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Archiv-Artikel

WEIL VERHEUGEN LAVIERT, WEISS DIE TÜRKEI WIEDER NICHT, WORAN SIE IST Alles ist im Fluss

Wie oft war in den vergangenen Jahren zu hören, die Türkei brauche eine sichere EU-Perspektive, um mit den Reformen voranzukommen? Man könne – je nach politischem Standpunkt – Ankara ein beherztes Willkommen oder ein mutiges Stopp entgegenrufen. Man könne den Beitritt in Aussicht stellen oder eine privilegierte Partnerschaft aushandeln. Keinesfalls aber dürfe die Union den bisherigen Zickzackkurs fortsetzen.

Doch nun betont Günter Verheugen, der sich als Erweiterungskommissar für eine Vollmitgliedschaft Ankaras stark machte, dass die Verhandlungen von Anfang an ergebnisoffen geplant waren. Und Verheugens Nachfolger Olli Rehn sagt, die Türkei werde von nun an noch genauer unter die Lupe genommen, und nennt als Beispiele die Menschenrechte, die Zustände in Gefängnissen, das Strafrechtssystem und die Informationsfreiheit. Nach zwei geplatzten Verfassungsreferenden und einem gescheiterten EU-Gipfel fällt die Union in ihren Schlingerkurs zurück.

Seit 1963 wird das Lockmittel Mitgliedschaft immer dann eingesetzt, wenn die Türkei außenpolitisch bei Laune gehalten werden soll. Damit, so hatte die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht vergangenen Oktober deutlich gemacht, sollte nun Schluss sein. Stattdessen: klare Bedingungen im Tausch gegen eine klare Beitrittsperspektive. Am 3. Oktober sollen die Verhandlungen beginnen.

Die Türkei hält ihren Teil der Abmachungen ein. Die Menschenrechtslage ist nicht schlechter als vor einem Jahr. Anfang Juli will sie das Protokoll zur Zollunion mit den zehn neuen Mitgliedsländern unterzeichnen – was faktisch eine Anerkennung der griechisch-zypriotischen Regierung durch Ankara bedeutet.

Kein Politiker möchte sich den Vorwurf gefallen lassen, er verhalte sich wie ein Chamäleon. Deshalb wies Verheugen auf den von ihm verantworteten Türkei-Fortschrittsbericht hin, in dem die Verhandlungen bereits ergebnisoffen genannt werden. Doch der kritische Unterton ist neu. Ein Chamäleon passt seine Farbe dem Standort an, nicht umgekehrt. DANIELA WEINGÄRTNER