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Archiv-Artikel

Einfälle statt Abfälle

ZU BESUCH BEI EINEM SPARSAMEN TÜFTLER

VON GABRIELE GOETTLE

Christian Kuhtz, Jahrgang 1958, bekam als Schüler bereits einen 1. Preis bei „Jugend forscht“ für seine Sattlernähmaschine. Später studierte er Maschinenbau in Kiel, arbeitete. Er ist ein genialer Verwerter von Wohlstandsmüll, Erfinder und Designer, Konstrukteur von Schwerlastfahrrädern ohne Schweißen, von Windrädern, Sonnenkollektoren, Solaröfen, Abwärmeöfen, einer Komposttoilette, eines Lehmfachwerkhauses. Er entwirft und baut alles, vom Haushaltsgerät bis hin zu einer ambulanten Kleintöpferei als Wandergewerbe. Keine seiner Erfindungen lässt er patentieren, er will sie verfügbar halten und vergesellschaften. Zu diesem Zweck hat er preiswerte und äußerst präzise Bauanleitungen verfasst, die, zusammen mit gut gemachten Handzeichnungen, den Nachbau auch für Laien erfreulich einfach machen. Seine Konstruktionen sind nicht nur technisch wohlüberlegt, er gibt ihnen auch immer eine ästhetisch elegante Form. Er arbeitet mit Kindergruppen und entwirft anschauliche pädagogische Modelle, berät und unterhält Kontakte zu Projekten in Afrika und Südosteuropa. Kuhtz ist ein Fossil aus den 70er-Jahren, aus den Anfängen der Umweltschutzbewegung, aus dem vordigitalen Zeitalter, dem er unverbrüchlich die Treue hält. Angesichts unserer Weltlage könnte er schnell zum Avantgardisten werden. Er lebt konsequent und spartanisch mit seiner Frau und den beiden Kindern in einer Doppelhaushälfte, ohne Auto, Telefon, Internet und Fernsehen, ohne Kaffeemaschine und Kühlschrank. Er ist Vegetarier, toleriert aber, wenn die Kinder Lust auf Wurst haben.

An einem glühend heißen Tag im August fahren Elisabeth und ich zur südlichen Kieler Vorstadt, in eine musterhaft schmucke Siedlung. Das Areal, Teil des ehemaligen großen Exerzierplatzes der Marinesoldaten, wurde nach dem Ersten Weltkrieg an kinderreiche Familien vergeben, zur Bebauung in Gruppenselbsthilfe. Jede Parzelle verfügte über ein schmales langes Gartengrundstück für die Selbstversorgung innerhalb der Siedlung. 1936 benannte man viele der Straßen nach toten SA-Männern. Seither heißt sie im Volksmund SA-Siedlung. Unter der Siedlung aber liegt, weitgehend vergessen, noch ein ganz anderer historischer Boden: Von der Protestversammlung der aufständischen Kieler Matrosen auf dem großen Exerzierplatz ging 1918 die Novemberrevolution aus.

Heute wirkt hier alles brav, nur das holzverkleidete Haus in der Hagebuttenstraße, mit Sprossenfenstern, ohne Zaun oder Hecke, tanzt aus der Reihe. Vor der Tür steht lilafarben ein dreirädriges Tandem-Lastenfahrrad. Christian Kuhtz rupft im blühenden Vorgarten Unkraut und führt uns nach kurzem Gruß in den Garten. Vorbei am Sonnenkollektor auf dem Hausdach, am verglasten seitlichen Vorbau, hier ist sein Stromfahrrad untergestellt und seine pädagogischen Geräte, sein Energie-Experimentierfahrrad für Kinder. Vorbei auch an einem schönen Zaun aus Haselnusszweigen. Und an Liam, dem älteren der beiden Söhne, der bis zu den Schultern in einem selbst gegrabenen Loch im Sandkasten steht, um nachzuschauen, wie er sagt, was ganz tief unten ist. Im Garten stehen zwischen Obstbäumen, dichten Gebüschen, Brombeerhecken, Blumen und Gemüsebeeten zwei auffallend schöne massive Holzhütten mit Dachziegeln und alten Fenstern, wiederverwertet aus Teilen seines vorigen Wohnhauses, gebaut als Spielhäuschen für die Kinder.

