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Archiv-Artikel

Die Tücken des Wiederaufbaus

VON SVEN HANSEN

Sechs Monate nach dem Tsunami endet in den Katastrophengebieten die Nothilfe und beginnt der Wiederaufbau. Die ersten Hilfsgüter kamen Ende Dezember schnell. Jetzt geht vielen Spendern und Betroffenen der Wiederaufbau nicht rasch genug. Doch Hilfsorganisationen verweisen darauf, dass sinnvolle Hilfe einfach Zeit braucht.

„Es gibt den verständlichen Wunsch in Deutschland, dass die Spendengelder umgehend ausgegeben werden. Schnelligkeit darf aber nicht der allein entscheidende Maßstab für Hilfsorganisationen sein“, sagt der Leiter des katholischen Hilfswerks Caritas international, Martin Salm. Inzwischen sei erkennbar, dass in einigen Fällen nicht zu langsam, sondern zu schnell und unüberlegt geholfen worden sei. Das Ergebnis seien überdimensionierte Krankenhäuser, ungeeignete Wellblechhäuser und schlecht gebaute Fischerboote. Je höher der Anspruch an die Qualität der Hilfe, desto zeitaufwändiger sei diese in der Regel.

Trotz manch kritischer Töne ziehen die Hilfsorganisationen insgesamt eine positive Halbjahresbilanz ihrer Arbeit. „Wir haben es geschafft, Hunger und Unterernährung zu verhindern, indem wir rechtzeitig hunderttausende Hilfsbedürftige mit Essen versorgt haben“, sagt Mohamed Saleem, Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) in Indonesien. Auch sei der Ausbruch von Seuchen verhindert worden. Dabei sei angesichts der Größe der Katastrophe wie der Hilfsbereitschaft eine völlig reibungslose Hilfe ohnehin nicht zu erwarten gewesen, betonen viele Helfer.

Jetzt brauche auch die Einbeziehung der Bevölkerung Zeit, betont die Direktorin der Diakonie Katastrophenhilfe, Cornelia Füllkrug-Weitzel: „Es geht darum, den Menschen zuzuhören, damit sie den Neuanfang selbst gestalten können.“ Sonst könnten die Opfer das Trauma der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins nur schwer bewältigen.

Der Anfang Mai ernannte indonesische Wiederaufbauminister Kuntoro Mungkusubroto fällte selbst ein vernichtendes Urteil über die Arbeit seiner Regierung. „Straßen? Es werden keine Straßen gebaut. Brücken? Es werden keine Brücken gebaut. Häfen? Es werden keine Häfen gebaut. Wiederaufbau? Nahezu null.“ Diese Sätze sorgten für Schlagzeilen. Doch Gert Reinberger, Koordinator der Deutschen Welthungerhilfe für die indonesische Katastrophenregion Aceh, hält das für Politikergetue. „Es konnte doch noch gar keinen Wiederaufbau geben. Zunächst ging es um Nothilfe, und dann machte die Regierung einen Masterplan zur Voraussetzung. Dieser lag aber erst Mitte Mai vollständig vor.“ Und fünfeinhalb Monate zur Erstellung eines Wiederaufbauplans für eine ganze Provinz sei „doch erfreulich schnell“, meint Reinberger, der viele Probleme in dem korruptionsgeplagten Land für normal hält. Dafür sei jetzt die Regierung meist flexibel genug, Abweichungen vom Plan zu akzeptieren, wenn sich ein Dorf einig sei.

Vor dem Wiederaufbau müssen vielerorts die Eigentumsverhältnisse geklärt und der Streit um Land geschlichtet werden. Vor allem aus Sri Lanka und Thailand werden Konflikte zwischen Fischern und Hotelbetreibern um Ufergrundstücke gemeldet. „Der Druck der Hilfsorganisationen, schnell sichtbare Projekte zu schaffen, erhöht den Druck auf die Konfliktparteien vor Ort“, sagt Katja Maurer, Sprecherin von Medico international.

Sie warnt vor blinder Hilfe. Ihre Organisation habe eine Großspende abgelehnt, deren Spender auf schnellem Häuserbau ohne langfristige Zusammenarbeit mit den Organisationen der Betroffenen bestehen wollten. Doch Medicos Erfahrungen nach der Hurrikan-Katastrophe in Nicaragua 1998 hätten gezeigt, dass in von anderen Organisationen besonders schnell hoch gezogenen Häusern längst nicht mehr diejenigen wohnen, für die sie gedacht waren.

Reinberger von der Welthungerhilfe sieht für Aceh noch andere Probleme: „Demnächst beginnt der Bau von 50.000 Häusern. Doch ist bisher nur Holz für 20.000 da.“ Zwar wolle man nur Holz aus legalem Einschlag verwenden, dennoch sei zu fürchten, dass sich der Raubbau an Sumatras Wäldern beschleunigt.

