: Eine Revolution mit dem Kochlöffel
PERU Die Köche sind politische Verbündete der Kleinbauern. In der „Erklärung von Lima“ proklamieren sie Respekt vor Natur, Vielfalt und traditionellem Wissen
■ Angebot: In ganz Peru isst man hervorragend, am reichhaltigsten ist das gastronomische Angebot jedoch in der Hauptstadt Lima. Verschiedene Reiseveranstalter bieten „gastronomische Stadtführungen“ an. Diese beinhalten meist eine Führung durch einen typischen Lebensmittelmarkt, den Besuch einer Küche und eventuell eine Anleitung zum Selberkochen und das abschließende Essen.
■ Anbieter: Lima Culinary Tours, www.limaculinarytours.com, Lima Tours. www.limatours.com.pe, Lima Gastronomic Tours, www.limagt.com. Die Kosten für eine bis zu fünfstündige Tour betragen rund 70 bis 100 Euro.
■ Museum: Sehenswert ist ein Gang durch das Museum der peruanischen Küche, Casa de la Gastronomía Peruana, das sich gleich neben dem Hauptplatz der kolonialen Altstadt im ehemaligen Postgebäude befindet (Jirón Conde Superunda). Dort werden die Geschichte und die Diversität der peruanischen Küche gezeigt. Der Eintritt ist frei.
■ Gastro-Festival: Jedes Jahr im September findet in Lima die große Kochmesse „Mistura“ statt: Vom 6. bis 16. September 2012.
■ Weitere Information: peru.tourismus.de
VON HILDEGARD WILLER
Stell dir vor, in Lateinamerika findet eine Revolution statt, und das Gewehr bleibt zu Hause. Die jüngste Revolution, die ihren Ausgang in Peru nimmt, wird mit dem Kochlöffel ausgetragen. Dass man in der peruanischen Hauptstadt Lima gut isst, wussten bis vor ein paar Jahren nur die Insider. Heute zieht es immer mehr Touristen nach Peru wegen seiner Restaurants und der Kunst seiner Köche. Ihre Küche ist den Peruanern heilig.
Heilig waren die Lebensmittel schon den Inka und den anderen Völkern, die vor der Ankunft der Spanier an der Pazifikküste und in den Anden lebten. Die Früchte der Mutter Erde, der Pachamama, wurden in personifizierten Keramikdarstellungen den Herrschern mit ins Grab gelegt. In jedem peruanischen Museum kann man heute Mais- und Kartoffel-Skulpturen aus präkolumbianischer Zeit bewundern. Auch der „Ceviche“, das peruanische Nationalgericht aus rohem Fisch, hat vorspanische Wurzeln. „Den Ceviche bereiten alle Peruaner zu, der von der Pazifikküste genauso wie der Fischer vom 4.000 Meter hoch gelegenen Titicacasee.“
Was denn sein Lieblingsgericht sei? Auch Bernardo Roca Rey als oberster Gastronomiehüter soll sich um die obligate peruanische Frage nicht drücken. Er streicht sich durchs graue Bärtchen und blickt von seinem Penthouse auf den noch nebelverhangenen Himmel von Lima. „Heute kommt noch die Sonne heraus, da gibt es nichts Besseres als einen Ceviche.“
Der Gastronomiehüter Bernardo Roca Rey
Bernardo Roca Rey ist stolz darauf, dass er den Stolz der Peruaner auf ihre Küche geweckt hat. Neun Millionen Kochbücher hat der Verleger über sein Zeitungs-Imperium „El Comercio“ an peruanische Haushalte verteilt. Vor allem aber hat der studierte Chemiker und Hobbykoch die landwirtschaftlichen Produkte der Anden in den Küchen der Hauptstadt salonfähig gemacht.
Die Getreidesorten Kiwicha, Quinoa oder Kanihua, die Oca-Wurzel, die lila Kartoffel oder Alpacafleisch: all die in der Hauptstadt als indianisch und bäuerisch verschrienen Nahrungsmittel erfahren in der „Cocina novoandina“ – der neuandinischen Küche – besondere Wertschätzung.
„Gehe auf einen Markt in Lima, wenn du das Geheimnis der peruanischen Küche entdecken willst“, rät Bernardo Roca Rey. Inmitten der grauen Wüstenmetropole Lima sind die traditionellen Lebensmittelmärkte ein Paradies an Farben, Formen und Geschmäckern. Was es heißt, dass Peru das Land mit einer der weltweit größten Biodiversität ist, das kann man auf jedem Markt in Lima mit dem Auge erfassen und mit Händen greifen. Saftige Orangen, errötende Mangos, lila Mais und sattgrüne Avocados liegen neben Kartoffeln jeder Größe, Form und Farbe. In Papiersäcken kann man Quinoa, Linsen, Bohnen aller Schattierungen, Kanihua, Kiwicha und Reis kaufen. Von einer Leine hängt eine Vielfalt von Kräutern, die der Volksglaube nicht nur in der Küche, sondern schon auch mal für die Austreibung böser Geister verwendet. Am Fischstand liegt der Reichtum des Pazifischen Ozeans. Und dazwischen darf die Pfefferschote „Aji“ nicht fehlen, ohne die es kein peruanisches Gericht gibt. Auch von der Aji gibt es nicht eine, sondern zig Sorten in allen Farben, wie wenn die Natur so der kargen Küstenlandschaft ein Schnippchen schlagen will.