Daneben einladend im Schatten Tisch und Bänke. Weiter hinten im Garten, hoch oben auf drei Stützen, läuft hurtig ein Windrad mit erstaunlich kleinen Flügeln. Und etwas abseits, aufgebockt auf einem Sammelkasten, thront felsenfest das hölzerne Kompostklo samt Treppchen, die Tür ohne Herz. Das Holz ist silberfarben gealtert, am Geländer rankt eine Kürbispflanze hinauf. Christian Kuhtz erklärt: „Das Kompostklo steht seit sieben Jahren, ich habe es aus alten Palettenbrettern gebaut, es funktioniert problemlos mit einem Schäufelchen voller Holzspäne, beispielsweise von der Buche, die schnell rottet. Und es entsteht dabei, hier unten sammelt es sich, ein interessantes, sehr wichtiges Produkt: das ‚Pischerol‘, ein Flüssigdünger, mit dem ich das Gemüse und den Kürbis dünge. Das Kompostklo ist eigentlich das, was den Kreislauf schließt. Und es spart eine Menge Abwasser. Wir haben zwar zwangsweise noch ein WC, nutzen es aber kaum, wie überhaupt das Abwassersystem. Abwässer sind eigentlich reine Umweltverschmutzung. Wir nutzen zum Beispiel die Spülgänge der Waschmaschine als Gartenwasser, weil wir ja keine Giftwaschmittel nehmen.

Und als Letztes dann noch das Windrad dort. Man hat ja immer mit gesetzlichen Vorschriften zu kämpfen, aber meine Selbstversorgerwindräder sind so klein, dass sie durch die Gesetzeslücken schlüpfen. Unseres hat anderthalb Meter Durchmesser und ist siebeneinhalb Meter hoch. Es versorgt unseren Haushalt mit Strom, quasi vollständig. Das ist natürlich nur durch einen entsprechenden Umgang mit Strom machbar. Also wir haben in den letzten drei Jahren fast genau eine Punktlandung gemacht und nur 80 kWh fürs ganze Jahr dazugekauft bei Elektrizitätswerke Schönau, den so genannten Schwarzwälder Stromrebellen. Wir zahlen freiwillig und gern den höchstmöglichen Ökostrom-Fördertarif, weil EWS der engagierteste Ökostromerzeuger ist, von dem ich weiß. Null Verflechtung mit der Atomindustrie! Sie haben sogar das Netz freigekauft. Ja, ich weiß, es hat nicht jeder einen Garten, um ein Windrad aufzustellen, aber Strom von wirklich umweltfreundlichen Stromerzeugern beziehen, das kann jeder!“

Während wir uns wieder Richtung Haus bewegen, schlägt der Hausherr vor, das Gespräch im alten Garten fortzusetzen, auch angesichts der Kinder, die stören könnten. Wir fahren gemeinsam mit dem Auto bis an den Rand der Siedlung und spazieren, samt unserem Hund, einen Waldweg entlang. Christian Kuhtz geht barfuß und federnd in seinen geräumigen, selbst gemachten Lederschuhen neben uns her und erzählt, wie er hier lebte, im Abbruch-Behelfsheim. Ohne Genehmigung, ohne Strom und Heizung, mit Windrad und selbstgebautem Ofen. Plötzlich führt er uns nach rechts, mitten hinein ins Unterholz, und stapft zu einer sumpfig feuchten Senke: „Das war unsere Quelle, die wurde von der Abrissfirma mutwillig zerstört“, erklärt er und geht voran über umgefallene Baumstämme, durch Dornen und Brennnesseln, zu einer kleinen Anhöhe. „Hier im Gelände liegen überall Steine verbuddelt, Trümmer noch von Kriegszeiten. Aus den Trümmern haben sich die Leute nach 45 kleine Häuschen gebaut. Und eines davon war das Behelfsheim, wo wir bis Dezember 1995 wohnten, als das hier noch unser Garten war.“ Er deutet auf das Dickicht und sagt: „Das ist unser alter Garten!“Wir sind sprachlos. Der erwartete verwilderte Garten, mit irgendwelchen Sitzgelegenheiten und irgendeiner Erfrischung gegen die Hitze, existiert nicht, oder nur vor dem inneren Auge des ehemaligen Bewohners. Wir setzen uns auf Baumstämme und nehmen die bestürzende Ungastlichkeit ergeben hin, angesichts der konsequent spartanischen Haltung unseres interessanten Gegenübers.