Die Hilfsorganisationen haben im letzten halben Jahr viel geleistet. Doch Listen gelieferter Hilfsgüter, mit denen zum Beispiel das Rote Kreuz seine Arbeit belegt, sagen per se nichts über die Qualität und Zielgerichtetheit der Hilfe aus. So erinnert sich Jörg Meier, der die Arbeit der Welthungerhilfe in Aceh aufbaute, an manchen Unsinn: „Eine koreanische Organisation lieferte Milchreispackungen für Mikrowellenherde.“

Laut Meier wurden zunächst mehr Wasseraufbereitungsanlagen geplant als nötig; Krankenhäuser erhielten Medikamente, die zahlreich vorhanden waren. Auch sei Hilfe ungleich verteilt worden. Menschen in weniger betroffenen Gebieten hätten sich vernachlässigt gefühlt, weil täglich voll beladene Hilfskonvois an ihnen vorbeifuhren. Erst nach einzelnen Plünderungen sei das Bewusstsein gewachsen, dass auch weniger zerstörte Gebiete betroffen waren – sei es durch verlorene Märkte oder weil viele Flüchtlinge aufgenommen wurden. Meier, der der Nothilfe in Aceh in den ersten drei Monaten die Note „Zwei bis Drei“ gibt, fordert einen ganzheitlichen Ansatz, damit die Hilfe in der Bürgerkriegsregion keine neuen Konflikte schürt.

Auf die Notwendigkeit guter Planung und Koordination verweist Boris Wilke, Geschäftsführer vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), das für die Vergabe des Spendensiegels an Hilfsorganisationen zuständig ist. „Die Planungsphase des Wiederaufbaus wird sich noch bis Jahresende hinziehen. Blinder Aktionismus wäre das Falscheste.“ Eine aussagekräftige Bilanz könne frühestens nach einem Jahr gezogen werden. „Bis jetzt sind bei den deutschen Hilfsorganisationen kein großen Skandale aufgetaucht. Alles bewegt sich im Rahmen des Erwartbaren.“ Fast 90 Prozent der Spenden seien an erfahrene Organisationen mit Spendensiegel gegangen. Das gibt es für seriöse Werbung, transparente Verwaltung und effiziente Ausgaben, über die Qualität der Hilfe vor Ort sagt es aber nichts.

Wilke kritisiert „überhitzte“ Sammelaktionen einiger Medien, die unter dem Deckmantel von Hilfe vor allem Eigenwerbung betrieben hätten. Zu viel Geld sei insgesamt nicht gespendet worden, zumindest nicht für Organisationen, die sowohl Katastrophen- als Wiederaufbauhilfe leisteten. Zu diskutieren sei aber, ob weitere Spenden nicht eher in andere Regionen gehen sollten.

Wilke lobt „Ärzte ohne Grenzen“. Die Organisation hatte bald gebeten, kein zweckgebundenes Geld für die Region mehr zu bekommen, da man als reine Nothilfeorganisation dort nicht mehr als vorgesehen machen könne, aber zugleich noch ungebundenes Geld für andere Einsätze brauche. „Das Verantwortungsbewusstsein der Spender für Organisationen mit Zweckbindung ist dank der mutigen Entscheidung von ‚Ärzte ohne Grenzen' gewachsen“, sagt Wilke.

Die Organisation gab bisher 200.000 Euro an deutsche Spender zurück, sagt Sprecherin Petra Meyer. Diese hätten ihre für Tsunamiopfer bezweckte Spende nicht für Einsätze von „Ärzte ohne Grenzen“ woanders freigegeben. Solche Freigaben gab es bisher für 16,7 Millionen und damit für über 50 Prozent an diese Organisation für diesen Zweck gegebenen Mittel. Laut Meyer stärkte diese unter Hilfsorganisationen umstrittene und bisher einmalige Aktion die Glaubwürdigkeit der „Ärzte“: „Wir geben das Geld nicht dafür aus, wofür wir am meisten bekommen, sondern wofür wir es unserer Meinung nach am sinnvollsten einsetzen können.“

Darüber lässt sich im Fall von Oxfam in Sri Lanka trefflich streiten. Dessen Regierung bestand darauf, dass die britische Organisation für 25 Fahrzeuge aus Indien die üblichen 300 Prozent Zoll von insgesamt einer Million Dollar zahlt. Den hatte die Regierung vier Monate lang für Hilfsgüter ausgesetzt. Weil sie ihn wieder einführte, steckten die von Oxfam benötigten Fahrzeuge einen Monat beim Zoll fest. Große westliche Organisationen gelten in Entwicklungsländern oft als millionenschwere globale Hilfskonzerne, während britische Spender erboste, dass ihre Gelder in Sri Lankas korruptionsdurchlöcherte Staatskasse fließen, statt Opfern direkt zu helfen. Weil Oxfam diese nicht im Stich lassen wollte, wurde nach erfolglosen Gesprächen zähneknirschend gezahlt.