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Archiv-Artikel

Nur die Orgel muss noch fort

KUNST IN DER KIRCHE Früher kamen Katholiken in die Kreuzberger St.-Agnes-Kirche, bald werden es Kunstfreunde sein. Der junge Galerist Johann König lässt das von Werner Düttman errichtete Gotteshaus umbauen

Den Beton lernt man lieben, weil er so schön das Holzmuster seiner Schalbretter abbildet

VON ANDREAS BECKER

Als man gerade sein Rad anschließt, steigt Johann König aus einem Taxi. Nach kurzer Begrüßung fragt der Galerist die Handwerker, die gerade Schutt in einen Container räumen, ob sie denn diese Woche noch fertig würden. Man merkt, Johann König hat es eilig, jetzt will er endlich rein in „seine“ Kirche. Das war im März, inzwischen steht der Bauzaun.

Dieses Riesenprojekt wird die Berliner Galerienlandschaft um ein Highlight erweitern. Die ehemalige St.-Agnes-Kirche steht in einem Teil von Kreuzberg, wo die Alliertenbomber und die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit richtig aufgeräumt haben. Altbauten gibt es in dieser Ecke der Alexandrinenstraße nicht, stattdessen Hochhäuser, einen riesigen Sportplatz, kein einziges Café. Um die Ecke finden sich immerhin die Berlinische Galerie und das Jüdische Museum, das sich ja auch gerade vergrößert.

Der Bau des Brutalismus, wie ihn König selbst nennt, ist schon vor acht Jahren von der katholischen Kirche aufgegeben worden. Zwischenzeitlich haben die Cross Continental Believers hier residiert. Jetzt hat König das Grundstück auf 99 Jahre gepachtet. Das Hauptgebäude erinnert von außen mit seinem Spritzbeton an einen Bunker oder ein Lagerhaus; doch es handelt sich um einen Bau des Architekten Werner Düttmann, der unter anderem die Akademie der Künste im Hansaviertel entworfen hat.

Immer schon karg

Die strenge Geometrie im Hof erinnert auch an die Akademie. Der Kirchenraum selbst mit rund 800 Quadratmeter Fläche und einer gefühlten Höhe von 18 bis 20 Metern ist imposant. Schnickschnack sucht man vergebens. Tageslicht fällt durch ein weit oben liegendes, teilweise verstecktes Fensterband. „Der Raum war immer schon karg“, sagt König. Früher hing als einziger Schmuck ein monstergroßes Kreuz an der Wand.

Hier möchte man nicht verzweifelt gebetet haben, und Schlingensiefs „Kirche der Angst“ könnte hier ihre Postadresse gehabt haben. Moderne als Zumutung der unverschnörkelten Realität, natürlich aus Beton. Beton, den man lieben lernt, weil er so schön das Holzmuster seiner Schalbretter abbildet.

Jetzt muss zur endgültigen „Profanisierung“ nur noch die Orgel ausgebaut werden. Die war nur 20 Jahre hier drin und ist noch so gut erhalten, dass sie sorgfältig in ihre Einzelteile zerlegt wieder aufgebaut werden kann. Die Orgelbauer sind aus dem westfälischen Werl. Karl Heinz Gripshöfer, einer von ihnen, sagt: „Ich kann nicht Orgel spielen, aber sie bauen.“ Ein paar finale Töne entlockt er dem Instrument dann aber doch: „Die wird mit einem kleinen Computer aufgerüstet, bekommt dann 4.000 Spielmöglichkeiten. Die Zahl der Register bleibt gleich, aber der Organist verfügt über mehr Klangfarben.“ Die ehemalige St.-Agnes-Gemeinde wird mit noch einer zur neuen St. Bonifazius fusioniert. Dort wird dann auch die Orgel wieder erklingen.

Die Künstler von König wie Tatiana Trouvé, Jeppe Hein oder Tue Greenfort werden richtig Power brauchen, um in dieser Halle des abgelebten Glaubens zu bestehen. Auch König braucht Mut. Und rund 3 Millionen Euro als Investition. König ist Anfang 30 und Sohn von Kaspar König, dem langjährigen Direktor des Kölner Museums Ludwig. Er gibt sich selbstbewusst: „Wir gehören ja mit der Galerie zu den 20 von 300, die etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes in Berlin generieren.“ Um das Projekt zu stemmen, hat König eine Immobiliengesellschaft gegründet, die die angrenzenden Gebäudeteile – eine Kita, Wohnungen und ein noch zu schaffendes Café im Hof – entwickeln und dann vermieten wird. Die Bruttogeschossfläche beträgt immerhin über 3.500 Quadratmeter. Ein Galerist dieser Größenordnung muss scheinbar auch Makler sein: „Ich gehe ein erhebliches Eigenkapitalrisiko ein.“

Tote Gegend

Wenn man da die eingeschlagenen Fensterscheiben zur Straße hin sieht, denkt man gleich: oh, die toughen Gentrigegner von der Guggenheim-Front waren auch schon hier. Aber König lächelt: „Das war vor unserer Zeit.“ König sieht das Gebäudeensemble, errichtet zwischen 1964 und 1967, eher als Kunstbau denn als Kirche. Düttman hat auch das Brücke-Museum in Dahlem entworfen. „Wir möchten hier eine kleine Enklave der Kreativität schaffen.“

Architekten oder Verleger wären als Mieter willkommen. Anfang 2013 will König eröffnen. Ein bisschen Größenwahn müsse man schon haben für ein solches Projekt. Vor allem in dieser merkwürdig toten Gegend, die sicherlich nie hip sein wird. Es ist auch nicht so weit bis zum Minigolfplatz und zum Prinzenbad, sagt König. Es kommt einem aber irre weit vor. Vor allem, wenn man auf den hohen Kirchturm klettert und runterschaut auf die Stadt.

Als wir noch mal den einstigen Kirchenraum betreten, sehen wir die staubigen Holzraster des ehemaligen Beichtstuhls. Ob er nicht beichten möchte, frage ich König. „Ich hab jetzt gelernt“, sagt er, „dass man die Beichte nur ablegen kann, wenn man auch wirklich bereut. Es gab schon Momente, da war es nah dran, dass ich den Erwerb der Kirche bereut hätte. Aber bislang noch nicht.“