Christian Kuhtz schlägt die Beine übereinander und erzählt: „Angefangen hat das bei mir ja schon viel früher. Eine wichtige Erfahrung war der Widerstand gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf, 1976. Aber nur auf die Demo zu gehen und nichts zu bieten zu haben, das war mir zu wenig. Ich habe im Garten eines Freundes herumexperimentiert mit Windrädern, die billig sein sollten und zum Nachbauen für andere, aus Sachen, die man leicht findet. Die gesamte Technik, mit der man Strom erzeugen und speichern kann, ist ja in alten Autos zu finden. Da habe ich viel gelernt aus Fehlern im Lauf der Zeit. Ich habe in der Autolichtmaschine elektrische Verbesserungen vorgenommen. Später habe ich alte Fußbodendielen zu dynamischen Flügeln gehobelt. Da gab es immer wieder Anfragen von Leuten, bis dann so 1981 das Konzept da war. Es änderten sich natürlich eine Menge Details von 1981 bis heute, aber das Grundkonzept ist geblieben. Mit so einem Windrad versorgen wir unseren Haushalt. Was wir da brauchen, ist vor allem Licht für Beleuchtung. Radio und Kassettenrecorder haben wir auch noch. Ja, Waschmaschine haben wir auch, aber die Heizstäbe sind raus, sie wird mit Wasser aus dem Sonnenkollektor gefüllt, im Winter macht es der Ofen heiß. Also die A-Plus-Waschmaschinen von heute verbrauchen für eine Wäsche beispielsweise 0,4 kWh, wir verbrauchen nur ein Drittel davon, mit unserer 26 Jahre alten G-Minus-Waschmaschine. Das ist mit so einem kleinen Windrad locker zu schaffen. Wir erzeugen ja 12 Volt damit, alles im Haus ist auf 12 Volt umgestellt und für die Beleuchtung im Haus benutzen wir Autoglühbirnen aus Schrottautos. Also die meistgebrauchten bei uns sind die aus den Blinkern, 20 Watt. Für die Lampen habe ich kleine Adapter reingelötet in den normalen Glühbirnensockel, das sind jetzt solche Dreh- und Steckfassungen. Wir haben auch die 12-Volt-Halogenlampen, die effektiver sind. Also das Licht reicht gut zum Lesen, Basteln und was sonst noch so gemacht wird bei uns.

Kochen tun wir mit Gas, Propangas. Das gute an Propan ist, dass es zwar fossiler Brennstoff, aber ein Abfallprodukt ist, das beim Raffinieren von Erdöl zu Benzin, Heizöl usw. entsteht. Das meiste wird abgefackelt, weil es kein großes Verwertungsnetz gibt bei uns. Propangas kann ich nur empfehlen. Wir verbrauchen zwei Flaschen zu je elf Kilo im Jahr, also das ist an Kosten weit weniger, als die Grundgebühr für einen Gasanschluss beträgt. Morgens koche ich einen Getreidebrei, der braucht dann schon 20 bis 40 Minuten, aber die Hälfte der Zeit wickle ich ihn zum Quellenlassen in Decken ein. Im Winter übernimmt das der Ofen.

