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Archiv-Artikel

Schüsse und Messerstiche als Racheakt

Heute beginnt in Amsterdam der zweitägige Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des Filmemachers Theo van Gogh. Der Beschuldigte will die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen. Staatsanwalt dürfte vermutlich lebenslange Haft fordern

VON CLARA ROSENBACH

Mohammed B. versteckt sich hinter seinem Bart, den er sich im Gefängnis hat wachsen lassen. So wie er sich hinter seiner religiösen Überzeugung versteckt, wenn es um die Bluttat geht, für die sich der Marokkaner mit niederländischem Pass heute und morgen vor einem Amsterdamer Gericht verantworten muss.

Am 2. November tötete Mohammed B. mit gezielten Schüssen und unzähligen Messerstichen den Filmemacher Theo van Gogh. Mit einem Schlachtmesser durchtrennte er seinem Opfer die Kehle und begann damit den Heiligen Krieg im Polderland. Denn van Gogh sollte für seine beleidigenden Äußerungen zum Islam bestraft werden. Wie aus Akten der Staatsanwaltschaft hervor geht, hat der Marokkaner die Tat wochenlang geplant. Er soll zu der „Hauptstadt-Gruppe“ gehören, die auch Anschläge auf den Amsterdamer Flughafen Schiphol und Politiker geplant haben soll. Außerdem sollen ihre Anhänger Kontakt mit den mutmaßlichen Attentätern von Madrid gehabt haben. Nach dem Mord an van Gogh wollte Mohammed B. im Kampf mit der Polizei sterben.

Van Gogh war lange als provokanter Filmemacher bekannt. In seinem Film „Submission“ kritisierte van Gogh die Unterdrückung der Frauen im Islam. Dazu ließ er Koranverse auf den nackten Körper einer Muslimin schreiben – für die Muslime ein Skandal. Diese bezeichnete van Gogh mit Vorliebe als „Ziegenficker“, eine Aussage, die ihn auch nach seinem Tod noch begleiten sollte: Bei seiner Beerdigungsfeier hatten Freunde zwei Ziegen neben den Sarg gestellt – „Für alle, die Gelüste haben“, hieß es auf dazu gehörigen Schildern.

Deshalb will Mohammed B. kein Mitleid, sondern die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen. Die Staatsanwaltschaft forderte im April dieses Jahres, den mutmaßlichen Täter in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, um psychologische Gründe für den Mord auszuschließen. Doch Mohammed B. weigert sich. Er sei voll zurechnungsfähig gewesen, ließ er durch seinen Anwalt Peter Plasman erklären. Der wollte vor dem Prozess nichts zum Verfahren sagen. Er lebt gefährlich, seit er den Fall übernommen hat. Immer wieder bekommt er Morddrohungen.

Der Mord hat die Niederlande noch tiefer in eine Identitätskrise gestürzt, die zwei Jahre zuvor begonnen hatte. Damals tötete ein fanatischer Tierschützer den Rechtspopulisten Pim Fortuyn, der sich als erster Politiker in den Niederlanden gegen eine unbegrenzte Einwanderung ausgesprochen hatte. Heute hat Geert Wilders, der sich als Nachfolger Fortuyns sieht, ähnlichen Erfolg. Sein Nein zur EU-Verfassung und zum Beitritt der Türkei brachten ihm viel Zustimmung. Auch er wettert gegen die Einwanderer.

Im einstigen Einwandererparadies hat sich der Wind gedreht. Anschläge auf Moscheen oder Kirchen sind an der Tagesordnung. Als Antwort auf die Gewalt verschärfte die Regierung die Bedingungen für Einwanderer, die in ihrem Herkunftsland einen Sprachtest bestehen müssen. Sonst dürfen sie nicht einreisen.

Die beiden Prozesstage sind zusätzliches Wasser auf den Mühlen der Einwanderungsgegner und der extremistischen Muslime. Der Staatsanwalt wird morgen vermutlich lebenslange Haft für Mohammed B. fordern. Das wäre ein Novum für die Niederlande. Der Mörder von Pim Fortuyn bekam 18 Jahre Freiheitsentzug. Mit dem Urteil gegen Mohammed B. wird Ende des Monats gerechnet.