DVDESK : Stille Tage im Klischee
Eugène Green: „A religiosa portuguesa“ (A Portuguese Nun, 2009), via www.amazon.co.uk für ca. 10 Pfund zu beziehen
Kameraschwenk über Mauern, Ruinen, Graffiti; ein Baum kommt ins Bild, auf der Tonspur beginnt Fado. Weiterer Schwenk, jetzt die Stadt, Lissabon, eine Aneignung, eine Liebeserklärung, ein zärtlicher, vereinnahmender Blick. Dann die Tram, den Berg hinunter, Bilder, die man von Lissabon kennt. Bald darauf fährt die Tram den Berg wieder hinauf.
Ein Amerikaner aus Paris
Eugène Green, der Amerikaner aus Paris, will den Blick auf Portugals Hauptstadt nicht neu erfinden und betrachtet, was er sieht, darum einfach als Schauplatz für Einstellungen, Figuren und Dialoge, die bei aller Liebe zum Fremden ganz seine eigenen sind. Eugène Green spielt selbst mit, das tut er gern, diesmal als Regisseur, der einen Film dreht, mit nur zwei Darstellern – einer Nonne, die sich in einen Soldaten verliebt, Kostüme, kein Dialog, kleines Team. Julie de Hauranne (Leonor Baldaque) kommt an und erzählt dem Pförtner, dass sie als Schauspielerin in der Stadt ist.
„Französischer Film“, sagt sie in ihrem sehr guten Portugiesisch, ah, langweilig, sagt der Pförtner, nur was für Intellektuelle. Julie geht spazieren in Lissabon, bevor die anderen kommen. Sie trifft einen Jungen, sie trifft im Café einen deutlich älteren Mann, der ein Buch liest, beziehungsweise erst treffen sich Blicke, dann folgt er ihr, dann weist sie ihn ab, dann gibt er ihr seine Karte, dann ruft sie ihn an, dann treffen sie sich im Restaurant, und sie rettet ihm auf diese Weise das Leben. Er hat nämlich, wie man später erfährt und auf dem Nachttisch auch sieht, den Revolver zum Selbstmord im Stil eines russischen Romans bereits geladen. Julie und der Mann küssen sich, aber schlafen nicht miteinander.
Sie spielen Fado
Zweimal hält der Film inne und zeigt Bands, natürlich spielen sie Fado, mit Songzeilen wie: Das Glück war ein anderer, der andere war aber auch unglücklich. Fado, Saudade, Gesang, alle sind auf schöne Weise erlösungsbedürftig, Klischeeportugal. Jedoch ereignet sich dabei tatsächlich das ein oder andere Wunder. Für Julie, die auf der Suche ist nach Liebe, einer Liebe von Dauer: eine Ohnmacht, das Gespräch mit einer richtigen Nonne führen auf den richtigen Weg. Für Vasco, den Jungen, dem Julie mehrmals begegnet, der keine Mutter mehr hat und eine findet. Vielleicht sogar für den jungen Mann, Wiedergeburt des Königs Sebastian oder so, der auf die dritte Begegnung und damit die große Liebe des Märchens jedenfalls hoffen darf. Aber auch für den Film selbst, der die ganzen, Touristen vertrauten Lissabonorte verwandelt, nach Art Eugène Greens.
Gern filmt er Gesichter frontal und Dialoge im schnellen Schnitt en face gegen en face. Nicht selten filmt er parterre, zeigt nur Schuhe und Schritte, Begrüßung und Abschied, ganze Dramen im Mit- und Gegeneinander von Füßen. Das wirkt oft sehr streng, und alle sprechen, als sagten sie etwas auf, was kein Wunder ist, denn Green kommt vom Theater. Große Worte fallen und sind eigentlich auch so groß gemeint, wie sie klingen, nur gehen sie dabei mit Todesverachtung durchs Klischee und durchs Triviale hindurch. Wäre das alles nicht genau so, wie es ist, es wäre wirklich unmöglich. Es stoßen das Erhabene und das Skurrile aufs Wundersamste zusammen, en face gegen en face, widersprechen sich dabei aber gar nicht, sondern alles fügt sich, als wären heiliger Ernst und arger Quatsch einfach zwei miteinander verträgliche Ausdrucksformen ein- und derselben Sicht auf die Welt. Und weil es ein so einzigartiges Vergnügen ist, die Filme von Eugène Green zu sehen, muss man wohl sagen: Hier, und seien sie es nirgendwo sonst, sind sie es auch. EKKEHARD KNÖRER