Der Verleger Roca Rey
Gebratene Rinderherzen am Spieß
Das zweite Geheimnis der peruanischen Küche ist die vielfältige kulturelle Herkunft seiner Bewohner. Die Inkas hatten ihren Mais, ihre Kartoffeln und ihre Ehrfurcht vor den Früchten der Erde. Jedes Volk, das danach seinen Fuß nach Peru setzte, hat aus seinem Heimatland etwas Kulinarisches mitgebracht: die Spanier den Zucker und die Vorliebe der Bewohner Limas für leckere Süßspeisen – ein Erbe der im kolonialen Lima zuhauf ansässigen Frauenklöster, die mit der Herstellung von Süßem ihren Lebensunterhalt bestritten; die zwangsweise hergeschafften Afrikaner brachten die Kunst der Zubereitung von Innereien – die so delikat ist, dass das gebratene Rinderherz am Spieß, „Antichucho“, zu einem der beliebtesten Gerichte gehört. Italienische Einwanderer haben ihre Pasta und Soßen mitgebracht; Chinesen, welche die afrikanischen Sklaven auf den Plantagen ablösten, die kreolisch-chinesischen „Chifas“, die man in Peru an jeder Straßenecke findet. Die Japaner haben die Kunst der Fischfiletierung verfeinert und mitgeholfen, dass dem japanischen Sushi im peruanischen Ceviche eine Konkurrenz erwachsen ist.
Vielfältigkeit bringt in Peru seit der spanischen Kolonisation auch Hierarchisierung: je weißer und europäischer jemand ist, desto weiter oben auf der gesellschaftlichen Leiter steht er. Dies gilt auch noch im heutigen Peru. Nur in der Küche ist das anders: da ist die Diversität auf einmal ein Plus, etwas, worauf man stolz sein kann. „Die Gastronomie ist in Peru eine kulturelle, ja fast eine spirituelle Angelegenheit“, sagt Bernardo Roca Rey. Die bekanntesten peruanischen Köche haben deswegen die peruanische Gastronomievereinigung Apega gegründet, Bernardo Roca Rey ist ihr Präsident. Der Boom der peruanischen Gastronomie sei nicht einfach ein Boom der Kulturelite, meint er, sondern eine Revolution von unten. Ihren Höhepunkt hat diese Revolution jedes Jahr im September. Seit vier Jahren veranstaltet Apega die Gastronomiemesse „Mistura“ in Lima. Und jedes Jahr steigen die Besucherzahlen. 500.000 waren es letzten September, „die meisten Eintrittskarten haben wir in den Vororten und Armenvierteln verkauft“, berichtet Roca Rey. Das Besondere an Apega: Edelrestaurants verkaufen dort ihre Gerichte zu einem billigen Preis, ebenso wie die Frauen aus dem Tiefland, die statt Koka nun Kakao anbauen und Schokolade herstellen, oder die Kartoffelbäuerin aus den Anden, die stolz ihre lila, braunen, roten und buntgescheckten Kartoffeln präsentiert, die Konditorin, die hausgemachten Quinoa-Flan anbietet, oder die Eismacherin mit Eis aus Amazonasfrüchten, deren Namen in unseren Ohren noch so exotisch klingen wie vor 100 Jahren das Wort „Banane“ in den Ohren unserer Vorfahren. „Mistura“ ist in seiner kulturellen Dimension für Peru das, was das Oktoberfest für München ist. Nur dass man statt mit Bier das Essen mit einem Traubenschnaps, dem Pisco, begießt.
Bei so viel Begeisterung für die Küche mag es nicht verwundern, dass die Küche in Peru längst auch eine politische Bedeutung erlangt hat. Ein Beispiel dafür, wie man mit dem Kochlöffel in den Kampf ziehen kann, ist die „Erklärung von Lima“, in der die bekanntesten Gourmet-Köche ihren Respekt vor der Natur, vor der kulturellen Vielfalt und dem traditionellen Wissen proklamieren. Die Köche der „Haute Cuisine“ sind heute politische Verbündete der Kleinbauern in den Anden, die unter mühsamen Bedingungen Hunderte von Kartoffel- oder Quinoasorten pflegen und anbauen.
Dem Einsatz der Köche ist es auch zu verdanken, dass die peruanische Regierung die Einfuhr von genmanipuliertem Saatgut ausgesetzt hat. „Wir setzen nicht auf Massenware und Billigketten“, sagt Roca Rey.
Soziale Inklusion durch den Traumberuf Koch
Nicht wenige Jugendliche wollen in Peru dem Beispiel der großen „Chefs“ folgen und Koch werden. Paul Gamboa ist einer von ihnen. Stolz trägt er seine schwarze Kochuniform. Der 18-Jährige ist seit einem Jahr Kochlehrling in der Kochschule von Gaston Acurio, dem charismatischen Leader unter den peruanischen Chefköchen. Bei Gaston Acurio zu studieren, das ist so wie ein Harvard-Stipendium für zukünftige Starköche. Paul hat kurze schwarze Haar, lebhafte dunkle Augen blitzen unter der Kochmütze hervor. Er selbst kommt aus sehr einfachen Verhältnissen, ist in dem Armenviertel aufgewachsen, in dem Gaston Acurio jedes Jahr aus 800 Bewerbern 45 Lehrlinge auswählt.
Früher musste man ins Priesterseminar oder zum Militär, wenn man als armer Junge in Peru zu Ansehen gelangen wollte. Heute kann man auch Koch werden. Denn Kochen ist in Peru eine Passion und eine soziale Mission. Paul hat dies nach einem Jahr Kochschule schon verinnerlicht: „Ich möchte später nicht einfach nur ein Restaurant für mich haben, sondern damit auch mehr Leuten helfen und Arbeit geben.“
In Peru gibt es seit Kurzem ein Wort dafür. Eines, das von ganz oben verkündet wird. „Soziale Inklusion“ hat der linksnationale Präsident Ollanta Humala seinem Land verordnet. In der guten peruanischen Küche scheint sie schon heute Wirklichkeit zu sein.