geht von ungefähr 50.000 Personen aus. Die ganze Volksgruppe besteht weltweit nur aus gut 150.000 Menschen. Die Familienverbände umfassen manchmal mehrere 100 Verwandte.

In der Öffentlichkeit gelten die im Grunde alle als kriminell.

Ja. Deswegen wollte ich zeigen, dass es auch andere Familien, andere Strukturen gibt und wollte ihre Geschichte aufzeigen. Natürlich gehört die Kriminalität, die es unbestritten gibt, zu der Geschichte dazu. Aber der größte Teil dieser Menschen versucht, sich zu integrieren, ein Teil studiert. Als sie nach Deutschland kamen, hatten sie kaum Bildung. Die erste Generation, heute Großeltern, spricht zum Teil bis heute kein Deutsch. Deren Söhne, heute Mitte, Ende 30, fühlte sich von der deutschen Gesellschaft missachtet, wurde mitunter kriminell. Sie sprechen Deutsch, aber nicht akzentfrei. Die Teenager sprechen deutsch und arabisch.

Integriert wurden sie nie...

Sie wurden geholt, weil sie Bürgerkriegsflüchtlinge waren, ließ sie dann aber allein. Sie bekamen kein Asyl, durften deswegen nicht arbeiten, bezogen zum Teil Sozialhilfe. Davon kann man schwer existieren, zumal, wenn man sieben Kinder hat. Im Lauf der Zeit haben sie sich ein eigenes Umfeld geschaffen. Sehr viele sind bis heute nur geduldet, und können jederzeit ausgewiesen werden. Das ist das Problem.

Wie sollte man mit ihnen heute umgehen?

Man sollte diese Familien betreuen. Das ist sicher sehr aufwändig, aber aus meiner Sicht die einzige Chance. Außerdem müssen die Menschen normale Pässe bekommen können. INT.: JAN ZIER

20 Uhr, swb-Kundencenter,

Am Wall/Sögestraße

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