GOLDJUNGE : Neun Zentimeter Differenz machen einen Berliner Lautsprecher sehr zufrieden
DISKUSWERFEN Robert Harting hat Gold geholt – und genießt fast stumm. Das Trikot zerriss er offenbar nur, um die Kameras zu füttern
Im fünften und vorletzten Versuch, einer, den er selbst als nicht besonders gut bezeichnete, bescherte er sich die sportliche Voraussetzung, um sein größtes Sehnen zu erfüllen: Der von ihm geworfene Diskus landete fast im linken Aus des Wurfsektors – vermessen wurden schließlich 68,27 Meter. Das waren 9 Zentimeter mehr, als der seit dem ersten Durchgang führende Iraner Ehsan Hadadi erzielt hatte, 24 Zentimeter nur entfernt vom späteren Bronzemedaillengewinner Gerd Kanter aus Estland. Hadadi konnte im letzten Versuch nicht mehr nachlegen, im vorletzten ließ er das Wurfgerät weiter als alle anderen segeln, übertrat jedoch den Abwurfring. Und dann stand Hartings Sieg fest – und was tat er? Grölte er alle Welt zusammen, beschimpfte er noch im Moment des Siegs Verband, IOC, das Land Berlin und überhaupt alle? Machte er nicht. Er blieb fast stumm, offenbar erschöpft vor spontan einsetzender Zufriedenheit. Als er dann doch zur Tribüne lief, zum Trainer, zu Freunden, war er wieder ganz „der Harting“ (Eigenbezeichnung), der das Publikum begeistert oder abstößt. Ein rührender Macker, Poser und Lautsprecher. Riss sich das Trikot vom Leib, zeigte – wer kann, der kann! – seinen Body, zog einen schwarzrotgoldenen Flaggenfummel um diesen und grölte dann doch. Mae West hätte kommentiert: Give the people what they want!
Die Stadionrunde absolvierte er auch noch, überlief verbotenerweise die Hindernisse des anstehenden Hürdenlaufs: „Sie haben mich provoziert und ich bin gelaufen.“ Na, der Harting war und ist und bleibt ein moderner Punk. Feierte bis zum Morgen, ließ sich Akkreditierung und Klamotten klauen und gab noch dies zu Protokoll: „Zu einem guten Sportler gehört auch ein gutes Nachtleben.“ Der ist einfach gut; er möge bis Rio 2016 weitermachen. JAN FEDDERSEN