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Archiv-Artikel

Ich blogge, also bin ich

Was hinschreiben, auch wenn nichts passiert: 280.000 Deutsche vertrauen sich ihrem Web-Tagebuch an – und damit dem Rest der Welt. Warum lassen Blogger öffentlich die Hosen runter?

VON DIETER GRÖNLING

Sie nennt sich „fishcat“ und kommt aus Köln. Sie ist 25 und schreibt im Internet täglich an ihrem Weblog, kurz Blog. Neulich, es war vermutlich der letzte heiße Tag dieses Sommers, machte „fishcat“ folgenden Eintrag: „Ihr kennt das. Man hat das Bedürfnis, was hinzuschreiben, aber aus irgendwelchen Gründen fällt einem nichts besonders Sinnvolles ein.“ Die sorgsam gehüteten Tagebuchschlüsselchen am Hals junger Mädchen sind offenbar aus der Mode gekommen. Mehr noch: Jeder, der Lust verspürt, kann „fishcats“ Einträge kommentieren. Dafür gibt es einen Extrabutton – doch zu diesem Eintrag wurde der Knopf kein einziges Mal gedrückt. Auch der Tagebucheintrag von „Prinzessin Vogelfrei“, am gleichen Tag an einem anderen Ort in einem anderen Blog, blieb ungeklickt: „Heute war ein langweiliger Tag. Nichts gemacht. Na, doch. Bin zur Apotheke gelatscht. Juhu. Auf mehr hätt ich auch gar keine Lust gehabt. Bei der Hitze. Moaah. Ich hasse Hitze. 38 Grad. Unglaublich. Also gibt es nichts weiter zu sagen.“

Wenn die liebe Prinzessin nichts weiter zu sagen hat – so könnte man denken –, möge sie doch besser gleich ganz still sein. Aber denkste, es geht noch ellenlang weiter, sie fühlt sich „wie von rosa Watte umgeben“ und „freut sich auf morgen“. Schön – aber interessiert das wirklich jemanden? Ist das bei vielen Menschen stark ausgeprägte Bedürfnis, absolute Belanglosigkeiten in die Welt zu blasen, auf das Internet übergesprungen? „Telefonieren ist gesund!“, hieß es einst auf einem Schild am Schreibtisch einer dauertelefonierenden, aber dennoch lieben Kollegin. „Bloggen ist gesund!“, müsste die Botschaft heute lauten. 70 Millionen Webtagebücher soll es inzwischen weltweit geben. Die vom US-Bloggermagazin Blog Herald ermittelte Zahl ist zwar umstritten, unter anderem weil einige Blogs unter mehreren Adressen erreichbar sind und deshalb mehrfach gezählt werden oder nicht „aktiv“ sind. Es bleibt aber eine unglaubliche Zahl, die schon der Einwohnerzahl eines mittelgroßen Landes entspricht.

Nach der Statistik sind in Deutschland nur 280.000 Blogger aktiv. 3 Millionen Blogs gibt es allein im Nachbarland Frankreich, 15 Millionen in Südkorea und 15–30 Millionen in den USA. Hierzulande scheint der Hype wieder mal erst etwas später anzukommen. Die Weblogs, die bei internationalen Onlinediensten wie MSN oder AOL eingerichtet wurden, sind bei der Länderverteilung noch nicht mal eingerechnet. Allein beim Blogdienst Xanga sind 40 Millionen User registriert. Da stellt sich erst recht die Frage, wer das alles lesen soll. Und was sind die Beweggründe der privaten Macher? Geltungsdrang, Mitteilungsbedürfnis, Eitelkeit, der Wunsch nach Selbstdarstellung mit Hang zum Seelenexhibitionismus? Oder ist es nur das Bedürfnis, mit anderen in Kontakt zu kommen, zu kommunizieren? Die Motivationen, Weblogs zu betreiben, sind wohl so unterschiedlich wie die Weblogs selbst.

Internettechnisch gesehen sind sie jedoch letztlich nichts weiter als die konsequente Weiterentwicklung der privaten Homepage, die Ende des letzten Jahrhunderts jeder haben musste. Nach dem Muster „Hallo, ich bin der Manni, und das sind meine Hobbys“ gestrickte Homepages gab es – und gibt es immer noch – massenhaft. Und viele sahen einfach grauenhaft aus. Schön bunt, grüne Schrift auf blauem Hintergrund zum Beispiel. Viel zu groß oder viel zu klein – je nach Kurz- oder Weitsichtigkeit des Bastlers oder der Größe seines Monitors. Und zappelnde Bildchen, „animated GIFs“; die aus vier oder fünf klitzekleinen Einzelbildern zusammengesetzten Kurztrickfilme raubten jegliche Ruhe, die man zum Betrachten und zum Lesen der Seiten gebraucht hätte. Offenbar hatten (und haben bis heute) die Homepage-Bastler nie etwas von der Grundregel gehört, die in jedem anständigen Jump-’n’-Run- Spiel gilt: If it moves, shoot it! Das bedeutet: Ein Zappelbildchen pro Seite ist ja ganz nett – aber auch genug.