Das Heizen selbst ist auch genau durchdacht. Wir verkürzen unsere Heizperiode durch die schwarz gestrichene Wand mit Glasscheiben davor um zwei Monate, aber heizen müssen wir trotzdem noch, und zwar tun wir das ausschließlich mit geschenktem oder gesammeltem Holz. Und dank des guten Ofens, dank guter Wärmedämmung des Hauses, aus Natur- und Abfallmaterial, kommen wir mit drei Kubikmeter Holz im Jahr aus. Morgens zünde ich das Feuer an im Winter, koche den Brei, und während wir frühstücken, ist das Feuer abgebrannt. Dann mache ich den Ofen zu und die restlichen 23 Stunden freut man sich an seiner Wärme, die er abgibt. Dieser Ofen, aus alten Ziegeln und Lehm errichtet, ist einer von den vielen, die ich gebaut habe für andere Leute, in meinen Lehr- und Wanderjahren. Vorbild ist der polnische, finnische oder russische Ofen. Unserer ist ein massives Bauwerk, geht durch mehrere Räume, durch die Decke ins obere Stockwerk, so dass wir fünf Räume mit nur einem Feuer wärmen können. Und in zwei abgelegenen Räumen sind Heizkörper. Ich habe im Ofen einen Wasserkessel eingebaut, aus einer alten Propangasflasche, von der geht es per Schwerkraftumlauf zu den Heizkörpern. Also, wenn man es richtig macht, kann man mit so einem einfachen Ofen optimal und auch vollkommen sauber heizen. Der Schornsteinfeger hat ihn genehmigt, nie etwas beanstandet, im Gegenteil. Er hat bei uns sieben Jahre nicht gefegt, weil einfach nichts zu fegen war.

Wenn man mit den Naturkräften leben will und nicht wie ein Konsument, der auf Knopfdruck alles und immer ständig parat hat, dann muss man sich auf die Naturkräfte einstellen, darauf, wann sie in Mengen und wann sie weniger verfügbar sind. Also an einem Tag wie heute, da ist natürlich klar, dass man die Kochwäsche macht. Man geht viel bewusster um mit Dingen wie Wärme, Wasser, Licht und Strom, wenn man sich selbst versorgt. Viele Geräte, die wir benutzen, sind ja mechanisch, Getreidemühle, Müsliquetsche, Tretnähmaschine. Für meine Bauanleitungshefte habe ich mal in eine elektrische Schreibmaschine einen 12-Volt-Motor aus Autoschrott eingebaut. Das geht, Motor ist Motor, solange er dieselbe Leistung oder Drehzahl hat. Es gibt Scheibenwischer, Kühlergebläse, Fensterheben, da findet man eine ganze Menge Motörchen zum Verbauen. Und was wir natürlich nicht haben. Den heimlichen, aber hungrigen Stromfresser in jedem Haushalt: den Kühlschrank! Heute können sich das viele meines Alters oder Jüngere gar nicht vorstellen, ohne Kühlschrank zu leben. Als ich klein war, da hatten wir keinen, daher weiß ich, dass man ohne bequem leben kann. Im Frühling, Herbst und Winter braucht man ja sowieso keinen Kühlschrank. Es ist doch verrückt, die Wohnung zu heizen mit Öl oder Gas, und drinnen macht es der Kühlschrank mit Strom wieder genau so kalt, wie es draußen ist! Wir stellen die Lebensmittel in den Keller und die Kiste mit den leicht verderblichen Sachen, von denen man ja nur wenige hat, kommt nachts raus.“

Auf die Frage, ob er auch Solarelemente nutzt, sagt er: „Die Solarzelle, die kann man nicht selber herstellen aus Schrott, die muss fabrikmäßig hergestellt werden. Wenn ich jetzt mit Sonnenenergie Wasser warm mache, dann ist, bei gleicher Baugröße, der Sonnenkollektor im Vergleich wesentlich ergiebiger. Und dann habe ich noch den ganzen Aufwand der elektrischen Anlagen, die gekauften Solaranlagen sind ja alle abhängig vom Strom, und die gesamte Ökotechnik, die gekaufte, versagt, sobald der Strom ausfällt. Das ist das Problem! Den Sonnenkollektor, der warmes Wasser macht, den kann ich selber bauen, mit minimalem Aufwand. Der arbeitet per Schwerkraftumlauf, ohne Strom. Ich lasse einfach nur die Pumpe weg, lass die elektrische Regelung weg. Ich baue aus einem Flummiball und einem Fahrradschlauchgummi ein Ventil, was die ganze Regelung übernimmt. Selbsttätig. Der funktioniert immer und ohne Strom. Genauso wie eben auch unser Ofen, im Gegensatz zur Pellet-Heizung, die elektrisch gesteuert werden muss.

