piwik no script img

Archiv-Artikel

„Die Position der CDU ist schwer erkennbar“

Der Friedens- und Konfliktforscher Ernst-Otto Czempiel vermutet vor allem rhetorische Unterschiede zwischen der Außenpolitik von SPD und Union. Eine blinde Gefolgschaft der USA können Merkel und Co sich gar nicht leisten

taz: Herr Czempiel, die SPD hat angekündigt, die Außenpolitik zu einem Feld der Auseinandersetzung im Wahlkampf zu machen. Sind die Differenzen dafür deutlich genug?

Ernst-Otto Czempiel: Ich glaube das nicht. Traditionell sind die Unterschiede der beiden großen Parteien bei den großen Fragen der Außenpolitik eher in den Nuancen zu erkennen als im Substanziellen. Außerdem wird in diesem Wahlkampf die Arbeitsmarktpolitik im Vordergrund stehen. Ich vermute also, wir werden eher einen innen- als einen außenpolitischen Wahlkampf bekommen.

Vor drei Jahren wurde die Wahl immerhin auch auf dem Gebiet der Außenpolitik entschieden. Warum sollte das die große Ausnahme gewesen sein?

Der Unterschied zu der Situation vor drei Jahren ist, dass damals die Innenpolitik nicht die zentrale Rolle hatte wie heute. Und natürlich bot der Irakkrieg Schröder in der Situation eine Handhabe, die er sehr geschickt zu nutzen wusste. Das wird es in diesem September nicht wieder geben – es sei denn, Bush greift den Iran an, ausschließen kann man das nicht. Dann würde die Öffentlichkeit in Bezug auf die Außenpolitik Schröder wohl mehr zutrauen als Merkel.

Und wenn die Krise zwischen dem Iran und den USA, was wohl wahrscheinlicher ist, zumindest in diesem Jahr nicht zu einem Krieg eskaliert?

Wenn die Lage so bleibt, wie sie jetzt ist, wenn alles mit dem Mantel von Verhandlungen zugedeckt wird, dann werden die innenpolitischen Themen im Wahlkampf dominieren. Es ist im Übrigen sehr schwer zu erkennen, welche außenpolitischen Positionen die CDU vertritt. Es gibt, soweit ich das sehe, noch kein außenpolitisches Konzept der CDU, sondern vielerlei unterschiedliche Vorstellungen.

Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger hat angekündigt, das Verhältnis zu den USA verbessern zu wollen. Denken Sie, das kann durch einen Austausch von Personen passieren, oder überwiegen die strukturellen Unterschiede?

Der Austausch von Personen wird vielleicht an der Rhetorik etwas ändern. In der Sache gibt es inzwischen eine große Menge von gemeinsamen EU-Positionen, die sich ganz deutlich von denen der Bush-Administration unterscheiden. Und die CDU wird sich genau überlegen, ob sie sich von dieser Gemeinsamkeit verabschiedet, nur um einer US-Regierung einen Liebesdienst zu erweisen, von der sie inzwischen auch eingesehen hat, dass sie keineswegs die beste für die Vereinigten Staaten ist – und schon gar nicht die beste für die Welt.

Vor dem Irakkrieg hat sich die CDU/CSU jedoch klar von der Position rot-grünen Koalition distanziert.

Die Auseinandersetzung über den Irakkrieg haben wir hinter uns. Es kann gar nicht mehr die Rede davon sein, wie das Herr Pflüger seinerzeit ständig hinausposaunt hat, dass die Deutschen aufgrund ihrer Verweigerung, am Irakkrieg mitzumachen, an Einfluss verloren haben. Im Gegenteil. Sie haben bedeutend an Einfluss gewonnen. Sie haben Statur auch in der atlantischen Gemeinschaft bekommen. Sie haben sich dabei antizipierend innerhalb des europäischen Konsenses bewegt, der ja in einer Weise angewachsen ist, dass man ihn gar nicht mehr übersehen kann. Ich glaube nicht, dass es Herrn Pflüger gelingt, sich mit seinem alten Kurs in der CDU durchzusetzen.