Und Baustellen, nichts als Baustellen. Auch dafür gibt es Zappelg-GIFs: Bauarbeiter mit Presslufthammer, grelle „Under Construction“-Schilder. Eine anständige Homepage ist nie richtig fertig. Hier noch ein netter Gimmick, da noch ein Fotoalbum, dort noch das Gästebuch –bis das alles fertig ist, vergeht Zeit. Viel Zeit. Kein Wunder: In den Anfangstagen des World Wide Web musste jede Homepage noch mühsam mit HTML programmiert werden, der „HyperText Markup Language“. Später wurde das mit zum Teil ganz komfortablen Werkzeugen zwar ein wenig bequemer, doch für Aufbau, Verwaltung und ständige Aktualisierung einer komplexen Homepage braucht man immer noch Internetgrundkenntnisse. Allein das „Hochladen“ der fertigen Seiten ins Netz ist für Anfänger nicht ganz einfach.

Wegen häufiger Unzulänglichkeiten auf privaten Homepages bekam der Begriff einen dilettantischen, amateurhaften Beigeschmack und verschwand ganz allmählich. Heute spricht man von der „Website“, bei kommerziellen Betreibern oder ganz Vornehmen heißt es „Webpräsenz“ oder „Internetpräsenz“. Die Softwarewerkzeuge wurden immer komplexer: Java, ActiveX, Flash, XML – und wenn eine Seite flexibel sein muss, weil sie zum Beispiel aktuelle News bereithalten soll, wird sie mit Hilfe der Programmiersprache PHP und einer SQL-Datenbank generiert. Das alles erfordert echte Profis, jemand, der nach Feierabend nur eine private Homepage pflegen will, wäre damit überfordert. Zum Brötchenholen nimmt man ja auch nicht unbedingt den Sattelschlepper.

Doch zum Glück der privaten Bastler hat sich die Technik weiterentwickelt. Die bequemsten aller Webwerkzeuge sind die, mit denen man Blogs basteln kann. Man muss nur nach den drei Begriffen „Software Download Blog“ googeln. Noch bequemer geht’s mit speziellen Weblog-Diensten wie blog.de oder myblog.de: Anmelden, ein passendes Layout aussuchen, ein paar Infos eingeben, Bilder und vielleicht ein paar O-Töne hochladen, fertig ist der Blog. So einfach ist es tatsächlich: Wer in der Lage ist, die Maus kontrolliert über den Tisch zu bewegen und hier und dort etwas anzuklicken und ein paar Daten einzugeben, ist auch in der Lage, einen Weblog zu erstellen.

Doch das allein reicht nicht. Auch wenn die Webtagebücher mittlerweile zusammen mit den Wikis, dem Austausch von Wissen, und den Podcasts, den akustischen Blogs, einen bemerkenswerten Trend aufzeigen und immer mehr Menschen aus ihrer passiven Mediennutzung in eine aktive Rolle bewegen, fehlt es vielen privaten Blogs an attraktiven und interessanten Inhalten. Klar, die privaten können mit Profiblogs wie dem Bild-kritischen BILDblog oder dem Tsunami-Blog des ZDF nicht mithalten. Aber mit den drögen Blogs, die diverse Politiker zum Wahlkampf absondern und die meist ohnehin von Referenten gemacht werden, können sie es allemal aufnehmen.

Nur mit dem Humor ist das mal wieder so eine Sache. Den Frauenschwarm Brad Pitt wie im Schockblog mit Brot Boxengasse einzudeutschen, ist vielleicht witzisch, aber nicht unbedingt lustig – und zudem falsch. Doch ansonsten macht der Eintracht-Fan („Adler auf der Brust, nie mehr zweite Liga!“) einen interessanten, in den Farben seiner Fußballmannschaft gestalteten Blog. Lesenswert: „The real neverending story“ – eine Geschichte, die von den Besuchern fortgeschrieben wird. Spannend ist auch sein Voting. Damit lässt er abstimmen, über welchen Tag er als Nächstes schreiben soll: 1. Mai, 3. Oktober, 8. April, 11. September oder 24. Dezember.

Blogs, Wikis und Podcasts sind derzeit so angesagt, dass die US-Firma Marble Sportswear aus Beverly Hills nun Badeanzüge, Schuhe, Hosen, Socken und Slips unter dem Namen „BLOG“ vermarkten will. Ein entsprechender Antrag liegt dem US-Patentamt bereits vor. Doch bei all dem Hype, der um die neuen Webtechniken gemacht wird: Je mehr mitmachen, umso höher ist naturgemäß auch das Grundrauschen – also der prozentuale Anteil der völlig unnützen und belanglosen Beiträge und Blogs. Aber der Sommer dieses Jahr ist trüb. Und kalt. Das Freibad fällt also aus, und viele haben schon jetzt die Heizung angeworfen. Die richtige Zeit also, mal einen wirklich guten Blog zu bauen.