Ich habe viele Sonnenkollektoren gebaut und auch verschiedene Öfen, meist für Projekte, damals in meinen Wanderjahren. Ich wurde ja unentwegt weiterempfohlen als Ökohandwerker. Habe auch gezeigt, wie man es macht. Meist gegen Kost und Logis. Das Ofenbauen haben auch viele Frauen sehr gut bewerkstelligt. Windrad hingegen scheint eine Männerdomäne zu sein, bis auf die paar Frauen, die es als Jahresarbeit an einer Waldorfschule gemacht haben.

Was ich noch vergessen habe, ich baue auch Sonnenkocher, aus alten, blankpolierten Satellitenschüsseln, da haben wir ja eine sehr schöne, parabolische Schale zur Verfügung, Genaueres dazu steht im Sonnenkollektorheft. Es gibt auch Anfragen und Kontakte mit Leuten aus ärmeren Ländern, wo eben die Situation noch mal eine andere ist, wo die Dinge wirklich ganz ernsthaft und ökonomisch notwenig angewendet werden. Ich bekam grade Nachricht von einer Gruppe aus Tansania, das sind Leute, die aus Solarzellenbruchstücken aus den Industrieländern, aus winzigen Fragmenten quasi, wieder kleine Solarzellen zusammenlöten. Die sind zum Laden von Handys, die man in der so genannten Dritten Welt ja inzwischen überall benutzt. In Uganda, wo ich vor 20 Jahren in einem Selbsthilfeprojekt Lehmofenkochstellen gebaut habe, weil das Holz schon sehr knapp wurde, da benutzt man heute vielfach meine Solarkochkisten. Kontakte gab es auch nach Südosteuropa, nach Ungarn und besonders Rumänien. Da war es ein Projekt mit der Roma-Bevölkerung, die sehr arm ist und angefeindet wird. Sie haben einen sehr schlechten Stand. Jemand aus der Freiburger Gegend, der meine Hefte kennt, hat dort, gemeinsam mit den Leuten, einiges zur Selbsthilfe nachgebaut. Also Hausbau, Öfen, Backöfen. Das freut mich am meisten, wenn die Dinge wirklich angewendet werden und nützlich sind im Alltag.“

Auf die Frage, wie er zu dieser Verwertungs- und Erfindungslust kam, sagt er: „Es ist so, dass ich vom Elternhaus her nicht grade in einem Verschwenderhaushalt aufgewachsen bin. Als Flüchtlinge mussten meine Eltern eben klein anfangen. Bis ich drei war, wohnten wir im Barackenlager. 1961 sind wir dann in eine richtige Wohnung gezogen. Und in Grundschulzeiten tauchten da immer noch auch ältere Kulturschichten in unserem Haushalt auf. In Form von improvisierten, selbst gemachten Geräten. Gemacht teils von meinem Vater, teils von meiner Mutter. Ich erinnere mich noch gut an einen Wecker, bestehend aus einem fabrikmäßigen Weckeruhrwerk, das mein Vater gefunden, repariert und in eine Konservenbüchse eingebaut hatte. Die Zeiger bestanden aus Draht. Und wir besaßen selbst gezimmerte Möbel, die wahrscheinlich meine Mutter gemacht hatte, Tisch, Stuhl, Bank. Die waren robust und zerlegbar, weil wir oft umziehen mussten. Bei mir ist dieser Wunsch geblieben, herauszukriegen, wie man was selber machen kann.

