: Warm, aber sexy
AUSGEBRANNT Die Zeit der alten Glühbirnen ist vorbei, wegen des EU-Verbots gehen heute die Lichtbringer mit 25- und 40-Watt vom Markt. Zum Abschied ein kleines ABC des Leuchtens
GERBURG TREUSCH-DIETER
VON HELMUT HÖGE UND BARBARA OPITZ
ALAMEDA COUNTY, KALIFORNIEN. In der Feuerwehrwache von Livermore, Bundesstaat Alameda County, brennt seit 111 Jahren die älteste Glühbirne der Welt. Bereits 1973 hatte der amerikanische Autor Thomas Pynchon dieser „unsterblichen Glühbirne“ ein Kapitel seines Romans „Die Enden der Parabel“ gewidmet. Seitdem ist sie eine Touristenattraktion. Wem der Weg zu weit ist, kann sich die Glühbirne im Internet über eine Webcam ankucken – sie brennt Tag und Nacht: http://www.centennialbulb.org/photos.htm. BLOCH, ERNST. Der marxistische Philosoph war 1935 noch davon überzeugt: „Die Glühbirne hat die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als etwa Voltaire; denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes.“ Kurz darauf schmückte der Leuchtmittelhersteller Osram das „Deutsche Haus“ auf der Pariser Weltausstellung mit einem riesigen Hakenkreuz aus Glühbirnen. CHEMISCHE LÖSUNG. Neben der Glühbirne, deren Lichtspektrum dem der Sonne am nächsten kommt, gibt es noch eine einzige weitere künstliche Lichtquelle, die befriedigende Parameter erzielt – nicht auf elektrischem, sondern auf chemischem Weg: das Glühwürmchen. Indem es zwei Wirkstoffe – Luciferin und Luciferase – mit Sauerstoff in Verbindung bringt, erzeugt es eine Biolumineszenz, die zu 95 Prozent aus Licht und zu 5 Prozent aus Wärme besteht. Bei der Glühbirne ist das Verhältnis genau umgekehrt – der Grund für ihr Verbot. DYLAN, BOB. Bob Dylan wurde 1969 gefragt: „What is your main message?“ Er antwortete: „My main message? Think for yourself and always carry a light bulb.“ EDISON, ALVA THOMAS. 1879 gelang Thomas Alva Edison die Herstellung einer Glühbirne, die durch verkohlte Bambusfäden einen höheren Schmelzpunkt und damit eine bessere Lichtausbeute erzielte als seine Vorgänger. 1881 präsentierte er sie auf der Pariser Weltausstellung, wo Emil Rathenau die Patente von ihm für Deutschland erwarb. FRICKER, FRANÇOIS. François Fricker, Gießener Mathematiker, rezensierte 1986 in der Zeit die Erfindung einer „Dunkelbirne“, ein wissenschaftlicher Witz, der schon 1954 beim Entenhausener Erfinder Daniel Düsentrieb auftaucht und wenig später vom US-Patentamt abgelehnt wurde. Beim Anknipsen verdunkelt sie den Raum. GLEICHSCHALTUNG. Am 27. April 1933 wurde in der Zeitschrift Nationalistische Erziehung dieser Begriff näher erklärt: „Die Gleichschaltung kennen wir aus der Elektrotechnik und wissen, dass durch sie beispielsweise eine Anzahl Beleuchtungskörper jeder für sich direkt an die Leitung angeschlossen ist und infolgedessen alle mit derselben Helligkeit brennen, ganz gleich, wie weit einzelne voneinander entfernt sind, weil sie alle vom gleichen Strom durchflossen werden.“ HEITER. Im Januar 1990 inszenierte die Kulturzirkel des Berliner Glühlampenwerks Narva eine letzte große Revue: „Bei Licht besehen – heiter!