: „An den Schulen geht es vor allem um das Organisatorische“
Die zahlreichen Reformen, die ab August an den hiesigen Grundschulen greifen sollen, sind schlecht geplant und finanziell nicht abgesichert, meint die Vorsitzende des Grundschulverbands, Inge Hirschmann. Bei der Umsetzung gibt es massive Probleme. Ein Gespräch über Baustellen, fehlende Erzieherinnen und mangelnde Zeit für Pädagogik
taz: Frau Hirschmann, Sie sind Vorsitzende des Berliner Grundschulverbands. Was erwartet die Fünfeinhalb- bis Sechsjährigen, die im August eingeschult werden?
Inge Hirschmann: Sie werden leider nicht das kriegen, was sie brauchen: Lehrer und Erzieher sind keine eingespielten Teams, die Räume sind noch nicht überall fertig, vielleicht fehlen sogar noch Möbel. Sie werden erleben, dass sich alles erst finden muss. Dabei brauchen sie eigentlich sehr viel Sicherheit.
Die Grundschulen gehen also nicht gut gerüstet in das neue Schuljahr, das zahlreiche Veränderungen bringt?
Nein, gut gerüstet sind wir sicher nicht. Die Grundschulen geben sich natürlich Mühe, die vielen neuen Aufgaben, die im kommenden Schuljahr auf uns zu kommen, zu bewältigen. Viele der Neuerungen halten wir pädagogisch auch für sinnvoll. Aber die Umsetzung ist nicht gut genug vorbereitet und geht zu schnell.
Wo liegt genau das Problem?
Nehmen wir zum Beispiel die Einführung des offenen Ganztagsbetriebs, also die Verlagerung der Horte an die Schulen. Die Schulen haben jetzt erst erfahren, mit welchen Erzieherinnen sie künftig rechnen können. Nächste Woche beginnen die Sommerferien. Wie soll man da pädagogische Konzepte erarbeiten? An manchen Schulen haben die notwendigen Bauarbeiten noch gar nicht begonnen.
Die Verlagerung der Horte an die Schule ist eine große Strukturreform, hinzu kommen aber zahlreiche andere Veränderungen: Die Vorklassen werden abgeschafft, die flexible Schulanfangsphase wird vorbereitet, die verlässliche Halbtagsgrundschule eingeführt. Außerdem haben Sie mit der früheren Einschulung einen halben Jahrgang mehr in der Schule. Ist das zu viel?
Ja, das ist zu viel. An einer Schule kann man sich schwerpunktmäßig vielleicht mit einer oder zwei Sachen gleichzeitig beschäftigen, aber nicht mit so vielen Dingen. Wir sollen ja auch Schulprogramme entwickeln und die neuen Rahmenlehrpläne übernehmen, solche Sachen treten dann in den Hintergrund, obwohl sie sehr wichtig sind. Im Augenblick geht es an den Schulen vor allem um das Organisatorische.
Was ist falsch gelaufen? Hat sich die Bildungsverwaltung von SPD-Senator Klaus Böger verkalkuliert, die Bezirke oder die Schulen selbst?
Das ist schwer zu sagen. Es ist ein Zusammenspiel von vielen Dingen: Von den Vorgaben aus der Senatsverwaltung über die Bezirke bis zur Umsetzung in der einzelnen Schule gibt es natürlich eine Menge Reibungsverlust. Die Vorgaben kommen aus der Bildungsverwaltung. Bei den Maßnahmen zur Umsetzung und bei der Zeitplanung hätte man besser planen müssen. In den Bezirken wiederum gibt es zahlreiche Stellen, die zum Beispiel für den offenen Ganztagsbetrieb zuständig sind. Da fehlt der Blick für das Ganze und auch für die Situation an der einzelnen Schule. Da wird abgearbeitet, nicht neu gestaltet. Von Anfang an hat zudem eine klare Bestandsaufnahme gefehlt: Was brauche ich für diese Veränderungen, und was ist in der finanziellen Situation des Landes überhaupt machbar? Hinzu kommt, dass es auch noch billiger werden soll. Es geht nicht, wie häufig gesagt wird, um Kostenneutralität und darum, aus den vorhandenen Mitteln das Beste zu machen. Es wird gespart.
Wird es nach einer – vielleicht sehr schwierigen – Übergangsphase dann überhaupt zu einer besseren Arbeit mit den Kindern kommen? Oder stimmen die Rahmenbedingungen dafür gar nicht?
Mit den Rahmenbedingungen ist es schwierig. Es fehlt einfach an der Zeit, im Kollegium Dinge zu durchdenken. Das ist derzeit nicht möglich, wäre aber extrem wichtig. Ich befürchte auch, dass es in den Schulen in den Innenstadtbezirken tendenziell zu wenig Platz für den offenen Ganztagsbetrieb gibt, um wirklich gute Pädagogik zu machen.
Und reicht dafür das Personal?
Für die behinderten Kinder bestimmt nicht, hier sind die Zuschläge teilweise um die Hälfte gekürzt worden. Ich halte auch den Personalschlüssel von 1:22 …
… eine Erzieherin ist also für 22 Kinder zuständig.
… für nicht ausreichend. Zum einen ist das eine rein rechnerische Größe. Wir müssen zum Beispiel auch eine Früh- und Spätbetreuung anbieten. Lange Öffnungszeiten organisieren heißt, dass in den Kernzeiten die Gruppen größer sind. Hinzu kommt, dass es keine Vertretungsmittel gibt: durch die tarifliche Vereinbarung können Erzieherinnen aber zusätzlich frei machen, sie werden krank und bilden sich fort. Das muss man auch alles bedenken. INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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