Sie meinen: zu einer Gefolgschaft gegenüber den Vereinigten Staaten?

Zu einer Haltung, die die deutsche Position irgendwo in der Mitte zwischen Frankreich und den USA sieht. Diese Schaukelposition ist meines Erachtens völlig überholt. Sie lässt sich gar nicht mehr einhalten, weil sie dann den europäischen Konsens sprengen würde, der inzwischen vom Kioto-Protokoll bis hin zu einer gemeinsamen Haltung im Atomkonflikt mit dem Iran reicht. Sie wäre auch in der deutschen Öffentlichkeit kaum mehr konsensfähig, die, wie neuere Umfragen zeigen, inzwischen Frankreich für den besten Freund der Deutschen hält.

Wie wird eine Regierung Merkel denn reagieren, wenn der Konflikt mit dem Iran eskalieren sollte und die USA militärisch eingreifen?

Ich denke, wenn sogar der britische Premier Tony Blair ankündigt, in diesem Fall der Bush-Administration den Konsens aufzuzukündigen, dann wird doch wohl die CDU sich nicht als einzige Partei im westlichen Europa in die Allianz der Willigen einreihen wollen, um gegen den Iran zu Felde ziehen. Wenn die USA den Iran angreifen, entsteht eine Bruchstelle in der Allianz.

Auf anderen außenpolitischen Gebieten gibt es ja durchaus CDU-Positionen, die auch bei SPD- und Grünen-Anhängern Sympathien genießen. Nehmen wir beispielsweise die Russlandpolitik …

Die Russlandpolitik von Merkel würde – abgesehen natürlich von der persönlichen Komponente – Schröders Linie folgen. Denn auch hier gibt es eine gemeinsame europäische Position der Partnerschaft mit Russland. Eine Regierung Merkel muss genau das tun, was Rot-Grün getan hat, nämlich kooperativ mit Russland an den Konflikten im Kaukasus und in Zentralasien arbeiten und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Demokratisierungsprozess in Russland nicht weiter gestoppt wird. Das heißt aber, dass man die Beziehungen zu Russland eher verstärken muss.

Herr Czempiel, Sie sprechen von weitgehender Übereinstimmung der großen Parteien in der Außenpolitik. Liegt das auch daran, dass es nichts Aufregendes zu debattieren gibt?

Ich sehe zwar keinen großen Unterschied in der Außenpolitik zwischen CDU und SPD. Ich sehe aber sehr wohl Unterschiede zwischen den USA und den Staaten der Europäischen Union. Durch die permanente Aufrüstungspolitik der Vereinigten Staaten ist eine Aufrüstungsdynamik in die Welt gekommen – über die allerdings hier niemand redet.

Auch nicht, wenn sich militärische Konflikte anbahnen?

Nehmen Sie 2002, das Jahr vor dem Irakkrieg. Als in den USA schon längst über den Irakkrieg diskutiert wurde, beschäftigte sich der Bundestag den ganzen Sommer über mit der Bonusmeilen-Affäre!

Die langfristige Perspektive fehlt?

Wenn debattiert wird, streiten die großen Parteien, was die Außenpolitik angeht, vielfach um des Kaisers Bart – ohne zu sehen, was der Kaiser darunter macht. Die Bush-Administration setzt zur Restauration der alten Weltordnung an, die die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mit der Gründung der Vereinten Nationen und dem Gewaltverbot endlich abgeschafft hatten. Gegenüber diesem erfolgreichen Regime des Multilateralismus und der kooperativen Weltsteuerung in der internationalen Organisation bevorzugt die Bush-Administration ihr Entscheidungsmonopol und ihre Fähigkeit, es notfalls mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Damit würde der Krieg als politisches Instrument rehabilitiert werden. Die EU hat sich in ihrem Strategiepapier für die multilaterale Tradition eingesetzt. Aber sie müsste aktiver handeln.

Nehmen die großen deutschen Parteien diese Entwicklung nicht wahr?

Doch, aber ihnen liegt, wie vielen anderen Europäern, der nationale Kirchturm immer noch näher als die Weltunordnung, die sich dahinter aufzutürmen beginnt.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