“ Die Kapelle, die Tanztruppe des Narva-Carnevalsclubs, das Kabarett und das Arbeitertheater stellen die Entwicklung von Heinrich Göbel, der von sich behauptete, die Glühbirne vor Edison erfunden zu haben, bis zur Energiesparlampe szenisch dar. Ein Energiesparlampen-Diebstahl während der Proben wurde ebenso in das Stück eingebaut. IONESCO. Im Hotel „Ionesco“ sowie in vielen anderen rumänischen Hotels bekam man 1991 zusammen mit dem Zimmerschlüssel eine Glühbirne ausgehändigt, die man bei der Abreise wieder abgeben musste. Nach dem Sturz Ceauşescus waren die Bürger gebeutelt von Lebensmittelrationierung. Glühbirnen galten als kostbar, pro Haushalt durfte in der Zeit vor dem Sturz lediglich eine 25-Watt-Glühbirne eingesetzt werden. JOHANNES. Johannes 8,12-30: „Nun redete Jesus wieder zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern er wird das Licht des Lebens haben.“ „KNORKE ALLE MANN“. Refrain des Komsomolzen-Liedes „Lenin sprach: Elektrokraft / Mit am Sozialismus schafft / In der Sowjetunion, / Volksverdummung ist gewesen / Heute lernt der Bauer lesen / In der Sowjetunion.“ Das Lied wurde zusammen mit einem Foto, das zeigt, wie ein Bauer den Lichtschalter betätigt, während seine Frau gebannt auf die Glühbirne an der Decke starrt, in DDR-Schulbüchern veröffentlicht. LA BOMBILLA. Die Deckenlampe in Pablo Picassos „Guernica“ ist das einzige Objekt im Bild, das auf unsere Zeit hindeutet. In manchen Interpretationen wird sie als die Darstellung einer heillosen Welt ohne christliche Erlösung gesehen. Sie deutet auf die von Flugzeugen abgeworfenen Bomben, worauf auch das im Spanischen offensichtliche Wortspiel „la bombilla“ (bombilla = Glühbirne) hinweist. MARX, KARL. Ein Exemplar seiner Analyse der bürgerlichen Gesellschaft „Das Kapital“ widmete Karl Marx seinen holländischen Vettern Benjamin und August Philips, die 1891 in Eindhoven die N. V. Philips’ Gloeilampenfabrieken gründeten. Um sich nicht mit Osram auf dem wachsenden Markt in die Quere zu kommen, beschlossen die beiden Konzerne 1921, ein „Glühbirnenkartell“ zu gründen, erst auf Europa bezogen, dann – zusammen mit weiteren Elektrokonzernen – weltweit. Es hieß zuletzt International Electrical Association (IEA) und löste sich angeblich 1989 auf. NEW YORK. In New York kam es 1965 zu einem Totalstromausfall – Blackout, der einer Legende nach neun Monate später zu einem signifikanten Anstieg der Geburtenrate in der Stadt geführt haben soll. 1977 löste ein Blackout in New York dagegen massive Plünderungen aus. OSKAR. Günter Grass lässt in seinem Roman „Die Blechtrommel“ die Hauptfigur Oskar über dessen Geburt den Satz sagen „Ich erblickte das Licht dieser Welt in Gestalt zweier Sechzig-Watt-Glühlampen.“ PINK FLOYD. Auf dem Cover von Pink Floyds „Delicate Sound of Thunder“ ist ein Mann zu sehen, der mit Glühbirnen behängt ist, und im Hintergrund ein weiterer, um den Vögel kreisen. Es soll bedeuten: Ein Pink-Floyd-Konzert ist, wenn Mr. Light (Glühbirnen) und Mr. Sound (Vögel) zusammenkommen. Q. „Q“ ist das Gütezeichen für DDR-Produkte, das auf die im Drahtwerk bei Narva tätige Erika Steinführer zurückgeht. Sie initiierte 1976 die Bewegung „Jeder liefert jedem Qualität“. Ihre „Vorschläge“ stießen schon wenig später „auf große Resonanz in den Betrieben der Hauptstadt“, berichtete das Neue Deutschland. In der Folgezeit stieg in den Betrieben der gesamten DDR die Produktion von Erzeugnissen, denen das Gütezeichen „Q“ verliehen wurde, „sprunghaft“ an. Erika Steinführer ehrte man daraufhin als „Heldin der Arbeit“. REICHSVERTEIDIGUNGSKOMMISSAR. Joseph Goebbels gab im Herbst 1944 als Reichsverteidigungskommissar und Generalbevollmächtigte für den totalen Krieg eine Anordnung heraus, wonach keine Glühbirnen mehr an die Zivilbevölkerung abgegeben werden durften. SEELE. Englisch „Soul“. So nennt man die Wendel aus Wolframdraht