Vom Biedermeier nach Wildwest

SOMMER IM MUSEUM (X) Friedrich Gerstäcker aus Braunschweig schrieb ethnografische Abenteuerliteratur, so bekannt wie Karl May wurde er nie. In seiner Heimatstadt ist ihm ein Museum gewidmet

Im Gegensatz zu May hat Gerstäcker die fremden Orte seiner Handlungen alle wirklich bereist

Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder – gut versteckt – die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.

„Lessing kennt hier in Braunschweig jeder“, meint ein älterer Herr, „aber Gerstäcker?“ Der Herr parkt sein Motorrad direkt vor dem Friedrich-Gerstäcker-Museum in Braunschweig. Einen Besuch mit zehn Personen möchte er hier anmelden. Friedrich Gerstäcker zählt neben Karl May zu den wichtigsten Vertretern der deutschen ethnografischen Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu May hat Gerstäcker die fremden Orte seiner Handlungen alle wirklich bereist, seine Geschichten sind somit nicht nur Fiktion – trotzdem ist er nicht so bekannt wie Karl May.

Diesem Umstand versucht die 1979 in Braunschweig gegründete Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft abzuhelfen. Seit 1982 unterhält sie das kleine Museum im historischen Wachgebäude am Schloss Richmond, das die Stadt Braunschweig dem Verein mietfrei überlässt.

Friedrich Gerstäcker wurde 1816 in Hamburg geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er zeitweilig bei Verwandten in Braunschweig auf. Nicht nur die finanzielle Enge seiner Familie, vielmehr wohl der reaktionäre Muff der Biedermeier-Ära ließ in Gerstäcker den Wunsch aufkommen, nach Amerika auszuwandern.

1837 brach er dorthin auf. Gerstäcker führte Tagebuch, hielt seine erste Station in New York – einen Zigarettenladen – genauso fest wie seine zahlreichen Streifzüge zum Mississippi, nach Texas, in die kanadischen Wälder, vor allem aber die Jagdabenteuer in Arkansas.

1843 kehrte er nach Deutschland zurück und verarbeitete sein Material zu Abenteuerliteratur, aber auch als Sozialgeschichte der damaligen großen Auswanderungswelle in die USA. In seiner sechsbändigen Zusammenfassung „Nach Amerika“ beschrieb er 1855 im ersten Band kollektive Beweggründe und individuelle Hoffnungen der Emigranten.

Gerstäckers erster Reise nach Nordamerika folgten Reisen nach Südamerika, Australien, Nordafrika und eine neuerliche Nord- und Mittelamerikareise. Im Jahr 1868 ließ er sich dann endgültig in Braunschweig nieder. 1870 / 71 ging er für das illustrierte Familienblatt Die Gartenlaube als Berichterstatter an die Front des Deutsch-Französischen Krieges, kehrte zurück nach Braunschweig und verstarb hier 1872. Über schier alles hatte Gerstäcker bis dahin geschrieben. „Die Regulatoren in Arkansas“ und „Die Flusspiraten vom Mississippi“ gehören wohl zu seinen bekanntesten Abenteuerbüchern.

Gründungsvorstand der Braunschweiger Gerstäcker-Gesellschaft und Initiator des Museums ist Thomas Ostwald, Autor der Gerstäcker-Biografie von 1976, Verleger, Buchhändler, Stadtführer. Ehrenamtliche Helfer sorgen für den Betrieb des Museums, das in vier Räumen unter anderem Gerstäckers heimatliches Arbeitszimmer, seine weltweiten Traumziele und eine umfangreiche Waffensammlung präsentiert – Western-Träume großer Jungs in etwas verstaubter Präsentation.

Ostwald möchte das Museum ins ungenutzte Obergeschoss des Hauses erweitern, den Aspekt der Auswanderung stärker darstellen. Dafür wirbt er bei der Stadt und dem Wissenschaftsministerium. Wer aber nicht ganz fantasielos ist, den packt auch so die Lust, die Abenteuer des Friedrich Gerstäcker für sich zu entdecken.  BETTINA MARIA BROSOWSKY

■ Friedrich-Gerstäcker-Museum: Braunschweig, Wolfenbütteler Straße 56. Geöffnet Mo–Fr 15–18 Uhr, sonntags 10–13 Uhr