: „Wer mitmacht, ist schuldig“
Die Wohlfahrtsverbände in NRW verteidigen im taz-Interview ihre Ein-Euro-Jobs: Es gab keine Chance, die Billigarbeit abzulehnen. Jetzt werde den Arbeitslosen konkret geholfen – nur echte Jobs fehlten
INTERVIEW ANNIKA JOERESUND NATALIE WIESMANN
taz: Nach sechs Monaten Hartz IV ziehen die Wohlfahrtsverbände eine positive Bilanz. Was ist das Gute an Ein-Euro-Jobs?
Jörg Steinhausen: Ich finde den Begriff Ein-Euro-Jobs unerträglich, denn er entwertet die Menschen.
Wie viel erhalten denn Ihre Jobber pro Stunde?
Steinhausen: Einen bis einen Euro fünfzig die Stunde kommen zu dem Arbeitslosengeld II dazu. Es handelt sich hier um Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwand. Dafür steht mehr für den Lebensunterhalt zur Verfügung. Und sie erhalten zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen, die auch Geld kosten.
Nikolaus Immer: Also, für die Ein-Euro-Jobber – nehmen wir jetzt einmal diesen Begriff – ist es positiv, dass sie sich endlich wieder gebraucht fühlen. Jahrelang hat niemand nach ihnen gefragt, sie haben ihre Sozialhilfe nach dem Motto „Scheck und weg“ abgeholt und das war‘s. Aber auch wir haben uns diese Jobs nicht gewünscht.
Aber Sie machen doch mit. Sie haben bei ihren Trägern tausende von diesen Jobs eingerichtet.
Immer: Weil viele Menschen diese Jobs nachfragen, weil sie arbeiten wollen. Und wenn wir uns geweigert hätten, stünden wir jetzt als Gesprächspartner für die Politik außen vor.
Die Politik hat Sie doch zu Hartz IV auch nicht gefragt?
Immer: Nein, aber nun existiert dieses Instrument nun einmal, und wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Unsere Beschäftigungsträger haben jahrelange Erfahrungen mit ABM-Stellen. Wir sehen es als unsere Pflicht an, die Arbeitslosen so gut es geht zu qualifizieren und sie zu begleiten, etwa wenn eine Suchtproblematik besteht.
Steinhausen: Wir konnten uns nicht kollektiv gegen die Arbeitsmarktreform stellen. Hätten wir streiken sollen? Wir sind keine Fluglotsen, die ein ganzes System außer Kraft setzen können. Unsere Aufgabe war es, Qualitätsstandards in den eigenen Reihen zu entwickeln.
Immer: Viele unserer Träger hatten dazu unterschiedliche Meinungen. Und wir können nicht etwas von oben durchsetzen. Bei den entscheidenden politischen Weichenstellungen wurden wir nicht gefragt. Am Bündnis für Arbeit hat man uns nicht beteiligt. Unsere Rolle ist es jetzt, die Politik zu fragen: Was kommt danach? Wir brauchen einen zweiten Arbeitsmarkt.
Das war doch schon vorher klar, jetzt kommen Ihre Forderungen zu spät.
Steinhausen: Ob es sinnvoller ist, ein System von innen zu gestalten oder von außen zu bekämpfen, ist eine alte und umstrittene Frage. In diesem Fall ist es klar: Wenn du mitmachst, bist du schuldig, wenn du nicht mitmachst, bist du auch schuldig.Immer: Vergessen wir nicht: Alle Fraktionen haben für die Arbeitsmarktreformen gestimmt.
Gerade weil Arbeitssuchende keine Lobby haben, hätten Sie die Anwaltsrolle stärker übernehmen müssen.
Immer: Das tun wir ja. Aber es ist vor allem die Aufgabe der Wohlfahrt, den Menschen konkret zu helfen. Und wenn wir die Betroffenen unterstützen können, ihren Alltag zu strukturieren, neue Chancen zu sehen, dann müssen wir das tun.
Steinhausen: Wenn die Menschen bei uns arbeiten, haben sie die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Das ist ihnen viel mehr wert, als eine Bewerbung zu schreiben und postwendend zurückzubekommen. Die Situation ist jetzt, wie sie ist, und wir müssen mit den vorhandenen Instrumenten arbeiten.
Nur wie? In einer Einrichtung der Diakonie müssen Ein-Euro-Jobber das Privatauto des Chefs waschen. Bei einem regionalen Caritas-Verband wurde der Hausmeister entlassen und durch einen Ein-Euro-Jobber ersetzt.
Steinhausen: Da sind wir uns einig, das ist unerträglich.
Immer: Für solche Verstöße, so sie denn stimmen, gibt es vor Ort eine Beschwerdestelle. Das haben wir gerade in den letzten Wochen mit vorgeschlagen. In unserer Selbstverpflichtung haben wir uns ganz klar auf sinnvolle, zusätzliche Tätigkeiten geeinigt.
Wer hält sich denn da dran? Sie haben ja gerade selbst gesagt, dass Sie keinen Einfluss auf Ihre einzelnen Mitglieder haben.
Steinhausen: In der Tat, wenn wir so etwas hören, zweifeln wir sogar daran, dass diese Erklärung von allen unseren Einrichtungen gelesen worden ist. Doch wer sich nicht an die Selbstverpflichtung hält, arbeitet nicht nach den Grundsätzen der Wohlfahrtsverbände.
Sie haben mit den Zusatzjobs doch schon bisherige Grundsätze verletzt. Qualifizierte Arbeit wird nun von Ungelernten gemacht, wie die Altenpflege.
Steinhausen: Das ist nicht richtig. Qualifizierte Arbeit wird von Fachkräften gemacht. Doch Menschen, die regulär arbeiten, fühlen sich fast überall gefährdet. Und wer definiert, welche Jobs in der Betreuung von Menschen wirklich zusätzlich sind?
In Dortmund sind nur 60 von 2.500 Ein-Euro-Jobbern in Ausbildung oder Arbeit gekommen. Das ist doch eine reine Beschäftigungsmaßnahme.
Immer: Das sagen wir doch immer wieder deutlich. Auch, dass die Zusatzjobs zu schnell angewandt werden, statt über alternative Angebote nachzudenken.
Auch Sie bieten tausende an – die Ein-Euro-Jobs sind eben billiger als die anderen.
Immer: Deshalb nennen wir diese Jobs auch ABM-Light. Langfristig müssen wir über die Einrichtung eines zweiten Arbeitsmarkts reden.
Steinhausen: Die jetzige Situation ist unerträglich: Fünf Millionen Menschen in Deutschland haben keine Arbeit, und viele andere Jobs sind nicht mehr sicher.
Können Sie in Zukunft überhaupt noch auf die Ein-Euro-Jobber verzichten? Wer liest den alten Menschen etwas vor, falls die Jobs wieder abgeschafft werden?
Immer: Ich glaube nicht, dass in nächster Zeit diese Jobs verschwinden werden. Diese zusätzlichen Stellen werden vielleicht bald den Zivildienst ersetzen. Aber auch dann werden wir für jeden Einzelnen nach einer Perspektive suchen. Nehmen Sie uns beim Wort.