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Archiv-Artikel

Von Pokemons und Granatsplittern

SOMMER IM MUSEM (V) Das unterirdische Bunkermuseum in Hamburg-Hamm ist einzigartig im norddeutschen Raum. In den Räumen kommen die Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs selbst zu Wort

Draußen warteten 800 bis 1.000 Grad Hitze – verformte Flaschen zeugen davon

Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder - gut versteckt - die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.

Der Bunker liegt hinter der Wichernkirche. Efeu rankt an den Wänden, die Steintreppe ist steil, unten ist es klamm, die Wände sind feucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg bot der Bunker Familien Unterschlupf, die ihr Zuhause verloren hatten; später lagerte die Kirche hier ihr Gerümpel. Und seit 25 Jahren bietet die Stadtteilinitiative Hamm Führungen durch Norddeutschlands einziges unterirdisches Bunkermuseum an.

Die Berufsschüler aus Stade, die an diesem Tag von Gunnar Wulf, dem Leiter des Hammer Stadtteilarchivs, durch den Bunker geführt werden, scherzen und lachen, als sie die Treppen hinabsteigen. Sie wissen, dass sie gleich wieder nach oben dürfen, dass draußen die Sonne wartet. Die Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs vor der „Operation Gomorrha“ der Engländer hier Zuflucht suchten, waren über Stunden eingepfercht. Draußen warteten Feuer und 800 bis 1.000 Grad Hitze – verformte Flaschen zeugen davon.

„Wer erwartet, bei uns etwas über Bomben und andere Waffen zu lernen, der ist am falschen Platz“, sagt Wulf. „Wir sind eine Geschichtswerkstatt.“ Gearbeitet werde nach der Methode der Oral History – Zeitzeugen kommen zu Wort und Tonbandaufnahmen dieser Gespräche sind im Bunkermuseum zu hören.

Eine Zeitzeugin spricht über die Stunden im Bunker, einen für Hamburg typischen Röhrenbunker. In die vier Räume passten jeweils 50 Menschen, fielen die Bomben, kamen oft mehr als 500. „Das Gute daran: Man konnte nicht umfallen“, sagt die Zeitzeugin. Außerdem hielt man zusammen, teilte, was es zu teilen gab.

Eine andere Zeitzeugin erzählt, wie ihre Nachbarin mit ihren zehn Kinder im Hammer Feuer ums Leben kam, wie sie selbst zwei ihrer Kinder aus den Augen verlor. Auch wenn sie ihre Kinder unversehrt wiederfand, ringt sie bei ihrer Erzählung um Worte und kämpft mit den Tränen. Nach Scherzen ist den Berufsschülern nicht mehr.

Auch die Eltern von Wulf fanden hier Unterschlupf. Sie waren im Besitz von Platzkarten, die an diejenigen verteilt wurden, die keinen eigenen Keller hatten. Je länger der Krieg dauerte, desto weniger private Keller gab es in Hamm. Die Warteliste für die 10.000 Bunkerplätze in Hamburg wurde immer länger. Jede Platzkarte war personifiziert und mit dem Hinweis versehen: Nicht übertragbar! Wer bei Alarm dreimal nicht kam, ohne sich abzumelden, verlor seine Platzkarte.

Der Koffer von Wulfs Eltern, das sogenannte Luftschutzgepäck, ist nur eines der vielen Ausstellungsstücke, die die Mitarbeiter des Stadtteilarchivs zusammengetragen haben. Dazu gehören auch Granatsplitter, die Kinder sammelten und auf dem Schulhof tauschten. „Wie heute Pokemons, oder was es da so gibt“, sagt Wulf. Die Jugendlichen lachen – für sie sind Pokemons und Granatsplitter ähnlich antik.

Viele Fotos hängen im Bunker. Sie sind in Schwarz-Weiß und zeigen das zerbombte Hamm sowie zerstörte Häuser in London. „Krieg ist niemals das richtige Mittel der Auseinandersetzung– deshalb machen wir das hier“, sagt Wulf. „Gerne gehe ich ja nicht hinunter, aber ich muss.“ Er empfinde es als seine Pflicht. ALICE WINKLER

Do 10-12 Uhr und 15-18 Uhr, Sonderführungen wie „Bunker im Dunkeln“ unter www.hh-hamm/bunkermuseum, Wichernsweg 16, Hamburg