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Archiv-Artikel

WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Terroristen, Spione und Anarchisten

Unsere Aufgabe ist es, euch zu schützen und eure Kinder; wir müssen den Terrorismus bekämpfen, ebenso die Spione in unserem Land und die gewalttätigen Straßenbanden oder die Kinderschänder.“ So steht es geschrieben auf der Homepage des FBI, des Federal Bureau of Investigation, das im kommenden Juli seinen 104. Gründungstag feiern wird. Ganz nebenbei: Wussten Sie, dass es für dieses FBI bis heute keine gesetzliche Grundlage gibt, dass es nur aufgrund einer Verfügung des US-Präsidenten tätig wird und dass es eine seiner allerersten Aufgaben war, im Ersten Weltkrieg Tausende als illoyal eingestufte Ausländer ohne Gerichtsverfahren zu verhaften und einzusperren?

Dem Pulitzer-Preisträger Tim Weiner ist es geschuldet, die Schattenseiten des sagenumwobenen FBI nach der Freigabe bislang gesperrter Dokumente (mehr als 70.000 Seiten) aufgehellt zu haben. In seinem jetzt erschienenen Buch „FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation“ (S. Fischer Verlag) geht Weiner im Wesentlichen auf die weitgehend unbekannte Geschichte des FBI als die eines Geheimdienstes ein. Und weniger auf die einer Polizeieinheit, die etwa durch Legenden wie dem Al-Capone-Jäger Eliott Ness für wohlwollende Geschichtsschreibung sorgte.

Weiners „FBI“ ist ein beklemmendes Protokoll gesetzwidriger Verhaftungen und Internierungen, von Einbrüchen, Diebstahl und Lauschangriffen im Namen des US-Präsidenten. Und es ist die Geschichte von Amerikas hundertjährigem Krieg gegen Terroristen, Spione und Anarchisten, bei der der Rechtsstaat allzu oft unter die Räder kam. Der Autor rekonstruiert, wie sich aus einer kleinen privaten Agentur zwielichtiger Geschäftsleute (darunter zahlreiche Privatdetektive) eine einflussreiche geheimdienstliche Organisation mit rund 34.000 Mitarbeitern herausbildete, die von 1924 bis 1972 unter der Herrschaft des im Weißen Haus gefürchteten J. Edgar Hoover stand, der über eine bemerkenswerte Sammlung von Geheimdossiers über einflussreiche Wirtschaftskapitäne und Politiker (auch über JF Kennedy) verfügte. Weiners „FBI“ ist ein Blick in den Abgrund hinter die Fassade demokratischer Verfahrensvorschriften – und eine Anklage: Wer schützt uns vor dem FBI?

Wolfgang Gast ist Redakteur der taz Foto: privat