in der Glühbirne, deren Geometrie seit 1925 so verändert wurde, dass sich die Lebensdauer aller Birnen, die von Kartellmitgliedern (siehe M) hergestellt werden, um 3.000 Stunden auf 2.000 verringerte. Später wurde die Lebensdauer noch einmal halbiert – auf bis zum heutigen letzten Tag 1.000 Stunden. TEMPERATUR. Die Glühfarbe ist von der Temperatur abhängig: Dunkelbraun 550 °C, Braunrot 630 °C, Hellkirschrot 810 °C, Hellgelbrot 1.000 °C, Hellgelb 1.200 °C, Gelbweiß 1.300 °C und höher. Die Temperatur eines glühenden Birnendrahts liegt zwischen 2.300 und 2.900°C. UNMÖGLICH. Ulrich Greiner, Redakteur der Zeit, berichtete 1983 über seinen Besuch bei Hans Magnus Enzensberger: „Enzensberger steht aus seinem Sessel auf, um Licht zu machen. Eine der beiden Tischlampen seitwärts des Sofas gibt ein klickendes Geräusch von sich und bleibt dunkel. Enzensberger verschwindet kurz im Flur und kehrt mit einer neuen Glühbirne zurück, die er einschraubt.“ Erich Fried meinte dazu: „Unmöglich, das muß der Greiner sich ausgedacht haben. Enzensberger ist technisch so unbegabt, daß er nicht einmal eine Birne einschrauben kann.“ VERA. 1986 bis 1988 tanzte Nacht für Nacht eine Stripteasetänzerin namens Vera in der „Apollo-Bar“ in Neukölln, wo sie auf dem Höhepunkt ihrer Darbietung eine Glühbirne in ihrer Vagina zum Leuchten brachte. WEIBLICH. Gerburg Treusch-Dieter, Kulturwissenschaftlerin (1939–2006): „Die Glühbirne ist – erkennbar an ihrer Uterusform – eindeutig weiblich!“ 1980 notierte sich der französische Philosoph Jean-François Lyotard während eines Kalifornien-Besuchs: „Das Weiß der Frau-Haut ist das Licht!“ Zwei Jahre später antwortete Marianne Koch auf die 15. Frage des FAZ-Fragebogens für Prominente („Wer oder was hätten Sie sein mögen?“): „Die Erfinderin der Glühbirne.“ X. SURE DES KORAN. „Allah ist das Licht des Himmels und der Erde. Sein Licht gleicht einer Nische, in der sich eine Lampe befindet. … Es wird angezündet von … einem Ölbaum, … dessen Öl leuchtete, auch wenn es kein Feuer berührte.“ Es wird vermutet, dass die Sure hier auf eine altägyptische Erfindung anspielte: 1982 stellte Walter Garn, Diplomingenieur, das Modell einer überdimensionierten Glühbirne vor, das er auf einem Relief im Hathor Tempel von Dendera in Ägypten gebaut hatte. Er wollte damit beweisen, dass die alten Ägypter die Glühbirne erfanden. Den Ägyptern war das nicht neu: Sie hatten bereits um die Jahrhundertwende Edisons Glühbirnenpatent nicht anerkannt – mit der Begründung, „dass etwas Ähnliches bereits 2.000 Jahre vor Christus in Ägypten benutzt worden war“. Y-GENERATION. So nennen sich heute die jungen Leute auf Kuba, die von ihren Eltern Namen aus russischen Filmen, wie Yanisleidi, Yoandri, Yusimí, verpasst bekamen. Sie sind die erste Generation, die ohne russische Glühbirnen aufwachsen, denn diese wurden in allen Häusern von Regierungshelfern zerschlagen und kostenlos durch chinesische Energiesparlampen ersetzt. „ZU SPÄT“. Am 23. April 1991 enthüllte die Bild Fürchterliches: „So starb Rohwedder wirklich!“ Es ging um die tragischen Umstände des Todes von Treuhandchef Detlev Rohwedder. „Der war bereits im Schlafzimmer. Dort fiel ihm ein, daß er im Arbeitszimmer eine kaputte Glühbirne auswechseln wollte. Frau Rohwedder meinte, das sei doch zu spät, holte ihm aber dennoch die Birne aus dem Erdgeschoß. Als Karsten Rohwedder sie in die Fassung schraubte und die Birne das Zimmer erleuchtete – traf ihn der tödliche Schuß.“