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Archiv-Artikel

Drahthalten zur Welt

DRAMA Die Autorentheatertage finden zum dritten Mal am Deutschen Theater Berlin statt. Zeitgenössische Stücke stehen im Mittelpunkt. Neben der Frage, wie sich derzeit eigentlich der Erzählradius am Theater bestimmt

Komödiantische Elemente sind gestrichen, das Tempo ist gedrosselt, und doch wird von leichter Hand erzählt, wie familiäre Befindlichkeiten von geänderten Arbeitsbegriffen und Generationenkonflikten beeinflusst sind

VON SIMONE KAEMPF

„Sei nicht du selbst!“ Das ist das Motto, unter dem in diesen Tagen am Deutschen Theater bei den Autorentheatertagen insgesamt 17 Gastspiele zu sehen sind. Inszenierungen von Theaterstücken, die sich durch eigenwillige Autorenhandschriften, spezielle Zugriffe oder aktuelle Themen auszeichnen. Wenn das Festival dann am 16. Juni traditionell mit der Langen Nacht der Autoren endet, wird das Motto noch einmal eine besondere Rolle spielen: es ist die Überschrift, unter der Juror Tobi Müller die drei Stücke ausgewählt hat, die in Werkstatt-Inszenierungen gezeigt werden. Theatertexte, die sich gegen das „Authentischsein“ wenden sollen, stattdessen in nichtvertraute Welten begeben und die Grenzen zum anderen und Fremden überwinden.

Interessant ist das Motto aber auch, weil es das Theater etwas provokant wegbewegen will von einer Entwicklung der letzten Jahre: dem Drang zum Authentischen, den Experten und Laien auf der Bühne, der dokumentarischen Bewegung. Diese Art der Anverwandlung unter Verzicht auf falsche Einfühlung elektrisiert zwar immer noch, hat aber auch offenbart, dass auch recherchierte Fakten auf der Bühne immer eine Inszenierung erfahren und mitunter vor ästhetischen Verzerrungen nicht geschützt sind. Und so geht es auch um Akzentverschiebungen, über welche Wege man sich Wirklichkeit eigentlich ins Theater holen kann. Oder, wie es DT-Dramaturg John von Düffel formuliert, der das Festival zusammen mit Christa Müller kuratiert hat: „Wie weit geht Theater in einer Zeit, in der überall Selbstdarstellung gefordert ist? Das ist interessant, weil es den Radius dessen bestimmt, wie man heute auf der Bühne erzählen kann.“

Daraus spricht noch keine Lösung, aber die Sehnsucht, immer wieder neu von anderen Welten zu erzählen. Suche und Weiterentwicklung zeichnen die Autorentheatertage aus, die Intendant Khuon bereits Mitte der neunziger Jahre in Hannover etablierte, die dann ans Thalia Theater Hamburg mitwanderten und auch in Berlin für das Haus wichtig geworden sind. Mit dem Festival positioniert man sich neben dem laufenden Repertoire als Ort für zeitgenössisches Theater, das seinen Draht nach außen hält.

Die Kontinuität wird nicht nur über den regelmäßigen jährlichen Turnus gewahrt, sondern über ein Tableau, in dem einerseits bekannte Namen auftauchen: Elfriede Jelinek, Peter Handke oder Roland Schimmelpfennig, andererseits werden aber auch beständig jüngere vielversprechende Autoren sichtbar gemacht. Dass etwa Anne Lepper, Jahrgang 1978, mit zwei Arbeiten dabei ist, „Seymour“ in der Hannoveraner Inszenierung von Claudia Bauer und „Käthe Herman“, von Daniela Kranz in Bielefeld inszeniert, ist ein Statement: es würdigt eine Autorin, die sich mit einer sehr eigenen Sprache zu Wort meldet und damit zurzeit große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch bei den Mülheimer Theatertagen ist sie zu sehen und konkurriert um den Dramatikerpreis.

Im besten Fall wird sie in den nächsten Jahren wieder dabei sein, so wie zum Beispiel Philipp Löhle. In seinen Stücken geht es immer wieder um Grenzen und Notwendigkeiten eines politischen Handelns. „Lilly Link“ war vor vier Jahren bei der Langen Nacht zu sehen, die Hauptfigur klammert sich darin bis zur Lächerlichkeit an die Idee des politischen Widerstands, umgeben von Freunden, Bekannten und Eltern, die in den Widerstand „so reingerutscht“ sind oder glauben, „dass sich alles irgendwann ausgleicht“.

Löhles „Der Wind macht das Fähnchen“ eröffnete nun am Dienstagabend die Autorentheatertage. Die Geschichte darüber, wie die Arbeitslosigkeit des Vaters eine Familienaufstellung durcheinanderbringt, hat Regisseur Dominic Friedel in der Inszenierung, die am Theater Bonn entstand, vor eine schlichte Holzwand verlegt. Komödiantische Elemente sind gestrichen, das Tempo ist gedrosselt, und doch wird hier leichthändig erzählt, wie familiäre Befindlichkeiten von veränderten Arbeitsbegriffen und Generationenkonflikten beeinflusst sind.

Friedel und Löhle kennen sich bereits seit dem gemeinsamen Studium. Mit Jan Philipp Gloger gibt es noch einen weiteren Regisseur, der Löhles Stücke bereits mehrmals inszeniert hat. „In solchen Konstellationen kann man sich darauf verlassen, dass man einen guten Ansprechpartner hat, die Kennenlernphase ist schon vorbei“, sagt Löhle. Darum geht es auch bei diesem Festival für zeitgenössisches Theater: zeigen, dass Regie-Autor-Verbindungen die Kraftquelle des Theaters sind und sich über das Ineinanderwirken von Schreiben und Inszenieren in einen Kosmos eindringen lässt.

■ Bis 16. Juni, Deutsches Theater Berlin, www.deutschestheater.de; Anne Leppers „Seymour oder Ich bin nur aus Versehen hier“, 7. Juni; „Käthe Herman“ am 11. Juni