: Im Sturzflug
BIOGRAFIE Thomas Medicus erzählt die unglaubliche Geschichte Melitta von Stauffenbergs, die in einer NS-Karriere der Rassenjustiz entkam
VON ANJA MAIER
Melitta Schiller, so hieß sie. Erst ab 1937, als sie Alexander Graf Schenk von Stauffenberg heiratete, trug sie den Namen dieser berühmten deutschen Adelsfamilie. Da war sie 34 Jahre alt, eine der bekanntesten Kampffliegerinnen Hitler-Deutschlands. Eine Jüdin, die ihre Herkunft verheimlichte. Eine androgyne Besessene, die sich als Teil der NS-Fliegerelite waghalsig vom Himmel stürzte und dabei Flugzeuge und Navigationsgeräte testete. Nun hat der Autor Thomas Medicus ihre Biografie vorgelegt. Er schreibt von einer ungewöhnlichen Frau: technikverrückt, süchtig nach Risiko, hart zu sich, auch in der Selbstverleugnung.
Als Melitta Schiller 1937 Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, den älteren Bruder des Hitler-Attentäters Claus Schenk von Stauffenberg, heiratet, hat sie noch acht Jahre zu leben. Im April 1945, einen Monat vor Kriegsende, wird sie bei Straubing von einem amerikanischen Jagdflugzeug abgeschossen. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 42 Jahre alt und darf, weil die Familie ihres Mannes unter Sippenhaft steht, nur noch den Namen Gräfin Schenk tragen. Es ist eine von mehreren Häutungen der Melitta Schiller.
Geboren 1903 in der damals preußischen Provinz Posen, wächst sie als Tochter eines zum Protestantismus konvertierten jüdischen Pelzhändlers auf. Die Schillers bemühen sich sehr erfolgreich um Assimilation, der Vater ist preußischer Beamter und Deutschnationaler, die Familie lebt großbürgerlich. Das sowohl naturwissenschaftlich als auch künstlerisch begabte Mädchen geht Anfang der Zwanzigerjahre nach München und studiert dort Technische Physik. Sie macht ihren Segelflugschein, später auch den Motorflugschein. Ihre Spezialität werden waghalsige Sturzflüge.
Danach bestimmt das Fliegen ihr Leben. Melitta Schiller geht nach dem Studium 1928 nach Berlin an die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, 1936 wechselt sie zu den Askania-Werken. Sie gehört, schreibt Medicus, zur „Elite der deutschen Luftfahrtforschung“, es ist die Zeit der Wiederaufrüstung.
Melitta, die 1931 ihren späteren Mann kennen lernt, steht neben Starfliegerinnen wie Elly Beinhorn oder Hanna Reitsch für die Verschmelzung von Mensch und Maschine, für die moderne Frau des 20. Jahrhunderts. Die von den erstarkenden Nationalsozialisten nicht nur gefördert, sondern auch erfolgreich propagandistisch vermarktet wird.
Nur eines passt nicht. Melitta, seit 1937 mit dem Historiker Alexander Graf Schenk von Stauffenberg verheiratet, ist nach der perfiden Rassentheorie der Nazis „jüdischer Mischling ersten Grades“. Bei der Eheschließung hatten sie und ihr Mann diesbezüglich falsche Angaben gemacht; als Alexander eine Professur bekommen soll, wird genauer nachgeforscht. Als 1940 ihre Abstammung nicht mehr zu leugnen ist, beantragt Melitta selbstbewusst die „Befreiung vom Nürnberger Reichsbürgergesetz“. Die Pilotin ist zu dieser Zeit so wichtig für die Nazis, dass Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, sich persönlich für sie einsetzt. Und tatsächlich erklärt das Reichssippenamt sie 1941 zur „arischen Personen Gleichgestellten“. Dass von 10.000 jüdischen Antragstellern nicht einmal 300 Erfolg hatten, zeigt, wie wichtig dem Staat Melitta von Stauffenberg war.
Ein irritierendes Bild
Danach verschwimmen Melittas „Grenzen zwischen Karrierismus, freiwilliger und erzwungener Anpassung“, schreibt Thomas Medicus. Im Februar 1943 verleiht ihr Göring persönlich das Eiserne Kreuz II. Klasse. Sie ist jetzt ganz abhängig von ihnen. Anderthalb Jahre lang.
Dann, nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, häutet Melitta sich ein letztes Mal. Zwar wird sie verhaftet, aber schon nach wenigen Wochen entlassen. Dass sie, wie es frühere Biografien nahelegten, in die Attentatspläne eingeweiht, gar ein Teil von ihnen war, bestreitet Thomas Medicus. Aber immerhin, sie kommt frei und macht weiter mit ihren Sturzflügen im Dienste der deutschen Luftwaffe. Manchmal fliegt sie dann nach Weimar und kreist tief über dem Konzentrationslager Buchenwald, wo sich ihr Mann befindet.
Ein irritierendes Bild: eine fliegende Nazisse, die ihrem Mann, einem KZ-Häftling, Liebesgrüße aus einem Flugzeug schickt. Und die schließlich kurz vor Kriegsende der Ami vom Himmel schießt. Es gibt viele solcher Kopfbilder, die der Autor der Biografie erzeugt. Dünn ist die Quellenlage zu Melitta von Stauffenberg. Bunt und wortreich sind die Theorien zu dieser Amazone des Dritten Reiches. Sie selbst hat durch ihr Tun gewirkt; eine Jüdin zu sein hat sie nur gestört, wenn es sie behindert hat. Scheinbar wollte sie sich nur in die Tiefe stürzen. Das hat sie gemacht. Als Mensch aber bleibt sie seltsam blass in Thomas Medicus’ Biografie.
■Thomas Medicus: „Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben“. Rowohlt, Berlin 2012, 416 Seiten, 22,95 Euro