Gebaut und gebastelt mit Dingen, die man damals noch fand in den Trümmern oder in der Natur, habe ich schon in der Vorschulzeit und dann auch als Schüler. Damals habe ich schon ein kleines Windrad gebaut mit Fahrraddynamo dran, der ein Birnchen zum Leuchten brachte. Und so in Richtung Spartechnik und Wiederverwerten von Rohstoffen kam ich dann durch die sog. Energiekrise, die auch Ölkrise hieß, 1973. Die Materialien habe ich mir von der Müllkippe geholt oder vom Sperrmüll. Damals fand ich übrigens auf der Müllkippe Ölkanister von der Bundeswehr, volle! Hektoliterweise wurden die einfach abgekippt. Das war für mich der unwiderlegbare Beweis dafür, dass die Energiekrise eine Dummheitskrise ist, ein Ergebnis der Verschwendungs- und Wachstumssucht, gegen die man was tun muss. Gegen die man heute noch viel mehr tun muss! Aber heute gibt es ein neues Problem: das der mangelnden Wahrnehmung. Bei uns hier sieht alles wunderbar sauber aus, weil die Schlote eben nicht mehr hier, sondern anderswo rauchen, und die Menschen weit weg von uns vergiftet werden. Wir leben unbeschwert auf der Luxusseite des Konsums.

Wie gesagt, da war da die Energiekrise und gleichzeitig kam dazu, dass ich auf eine Jugendgruppe gestoßen bin, durch einen Freund. Sie nennt sich Deutsche Reformjugend. Das ist eigentlich so eine frühe Ökowandervogelbewegung aus der Nachkriegszeit, in den 50er-Jahren entstanden, politisch und konfessionell komplett unabhängig. Sie knüpfte an den alten Wandervogel der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und auch der 20er-Jahre an, der dann von den Nazis verboten und aufgelöst wurde. Die haben schon sehr früh vor Atomkraft gewarnt und sich für Natur und Umwelt starkgemacht. Wir waren überwiegend Vegetarier, es gab keinen Alkohol, kein Nikotin, was damals in der Jugendszene geradezu befremdlich wirkte.

Großes Thema war, alles Mögliche selber machen. Wir haben uns Fahrräder aus Schrotträdern gebaut, haben uns mit eine reparierten Tretnähmaschine Sachen genäht, Hosen und Windjacken aus alten Sofabezügen. Ich war 16, da habe ich mein erstes Paar Schuhe selbst gemacht. Aber in der Schule wurde man zum Gespött. War auch nicht schlimm, ich bin halt unverbesserlich, da war mit Gespött nicht viel zu erreichen. Es gab immer die andere Welt in der Gruppe, wo man sich ernsthaft die Frage nach Alternativen gestellt hat. Und nach der Energiekrise kam dann ja 1976 der Widerstand gegen Brokdorf. Da war dann die Energieerzeugung das zentrale Thema in der Gruppe. Das Windrad fiel mir als Erstes ein, weil ich ja schon vorher herumexperimentiert hatte.“ Ein ziemlich großes Insekt mit durchsichtigen Flügeln und langen Fühlern hat plötzlich auf meinem Knie reglos Platz genommen. Ich beherrsche mich. Christian Kuhtz schaut kurz hin und sagt: „Das ist eine Holzwespe, mit vier Hautflügeln und einem langen Legestachel, die legt in feuchtes und modriges Holz ihre Eier ab, und die Maden fressen es dann.“

Sie hat den Irrtum wohl bemerkt und fliegt davon. Herr Kuhtz schlägt die Beine andersherum übereinander und fährt fort: „So kam das. Na ja, und als es dann um Berufsfragen ging, da habe ich mich für die Selbstständigkeit entschieden. Ich wollte frei sein, mein eigener Herr bleiben. Es war klar, eine Stelle, die brauche ich nicht. Beschäftigung hatte ich ja genug. Ich wusste, mit den Dingen, die ich kann, die ja gefragt sind, werde ich immer ein gutes, wenn auch bescheidenes Leben führen können. Es gab nie die Notwenigkeit, viel Geld zu verbrauchen. Ich habe immer Wege gefunden, Geld zu verdienen, ob als Schüler oder später. Das Geld habe ich erst auf ein Sparkonto bei der Post getan, später auf die GLS Bank. Ich konnte leben von 300 Mark im Monat, inkl. Künstler-Sozialversicherung, womit ich dann auch krankenversichert war.

