: Wenn es hakt in den Funktionszonen
SCHLINGERNDES LEBEN Ein Mann zwischen zwei Frauen, das geht selten gut. Auch nicht in Peter Stamms neuem Roman „Sieben Jahre“
VON WIEBKE POROMBKA
Sieben Jahre muss der biblische Jakob dienen und erhält als Lohn schließlich eine Frau, für die er diese Mühen nie auf sich genommen hätte. Womöglich spielt Peter Stamm mit dem Titel seines Romans nicht zuletzt auf diese Episode an. Auch seinen Protagonisten Alexander treibt die fatale Erkenntnis um, sein Leben mit der falschen Frau zu verbringen.
Was haben die Schriftsteller immer nur mit dieser Geschichte? Peter Stamm breitet sie noch einmal sorgfältig vor einem aus. Von außen besehen, führt sein Alexander, der Mittvierziger, ein perfektes Leben: Nach dem Architekturstudium hat er seine schöne und weltgewandte Kommilitonin Sonja geheiratet, gemeinsam haben sie in München ein erfolgreiches Architekturbüro aufgebaut. Nun, da Alexander in Rückblenden einer gemeinsamen Freundin die Geschichte ihrer Beziehung erzählt, ist nicht etwa der Glück der ersten Jahre stumpf geworden. Es hat dieses Glück nie gegeben.
Nicht nur in ihren architektonischen Vorlieben ist sich das Paar fremd geblieben: Sie favorisiert die rationalen, pragmatischen Konzepte von Le Corbusier, spricht von Wohnmaschinen und sozialen Funktionszonen. Er hat sich den melancholischen Formen des Aldo Rossi verschrieben (ohne sich allerdings zu trauen, sie in seiner Arbeit je umzusetzen). Fremd ist Alexander an Sonja alles, ihre Zielstrebigkeit, Kühle und Perfektion, vor allem aber ihre vermeintliche Unfähigkeit, einen anderen Menschen wirklich zu lieben. Wenn Alexander ihre spröde, geradezu lächerlich prüde Art beschreibt, vor dem Sex noch einmal im Bad zu verschwinden und sich frischzumachen, um dann im abgedunkelten Zimmer schnell unter der Decke zu verschwinden, dann ist das schon einigermaßen denunzierend.
Was Alexander über die Jahre seiner Ehe erzählt, ist aber nicht nur eine Abrechnung mit seiner Frau oder eine Rekonstruktion der eigenen emotionalen Misere. Es ist vor allem die Beichte. Denn es gibt eine geheime Seite in seinem Leben, der er ähnlich hilf- und ratlos gegenübersteht, wie der Frage, wie es zu seiner Ehe hat kommen können. Noch kurz bevor er und Sonja ein Paar wurden, hat Alexander in einem Biergarten eine Polin kennen gelernt. Nie wäre ihm diese eher hässliche als unscheinbare, schlecht gekleidete und verstockte Frau aufgefallen – hätten sich seine Freunde nicht aus Witz den Plan gefasst, dass er sie ansprechen müsse.
Seine anfängliche Abgestoßenheit wandelt sich schnell in eine fast schaurige Faszination. Wie magisch angezogen kehrt er immer wieder in ihr kleines, hoffnungslos mit Kitsch und Krimskrams gefülltes Wohnheimzimmer und später in ihre kleine Wohnung zurück und ist berauscht von dem Gefühl, dass er ihrer bedingungslosen Liebe sicher sein kann. Die Abgründigkeit, mit der Alexander diese Affäre schließlich in sein Leben einbauen wird, ist kaum zu übertreffen: Er und Sonja, die nicht schwanger wird, adoptieren das Kind, das Iwona von Alexander bekommen hat.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Stamm hier zwei Liebes- bzw. Beziehungskonzepte einander gegenüberstellt: das der Vernunft- und Statusheirat und das der reinen, bedingungslosen Liebe, die auf keinen rationalen Gründen fußt. Das ist es aber nicht. Denn genauer besehen, unterscheiden die beiden Frauen sich gar nicht so diametral, wie Alexander es glauben macht. Beide scheinen auf je ihre Art in sich verschlossen: Iwona würde nie um Alexander kämpfen, sie wartet stoisch, bis er zu ihr kommt. Aber was ihn bei Iwona als Willenlosigkeit erregt, das irritiert ihn als Kühle bei Sonja.
Der eigentliche Gegensatz besteht darin, dass Iwona eine Frau ist, der er sich überlegen fühlen kann, die er von sich abhängig glaubt, die er nicht schön finden muss. Sonja hingegen ist selbstständig und gibt ihm nie das Gefühl, sei es emotional, sei es finanziell, von ihm abhängig zu sein. Das hat wenig mit Liebeskonzepten zu tun. Was Peter Stamm erzählt, ist die Geschichte eines Mannes, der nur aus den Schwächen anderer sein Selbstvertrauen schöpft.
Das große Rätsel dieses Romans aber ist, ob Stamm das hat wirklich so erzählen wollen. Und es bleibt auch nach der Lektüre ein Rätsel. Die ganz großen Fragen – die nach dem ungelebten Leben und der wahren Liebe – sind es seit jeher, die den 1963 geborenen Schweizer in seinen Büchern umtreiben und die seine Figuren ein ums andere Mal ins Schlingern geraten lassen. Bei „Sieben Jahre“ indes scheint es, als könnte Stamm selbst ins Schlingern und hinterrücks von seinem Text überrumpelt worden sein. Würde man das nicht annehmen, dann müsste man glauben, dass Stamm absichtsvoll einen Protagonisten geschaffen hat, der vorgibt, hilflos in einem Liebesdilemma verstrickt zu sein, tatsächlich aber nur seinen eigenen Komplexe und seinem Solipsismus frönt.
Hierin besteht ein eigentümlicher Reiz dieses Romans – man will seinen bewussten oder unbewussten Abgründigkeiten auf die Spur kommen. Der Text selbst tut das nämlich nicht, sprachlich erst recht nicht. Der für seine Ruhe und Besonnenheit viel gerühmte Ton Stamms entpuppt sich hier als ein Aneinanderreihen von Hauptsätzen, die die Beklommenheit Alexanders und das Tastende seiner Erinnerung gut abbilden mögen. Vor allem aber ist diese Sprache langweilig, auf Dauer geradezu enervierend. Zumindest in dieser Sache hätten ein bisschen Schlingern, ein bisschen Abgründigkeit geholfen.
■ Peter Stamm: „Sieben Jahre“. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2009, 304 S., 18,95 Euro