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Archiv-Artikel

Den Grimme-Preis im Abo

WERKSCHAU Dominik Graf feiert demnächst seinen 60. Geburtstag. Das Zeughauskino nutzt diesen Anlass, eine beeindruckende Auswahl seiner oft unterschätzten Film- und Fernseharbeiten zu zeigen

Heimat ist Graf kein warmer, vertrauter Schoß, sondern ein Schlachtfeld

VON THOMAS KLEIN

Im Nachkriegsdeutschland hat das Genre-Kino keine Tradition. In den USA gab es den von deutschen Exilanten wie Robert Siodmak maßgeblich mitgestalteten Film Noir, in Frankreich den Polar und Jean-Pierre Melville. Hierzulande steht dem westdeutschen Unterhaltungs- und Varieté-Kino der Autorenfilm gegenüber. Es gibt keine Lobby für den Kriminalfilm; Geldgeber oder Zuschauer haben wenig Interesse, im Kino einen Gangster- oder Polizeifilm zu sehen; Verbrechen und ihre Aufklärung, Räuber und Gendarm sind Fernsehstoff.

Für Dominik Graf, der am 6. September 60 Jahre alt wird, war das gleichermaßen Fluch und Segen. Fluch, weil er im deutschen Förder- und Produktionssystem nie zum auch international anerkannten Genre-Regisseur aufsteigen konnte; Segen, weil kein anderer Film- und Fernsehmacher gleichermaßen ambitioniert und abwechslungsreich zwischen großer Leinwand und kleinem TV-Bildschirm arbeiten konnte.

Keine fade Massenware

Graf hat quasi ein Abonnement auf den Grimme-Preis, zehn hat er bereits, er wird als Ausnahmefilmer gelobt und gefeiert, als Innovator, als Überzeugungstäter. Gut 60 Produktionen hat er bisher realisiert, Kriminal-, Beziehungs-, Historien- und Kostümgeschichten, TV- wie Dokumentarfilme.

Die ab dem 1. September im Zeughaus-Kino gezeigte, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek und unter der Schirmherrschaft von WDR-Intendantin Monika Piel präsentierte Auswahl aus dem Graf’schen Werk zeigt nicht nur, wie vielschichtig der Regisseur arbeitet, sondern auch, wie schwer es seine Projekte gegen fade Massenware, hohen Erfolgsdruck und die Genügsamkeit der Zuschauer hatten.

Beispielhaft ist „Die Sieger“ (1994), Grafs Versuch, großes Action-Kino zu machen: Dem Regisseur gelingt es immer wieder, die Geschichte des SEK-Manns (Herbert Knaup) im Loyalitätskonflikt, von undurchsichtigen Entscheidungsträgern gegängelt und einem ehemaligen Kollegen (Hannes Jaenicke) bedroht, mit Spannung und emotionaler Tiefe zu versehen. Doch der Film hat nicht mehr viel von der dramaturgischen Sprengkraft von Günter Schütters Drehbuchvorlage. Am Ende bleibt „Die Sieger“ nur ein großes Fragment. Jahrelang haben Dominik Graf und die Produzenten gestritten, der Film wurde mit einem Budget von 12 Millionen Mark zu einem kostspieligen Flop. Graf kehrte dem Kino bis zur Verfilmung von „Der Felsen“ (2002) den Rücken.

Im Fernsehen war es für Dominik Graf immer leichter. Lange hatte er an der Krimireihe „Der Fahnder“ mitgearbeitet, Graf drehte für das ZDF Melodramen („Bittere Unschuld“), gefeierte Tatorte („Frau Bu lacht“) oder Polizeirufe („Der scharlachrote Engel“). Und er produzierte eindrucksvolle Fernsehfilme wie „Der Skorpion“ (1997) oder „Hotte im Paradies“ (2002); Sender schmücken sich gern mit dem Renommee und Kinoformat seiner Filme. Im Fernsehen konnte Graf Motive und Schwerpunkte ausarbeiten: In seinen Geschichten ist niemand je allein, jeder Graf-Protagonist steckt in einem dichten, teilweise erdrückenden Geflecht aus Beziehungen und Ritualen; Heimat ist ihm kein warmer, vertrauter Schoß, sondern ein Schlachtfeld, auf dem die Leichen knapp unter der Oberfläche oder nur wenig jenseits des Kamerabilds verrotten.

In dem zusammen mit Christoph Hochhäusler und Christian Petzold gedrehten Triptychon „Dreileben“ (2011) beschäftigt sich jeder Regisseur aus eigener Perspektive mit der Flucht eines Mädchenmörders in Thüringen; „Das unsichtbare Mädchen“ (2012) führt einen Berliner Polizisten (Graf-Stammdarsteller Ronald Zehrfeld) in den faulen Frieden des fränkisch-tschechischen Grenzgebiets. Die formalen Möglichkeiten und der inszenatorische Freiraum, die man Dominik Graf im Fernsehen lässt, bedeuten aber auch Enttäuschungen. Fast mutwillig hat die ARD Grafs an US-Formaten wie „Sopranos“ oder „The Wire“ orientierte zehnteilige Miniserie „Im Angesicht des Verbrechens“ versenkt, mit einer Ausstrahlung Monate nach der Premiere bei Arte, hastig wurden die letzten drei Episoden en bloc versendet. Das Feuilleton jubelt, aber der Zuschauer schaltet nicht ein.

Momentan dreht Dominik Graf im sächsischen Coswig „Die geliebten Schwestern“, eine Dreiecksgeschichte im Kostüm, bei der Friedrich Schiller (Florian Stetter) zwischen Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und ihre Schwester Charlotte Lengefeld (Henriette Confurius) tritt. Am 8. September wird Graf ab 20 Uhr im Berliner Zeughaus-Kino sein zur Präsentation eines Buchs über seine Arbeiten („Im Angesicht des Fernsehens“, edition text+kritik). Danach stellt sich der Beziehungsfilmer, Krimi-Experte und Ausnahmefall den Fragen des Publikums. Das sollte spannend werden.

■ Werkschau Dominik Graf, 1. September bis 17. September im Zeughaus-Kino, Programm unter www.dhm.de/kino/