Und auch heute mache ich mir keine Sorgen. Wenn ich Geld brauche, kann ich einen Ofen bauen. Es gibt viele Wege, mit wenig Geld alternativ zu leben. Auch durch Töpfern. Ich mache diese klassische Schnabelflöte, die Okarina. Und als ich mit dem Fahrrad damals unterwegs war – ich war ja drei Jahre lang viel auf Fahrt, habe meistens draußen geschlafen –, da hab ich einfach irgendwo Ton ausgegraben, Flöten getöpfert und im Freien einen Töpferbrand gemacht. In einem improvisierten Erdloch-Brennofen, aus zwei Blecheimern und einem Ofenrohr, das ich immer bei mir hatte. Der Bau ist ausführlich beschrieben im Heft ‚Die fahrende Töpferwerkstatt‘. Auf diesen Flöten habe ich dann in der Stadt, in der Fußgängerzone gespielt, und sie wurden mir alle abgekauft. Das kostete mich nur einen Tag Arbeit in der Woche. Dadurch musste ich für die Fahrt nichts sparen und radelte mit den nächsten Monatsmieten in der Tasche wieder nach Hause zurück.

Das Fahrrad übrigens, das damals schon alt war, das fahre ich heute noch jeden Tag. Im Heft ‚Rad kaputt‘ habe ich viele nützliche Tipps von meinen Fahrten gesammelt – vom Platten bis hin zum Rahmenbruch, versehen mit Zeichnungen, die alles verdeutlichen. Anfangs waren wir ja noch eine Autorengruppe von Leuten, jeder wohnte woanders, man hat sich aber oft mit Ideen ausgetauscht. In den alten Heften stehen noch einige Namen drin. Meistens habe ich alleine gearbeitet, mit einem allerdings, da habe ich manches gebaut, zum Beispiel einen der ersten Sonnenkollektoren und einen der ersten Steinöfen. Er hat das Liegerad, das es schon mal in den 20er-Jahren gab, neu erfunden. Als Chopperrad, zu einer Zeit, wo es das hier noch nicht gab. Auch dazu gibt’s ein Heft.

Mit den Heften fing es eigentlich so an, dass es sich 1978/79 immer mehr herumsprach, dass ich ein gut funktionierendes Windrad gebaut hatte, und da kamen dann aus allen Ecken der Anti-AKW-Bewegung Anfragen über Anfragen. Die habe ich alle erst mal per Hand beantwortet, auch Zeichnungen dazu gemacht, zur besseren Veranschaulichung. Dann bin ich dazu übergegangen, das als Fotokopien zu verschicken. Die Hefte waren dann aber doch die bessere Lösung, man kann da alles viel genauer und umfangreicher darstellen. Und wenn die Leute mal wirklich nicht weiter kommen, dann können sie mir schreiben, ich habe ja kein Telefon. In dem Zusammenhang habe ich eine Bitte: Falls jemand, der das liest, ein Heft oder die Liste bestellen möchte, der soll direkt an mich, Hagebuttenstraße 23 in Kiel schreiben. Im Internet gibt sich nämlich ein Händler als Christian Kuhtz Verlag aus, ohne mich je gefragt zu haben. Er hat lediglich kommerzielle Interessen. Der Heftname ist zwar geschützt, wird aber einfach verwendet. Ich unternehme dagegen nichts. Ich denke ja nicht in Marktschablonen, mir geht es vor allem darum, dass die Ideen unter die Leute kommen.“

Die Schnaken überfallen uns zunehmend, und wir machen uns auf den Rückweg.