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Archiv-Artikel

neuwahl 05: sieht die ikea-republik deutschland schon schwarz-gelb? Die Satten erwarten nichts mehr von niemandem. Wenn da nur nicht Bayerns Schulerfolge wären

taz-Serie: Die Hungrigen, die Satten & die NervösenSie sind die Milieus der Mitte. Politisch flexibel, materiell leidlich abgesichert, treffen sie sich bei Ikea an der Kasse – und im September an der Wahlurne. Einst machten sie Schröder zum Kanzler – wo stehen sie zur Neuwahl 2005? Ein Stimmungstest, ehe der Kampf um Stimmen beginnt.Gestern Teil I: Die hungrigen Praktikanten – finden sie unter der neuen Regierung ihren ersten echten Job?Heute Teil II: Die Satten – wie rot-grün denkt der deutsche Lehrer?Morgen Teil III: Die Nervösen – warum junge Berater im Job der Atomkraft dienen, im Herzen aber mit den Grünen zittern pat

Der deutsche Lehrer fühlt sich sozialen Idealen verpflichtet und denkt links. Mehrheitlich zumindest. So weit das Klischee. Wenn er daher also als Indikator für das Renommee des rot-grünen Projektes taugt, ist nur ein Schluss möglich: Es sieht trübe aus.

„Ich habe seit 20 Jahren Grün gewählt und werde es auch weiterhin tun“, sagt Ingrid H., Realschullehrerin aus Hessen. Klingt eigentlich gut. Allerdings wählt sie nicht mehr „aus Überzeugung“. Und es dürfe, sagt sie, im September „auch ruhig einen Wechsel geben“. Ingrid H. erwartet nichts mehr von SPD und Grünen, sie hat den Glauben verloren. Wie viele wählt sie nur noch aus dem vagen Wunsch heraus, rote und grüne Prinzipien weiter in der Politik erwähnt zu sehen.

Zu glauben scheint im Moment kaum noch jemand an Rot-Grün. Der gemeine Lehrer ist politisch frustriert und resigniert, so viel lässt sich durch eine kleine Umfrage unter der Zielgruppe schnell feststellen. Gleichzeitig sieht er jedoch keine Alternative. Also: Weitermachen.

Helga S., Geschichtslehrerin an einem Gymnasium in Mecklenburg: „Ich habe bei der letzten Bundestagswahl SPD gewählt und ich werde auch im September SPD wählen. Für mich ist das einfach vom Programm her die vernünftigste Partei.“ Oder Klaus H., Lehrer an einer Waldorfschule: „Es war 2002 Grün, und es wird auch im September wieder Grün sein.“

So klingen einige aus dem Lehrkörper, einer Stammklientel von SPD und Grünen. Sie sind enttäuscht, werden aber trotzdem dabei bleiben. So wie auch ein Zug ohne Lokführer einfach immer weiterfährt.

Es sind die gebrochenen Versprechen und die enttäuschten Hoffnungen, die ihre Begeisterung in Frust verwandelt haben. Jeder hat seine ganz persönliche Negativliste: Zwar gibt es weniger Atomkraftwerke als zu Kohls Zeiten, doch statt mit der Bahn wird der Joghurt weiter mit dem Lkw quer durch Europa gekarrt. Zwar gibt es mehr Ganztagsschulen, doch für gute Angebote am Nachmittag fehlt das Geld.

Manche wenden sich deshalb ganz ab von ihren einstigen Idealen. Silke W. beispielsweise, Lehrerin an einer Hamburger Sonderschule: „Ich habe immer Rot oder Grün gewählt und werde jetzt bewusst nicht wählen. Ich kann mich mit nichts mehr einverstanden erklären.“ Oder Walter A., Lehrer an einer hessischen Realschule: „Die Grünen müssen auch mal spüren, dass sie sich ein bisschen mehr anstrengen müssen.“ Der Hesse will die Partei nicht mehr wählen, obwohl er einst selbst einen Grünen-Ortsverband mitgründete. Stimmenthaltung hält er allerdings wie die meisten für den falschen Weg.

Was also tut der Mensch, wenn der Glaube verschwunden ist, er jedoch trotzdem nicht aufgeben will? Er hofft. „Ich habe die SPD gewählt und würde die SPD auch wieder wählen, weil ich die Alternative nicht sehe. Ich wüsste nicht, was ich anderes machen sollte, und hoffe, dass sich in der SPD einiges ändert. Die Hoffnung kann man ja haben“, sagte Ina A., eine Berliner Grundschullehrerin.

Die Hoffnung kann man haben. Und seinen Politikern auch in Krisen beizustehen ist lobenswert, jedoch in Zeiten der Enttäuschung, gern auch Politikverdrossenheit genannt, nicht unbedingt selbstverständlich.

Man kann auch einer ganz anderen Hoffnung anhängen. Der nämlich, dass alles gut ist, was Veränderung bringt, egal, was es ist. Damit wollte sich zwar niemand zitieren lassen, doch der Tenor dieser Hoffnung, die bei einigen Lehrern verbreitet ist, lautet: Bayern war schon immer schwarz, und da läuft die Bildungspolitik super. Es ist das Bundesland mit der höchsten Leistungsfähigkeit. Also muss ja etwas Gutes an der Union sein.

Dieser Glaube an Schwarz-Gelb jedoch scheint auch nur ein Ausdruck der allgemeinen Hilflosigkeit zu sein. Denn eigentlich erwartet niemand der Befragten, dass sich irgend etwas ändert. Das Bedauern darüber ist auch ein Zeichen der Enttäuschung. Ina A.: „Große Hoffnungen, dass sich etwas tut, habe ich nicht. Woher soll denn das Geld dafür kommen?“ Oder noch mal Ingrid H.: „Ich glaube nicht, dass sich etwas ändern wird. Ich bin da sehr fatalistisch. Man wählt das kleinste Übel.“

Fürchten müssen sie den Wechsel als Beamte ja nicht. Zum letzten Mal Ina A.: „In meiner privaten Existenz fühle ich mich dadurch nicht bedroht.“

KAI BIERMANN